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Die Macher der Revolution: Mikael Mikael (getarnt, wie es sich für eine richtige Revolution gehört) und Friedrich von Borries. Foto © RLF
Turnschuhtouristen aller Länder, vereinigt euch!
von Thomas Becker
30.08.2013

Friedrich von Borries sitzt da im selbst gezimmerten Revolutionsanzug mit der goldenen Aufschrift „Show your not afraid“, um uns zu erklären, wie man den Kapitalismus durch ihn selbst überwinden könne. Aber jedes Kind sieht, dass der Professor für Designtheorie gar kein Revoluzzer-Outfit trägt, sondern auf nacktes Marketing setzt. Aber leider gab es kein naives Kind auf der Pressekonferenz, das hätte sagen können: „Aber der Herr Professor ist ja nackt.“ Dafür wird Adorno postmodernisiert: Für manches sei er doch noch gut, so erfährt man es im Buch und während der Pressekonferenz von einer Aktivistin neben Borries im selben Outfit. Aber was, bitteschön, soll dann noch die Rede von „dem“ System des Kapitalismus, was ja gar nichts anderes als jene paranoide Vorstellung Adornos vom totalen Verblendungszusammenhang ist, den man doch gerade unter dem Branding „RLF“ endlich hinter sich zu lassen gedenkt? RLF soll ja – in Reaktion auf Adornos Diktum, es gebe kein richtiges Leben im Falschen – für das Richtige im total Falschen stehen. Turnschuhtouristen aller Länder, vereinigt euch!

Wofür ein Tausendsassa des Marketings keine Zeit hat

Warum ausgerechnet Adorno, wenn es doch seither einige Theorien gab, die sich der Frage widmeten, wie denn komplexe Analysen der Kritik auch von Aktivisten wahrgenommen werden könnten, die doch gewöhnlich ihre Nase über die akademisch verkrusteten „Eggheads“ an der Universität rümpfen? Dahinter steckt eine klare Medienstrategie. In Borries’ Roman werden hauptsächlich nur solche Akteure als Beispiel für eine Kritische Theorie aufgeführt, die im Bereich des Kommunikationsdesigns oder der Popkultur kritische Töne verlauten lassen. Foucault, Bourdieu, Deleuze, Boltanski, Sennett, Derrida, et al.? Gott bewahre, das ist nicht nur zu komplex, vor allem findet man in deren Analysen den längst überholten Kulturpessimismus Adornos nicht mehr, gegen den man eben mit Popgrößen bei unbeleckten jugendlichen Aktivisten als scheinbar antiakademischer Intellektueller punkten kann. Und Debords „détournement“, das er gerne heranzieht, kann heute jede kleine Medienklitsche zitieren. Borries nutzt das Branding „RLF“ als Medienevent, um sich von jenen Kritischen Theorien des Kapitalismus abzusetzen, für die ein Tausendsassa des Marketings keine Zeit hat, um sie überhaupt adäquat anzueignen. Und da die Medien eher solche leicht konsumierbare Schlagworte lieben, glaubt sich Borries der Unterstützung einer von dieser Medienkultur durchgeschüttelten Jugend sicher zu sein.

Aber das kehrt das Problem genau um: Theorie soll sich nicht mehr mit den Praktikern verbünden, um den Widerstand schlagkräftiger zu machen, sondern um ihn möglichst konsumierbar zu halten. Genau jene mangelnde Reflexivität, die das Problem einer „Occupy“-Bewegung der ersten Stunde war, wird hier folgerichtig als Ideal einer scheinbar neuen Theorie verkauft. Daher, so lässt er im Roman wissen, mag er auch nicht das dümmliche Wort „Marketing“. Man solle es durch das intelligentere der „Kommunikation“ ersetzen. Hofschranzen der Mediengesellschaft sind nun mal in Euphemismen der Macht verliebt.

Goldene Nägel als symbolisches Kapital

Die Strategie einer mediengerechten Simplifizierung zeichnet dann auch die Umsetzung seiner „Theorie“ ins Design aus. Borries erklärt, dass seine Designprodukte die Paradoxie der ästhetischen Werteproduktion repräsentiere. Wenn man den Stuhl aus seinen Designproduktion erwerbe, den man selbst zusammenbauen müsse, bekomme man für den Bausatz mit Gold überzogene Nägel. Die nützen sich schon beim Einschlagen ab und verlieren zwar an ökonomischem, gewinnen dafür aber an symbolischem Wert. Entweder hat der Herr Professor für Designtheorie die dazu aktuellste Theorie symbolischer Formen und Lebensstile von Pierre Bourdieu nur kursorisch überflogen oder er hat sie schlichtweg nicht gelesen, so naiv kommt es daher.

