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Türhüter „HAL“ oder Das Zyklopenauge
von Thomas Wagner | 23.03.2012

Schon sein Name hält Überraschungen bereit, und die Rolle, die er spielt, ist durchaus dubios: der Supercomputer „HAL 9000" in Stanley Kubricks berühmtem Science-Fiction-Epos „2001: A Space Odyssey" von 1968, dem Jahr der großen Träume. „HAL" steuert und kontrolliert nämlich das Raumschiff „Discovery", das unterwegs ist zum Jupiter. Er ist der Einzige an Bord, der weiß, dass dessen offizielle Mission, auf dem Planeten wissenschaftliche Forschung zu betreiben, nur die halbe Wahrheit ist. Tatsächlich geht es darum, im Zusammenhang mit einem rätselhaften Monolithen, der auf dem Mond entdeckt worden war, nach weiteren Spuren fremden Lebens zu suchen.

Schon die drei Buchstaben H, A, L, mit denen Kubrick das angeblich unfehlbare Elektronenhirn bezeichnet, sind klug gewählt. Rückt man im Alphabet jeweils nur eine Stelle weiter, so ergibt sich daraus IBM, der Name von „Big Blue", des damals führenden Herstellers für Großcomputer. Zudem klingt „HAL" im Englischen wie „Hell", was nichts Gutes vermuten lässt. Es kommt, wie es kommen muss. Als „HAL", der mit angenehm sonorer Stimme spricht und für die Astronauten fast so etwas wie ein Beichtvater ist, offensichtlich eine Störung aufweist und deshalb abgeschaltet werden soll, kommt es zum Kampf mit der Maschine, den einer der beiden Astronauten sowie die ob der langen Reise in Tiefschlaf versetzten Crewmitglieder mit dem Leben bezahlen. Schließlich gelingt es Dave, dem letzten verbliebenen Menschen an Bord, „HAL" sein Gedächtnis zu rauben. Die Szene ist ebenso anrührend wie schrecklich, beginnt „HAL", als Dave nach und nach seine Speicher entfernt, doch mehr und mehr wirres Zeug zu plappern und singt, bevor seine Stimme ganz verlöscht, „Hänschen klein, ging allein, in die weite Welt hinein" zu singen. In der Originalfassung singt „HAL": „Daisy, Daisy, give me your answer true, I'm half crazy for all the love to you".

So viel zur Vorgeschichte. Sie muss schon allein deshalb erzählt werden, weil sich an ihr ablesen lässt, wie Kunst der Realität vorauseilt und welche Nachwirkungen ihre Ideen und Bilder zeitigen. Denn Kubricks „Odyssee im Weltraum" träumt nicht nur die gesamte Menschheitsgeschichte weiter, sie offenbart auch unsere Ambivalenz gegenüber den Produkten der Technik. Zu einer Zeit, als es noch keine Personalcomputer, also so gut wie keine unmittelbare Erfahrung im Umgang mit Rechnern gibt, wird ein Elektronenrechner zum Gegenspieler der Menschheit. Obendrein verbindet sich der große Traum der Technologen im Film mit der Schönheit der Technik, die genüsslich zur Schau gestellt wird. Auch in Sachen Design ist „2001" eine Offenbarung.

Mehr als vierzig Jahre nach Kubriks Irrfahrt in den Weltraum, der für uns Heutige so unermesslich erscheint wie für die Griechen zu Zeiten Homers das Meer, schließt sich der Kreis. Blickt man heute auf das Design aktueller, videoüberwachter Türsprechanlagen, so begegnet man dem Bild von „HAL" allenthalben an der Haustür. Ein rechteckiges Panel, darauf ein Mikrofonfeld, und darüber das Zyklopenauge – das Schema findet sich bei mehreren Herstellern. Allein auf die sanfte, sich einschmeichelnde Stimme muss man aus einleuchtenden Gründen verzichten.

Man sieht: Kubrick hat mit „HAL" Designgeschichte geschrieben. Und auch wenn sich in Sachen Technik anderes und mehr erfüllt hat, als sich die optimistischen sechziger Jahre erträumt haben, eines ist bis heute geblieben: unsere Ambivalenz gegenüber intelligenten Apparaten und das Gespaltensein unseres Denkens. Entweder, unsere Vorstellung der Zukunft basiert auf der Idee, die Welt ließe sich moralisch oder technisch verbessern. Auf der Schwelle, die beide trennt und verbindet, wartet „HAL", damals wie heute. Sein Auge verspricht Sicherheit und ist doch zugleich bedrohlich. Es ist das Auge eines wilden Riesen und das eines sanften Beschützers, das Auge Polyphems und das Auge Gottes. Selbst wenn wir uns auch längst daran gewöhnt haben, fast überall permanent von Kameras beobachtet und überwacht zu werden, seit der Türhüter „HAL" über uns wacht, wissen wir, dass es dieses kalte Auge ist, das Angst in Sicherheit, aber auch Schönheit in Schrecken verwandeln kann. Und kein Entkommen.

Türstation mit Kamera von Phoenix Design für Gira, Foto © Gira
Acero Türstation mit Video von Ritto, Foto © Ritto
SKS Türstation von SKS Kinkel, Foto © SKS Kinkel
Verrano Video Türstation von Ritto, Foto © Ritto
„HAL 9000" aus Stanley Kubricks Film „2001 – Odyssee im Weltraum“
Compact-Select-Set von Eberhard Meurer für Siedle, Foto © Siedle
Individual Etagenklingel/-station von Lippert, Foto © Lippert
Classic Video-Sprechanlage von Siedle, Foto © Siedle