Jenseits von technischem Schnickschnack und dem Mega-Kino für Zuhause: Der „SerifTV“ von Ronan und Erwan Bouroullec für Samsung. Foto © Studio Bouroullec
TV mit Querstrich
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von Thomas Wagner
26.02.2016 Dass sich die Vorstellung, die Erde sei eine Scheibe, bis in die Neuzeit gehalten habe, ist bekanntlich eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Schon im 6. Jahrhundert v. Chr. hatte Pythagoras aus ästhetischen Gründen angenommen, Himmelskörper seien kugelförmig, was Aristoteles später lapidar feststellen ließ, bei Schiffen, die sich von der Küste entfernen, sei der Rumpf vor den Segeln der Sicht verborgen und der Erdschatten bei einer Mondfinsternis sei stets rund. Allein die Genesis des Fernsehapparats ist dazu angetan, unser Bild von der Welt noch immer zu verwirren. Beim Fernseher stand am Anfang nämlich die Kiste. Diese wandelte sich unter dem Druck der Evolution zu einer flachen und immer größeren Scheibe, wogegen die Kugelgestalt stets eine Ausnahme blieb. Was eine etwas zufällige designhistorische Reihe ohne weiteres belegt, die von Herbert Hirches „Braun HF1“ von 1958 und Dieter Rams’ Braun „FS 80 TV“ von 1964 über die von Marco Zanuso und Richard Sapper 1965 für Brionvega entwickelte (tragbare und mit einem Knick versehene) Kiste des „Algol“ bis zu Hartmut Esslingers „Wegavision 3000L“ von 1966 und dessen „Wega Color TV 3050“ von 1978 führt. Die ultimative Kiste indes stellt der ebenfalls auf das Konto von Zanuso/Sapper gehende Brionvega ST201 von 1972 dar, eine spiegelnde, aus geheimnisvoll-dunklem und semitransparentem Acryl bestehende „Black Box“ (Mario Bellini hat die Idee 20 Jahre später auf neuer technischer Basis zu seinem „Cuboglass TV“ weiterentwickelt). Womit die Geschichte der Kiste, aus der die Bilder kommen, auch schon endet und wir – um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert – ins Zeitalter nicht mehr gestalteter oder nicht mehr gestaltungswürdiger Flachbildschirme eintreten. Von nun an blieb das elektronische Fenster zur Welt bei Nichtgebrauch eine dunkle Fläche, im Raum ein fades Nichts ohne Würze und Geschmack, das sich bestenfalls noch als Rechteck auf der Wand ertragen lässt. Eine anonyme Benutzeroberfläche, mehr wird uns diesseits der Programme inzwischen nicht mehr zugestanden. Hatte Hans Magnus Enzensberger das Fernsehen schon Ende der 1980er Jahre ein „Nullmedium“ genannt und sämtliche Klagen darüber für gegenstandlos erklärt, so fand es hernach im „Flatscreen“ auch möbeltechnisch zu seiner idealen Gestalt. Nun aber kommt „SerifTV“ – und mit ihm ein erster Versuch der Korrektur. Ob das Gerät, das die umtriebigen Gebrüder Bouroullec für Samsung entworfen haben, lediglich eine weitere Episode in der Geschichte der nichtswürdigen Flachheit bleibt oder ob der noch immer schlanke Körper in Sachen Ästhetik und Design einen evolutionären Schub andeutet, wer kann das schon wissen. Dass sich so renommierte Designer überhaupt der Aufgabe gestellt haben, ist freilich allein schon eine Überraschung. Tatsache ist: Die Bouroullecs möchten dem zu einer körperlosen und magischen Fläche geschrumpften Fernsehgerät seinen Charakter als Objekt und Möbel zurückerstatten – auch wenn sie dabei offensichtlich auf halber Strecke stehenbleiben. Denn gestaltend gekräftigt haben Ronan und Erwan Bouroullec vor allem den Rahmen, dessen raumloses Innen tendenziell das ubiquitäre Außen schlechthin zu enthalten vorgibt. Im Profil hat das noch immer sehr schmale Gehäuse nun Ähnlichkeit mit einem Doppel-T-Träger von beträchtlicher Höhe. Man kann auch sagen, mit seinen Deckplatten am unteren und oberen Ende gleiche es einem großen „I“. Ganz so, als sei der Bildschirm – der Name „SerifTV“ deutet es an – im Profil ein Buchstabe, lassen die Designer den vertikalen Buchstabenstrich (gleichsam im Wechsel von der Helvetica zur Times) unten und oben in eine Horizontale ausklingen. Auf diese Weise entsteht unten eine Fläche, die einen sicheren Stand garantiert und es – fügt man bei den größeren Modellen lange dünne Spinnenbeine hinzu – möglich macht, den Fernseher frei im Raum aufzustellen. (Wobei sich unweigerlich die Assoziation einer Tafel einstellt, auf der man etwas notieren kann.) Der auskragende obere Rand hingegen ist für die Katz’ oder darf von der Deko-Abteilung bestückt werden – erweist sich für die berühmten Häkeldeckchen allerdings als zu schmal. Etwas hochgegriffen klingt es denn auch, wenn Erwan Bouroullec im Samsung-Video behauptet, mit „SerifTV“ lasse sich die Lücke zwischen Technologie und Umwelt schließen. Auch so große Worte wie die, eine der Herausforderungen habe darin bestanden, das Design stärker als die Technologie zu machen, mag man angesichts des Ergebnisses nicht ganz glauben. Sympathisch anders und eine Spur nostalgisch ist der in drei Farben erhältliche „SerifTV“ mit seiner Stoffblende auf der Rückseite aber allemal. Die Metamorphose der dunklen Scheibe scheint jedenfalls begonnen zu haben.
Früher waren wir frivoler: Ronan und Erwan Bouroullec haben Rollos für Kvadrat entworfen. Ein Interview. Himmelsformationen: Ortstermin in Kopenhagen: Ronan und Erwan Bouroullec sind an den Öresund gekommen, um dem ersten dänischen Showroom von Kvadrat den letzten Schliff zu geben. |
„Wir wollten ein Möbelstück kreieren“, so Erwan und Ronan Bouroullec. Foto © Studio Bouroullec
Das Gerät wird durch den Rahmen definiert. Foto © Studio Bouroullec
Auch den Bildschirmschoner haben die Bouroullecs entworfen. Foto © Studio Bouroullec
Der „SerifTV“ liegt preislich zwischen 700 Euro und 1500 Euro. Foto © Studio Bouroullec
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Im Profil ein Buchstabe, geben die „Serifen“ dem Fernseher Stand. Foto © Studio Bouroullec
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Auch ein TV-Rücken kann entzücken, dank Stoffverkleidung. Foto © Studio Bouroullec
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Die Bouroullecs haben die Raumwirkung des Geräts genau studiert. Foto © Studio Bouroullec
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Zusätzliche Beine ersetzen die TV-Konsole. Foto © Studio Bouroullec
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