Bourdieu hätte sogleich angemahnt, dass der moderne Kapitalismus seine Herrschaft keineswegs durch Verdrängung dieser paradoxalen Wertschöpfung des Symbolischen aufrechterhält. Vielmehr stammt gerade die Hegemonie der Ökonomie über die symbolischen Handlungen daher, dass der Kapitalismus den Zugang zu den vor Ökonomisierung geschützten Inseln der symbolischen Wertschöpfung ungleich verteilt und ihre stärksten Formen im Feld der Macht daher monopolisiert. Und genau diese vor allzu starker Ökonomisierung geschützten Inseln im Feld der Macht, die ohnehin schon von dieser symbolischen Wertschöpfung besonders profitieren, will nun Borries als Käufer seines Designs überzeugen. Man ahnt, dass ihm dies wohl auch gut gelingen wird: Club Med der Revolutionskultur eben, wie er es selbstentlarvend formuliert.

Ein Prediger des Neoliberalismus

Der Kapitalismus produziert eben nicht nur Waren, wie Marx schon anmahnte, sondern auch das Subjekt ihrer Käufer. Und von hier aus gäbe es einen Tigersprung vom Marx des 19. Jahrhunderts zu den wirklich avantgardistischen Kritiken des Neoliberalismus, zum Beispiel eines Michel Foucault, eben eines Theoretikers, der nicht nur lange vor Borries die paranoiden Töne Adornos mit der Feststellung vom Tisch fegte, dass man nicht traurig sein müsse, um zu kämpfen. Weitsichtig hatte Foucault schon zu Beginn der 1980er Jahre in einer inzwischen posthum veröffentlichen Vorlesung analysiert, worin sich der von Reagan und Thatcher propagierte Neoliberalismus vom traditionellen unterscheidet: Der alte Liberalismus des 18. Jahrhunderts sah in den staatlichen Institutionen nur einen Hinderungsgrund für den Markt, während der Neoliberalismus des ausgehenden 20. Jahrhunderts den Markt und sein Profitstreben nicht mehr als Gegner des Staates sehen will, sondern ihn sogar als Maßstab für staatliches Handeln setzt. Seither predigt man uns, dass wir alle zu Unternehmersubjekten werden sollen, deren Lebensläufe flexibel und kreativ wie die eines Künstlers zu sein haben, um sich einer permanenten Selbstoptimierung mit selbstausbeuterischen Marktrisiken zu unterwerfen.

Das ist die Predigt, die uns von Borries noch einmal auftischt: „Werde Shareholder der Revolution.“ Wohin diese Forderung der kreativen Flexibilität geführt hat, wissen wir heute. Keine sicheren Renten, schlecht bezahlte Praktika, Abwechslung zwischen Projektzeit und Arbeitslosigkeit ohne Aussicht auf Festanstellung und so weiter. Bemerkt Borries überhaupt noch, was er da tut? Er radikalisiert diese Forderung des Neoliberalismus, indem er nun sogar noch das politische Handeln des Widerstands den Markterfordernissen im Namen der Kreativität unterwirft.

Nicht vorweg, sondern hinterdrein

Das ist keine Avantgarde, sondern allenfalls zeitgenössische Arrièregarde, deren Radikalität darin besteht, den unerfahrenen Enthusiasmus junger Aktivisten für eine marktgerechte Kommunikation zu benützen, um schließlich das eigene symbolische Kapital unter Verzicht einer langwierigen Aneignung komplexer Theorien schneller einfahren zu können. Diese Arrièregarde produziert innerhalb der Kulturproduktion damit eine „bubble economy“ des symbolischen Kapitals: medial ungezügelte Akkumulation eines an kultureller Arbeit ungedeckten sozialen Kapitals.

Das richtige Leben im falschen
Von Friedrich von Borries
252 Seiten, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2013
www.suhrkamp.de

www.rlf-propaganda.com
www.friedrichvonborries.de

Redesign deluxe: Der Sportschuh Adidas Allegra ist in der RLF-Variante komplett Schwarz und mit Goldeinlage in der Sohle. Foto © Dan Beleiu
„Show you are not afraid“ ist der Slogan von RLF - und ziert die Unterseite eines Teppiches. Foto © Dan Beleiu
Die Revolution steckt im Detail: Die Nieten für das Regal von Axel Kufus für den Hersteller Nils Holger Moormann sind aus Echtgold. Foto © Dan Beleiu
Wenn der Goldlack ab ist… kommt die Botschaft zum Vorschein. „Lack“ von Ikea, vergoldet, Redesign: Mikael Mikael, 2013. Foto © Dan Beleiu
Eine Tapete, die es in sich hat: hergestellt von Gebr. Rasch mit RLF-Grafik auf der Vorderseite, auf der Rückseite mit Slogan „Show you are not afraid“. Foto © Dan Beleiu
Teatime mit RLF: Die Originale von KPM, Designer Enzo Mari (Kanne) und Trude Petri (Tasse), sind mit RLF-Print aufgehübscht. Foto © Dan Beleiu
Promotionvideo von RLF Propaganda: Interview mit dem französischen Publizisten Stéphane Hessel (gest. 26. Feb. 2013). Video © RLF
Der Revolutionsanzug ist Bestandteil der Bewegung und Exponat der Ausstellung. Foto © Thomas Becker
Die Macher der Revolution: Mikael Mikael (getarnt, wie es sich für eine richtige Revolution gehört) und Friedrich von Borries. Foto © RLF0