Drei Fichtenholzbretter und eine Rundholzstange: Fertig ist die Möbelikone. Der „Ulmer Hocker" ist einfach, schlicht und minimalistisch. Und dabei eines der vielseitigsten Möbel, das man sich nur vorstellen kann. Denn der nur 2,1 Kilogramm schwere Holzquader ist nicht nur ein mobiler Sitz, sondern auch Tritthocker, Beistelltisch, Regalelement, Transportbehälter, Serviertablett oder Tischaufsatz.
Vor allem aber ist dieses Alltagsmöbel ein Statement. 1954 entwarf Max Bill den Hocker für die neu gegründete Hochschule für Gestaltung Ulm. Der Schweizer Gestalter – Architekt, Maler, Grafiker und Designer in Personalunion – war Mitbegründer der legendären Einrichtung, die sich als legitime Nachfolgerin des Bauhauses verstand. Der „Ulmer Hocker" entstand quasi aus der Not heraus, trotz fehlender finanzieller Mittel ein günstiges Sitzmobiliar für die Studenten zu entwickeln. Gemeinsam mit dem Dozenten Hans Gugelot und dem Schreinermeister Paul Hildinger entstand eine kantige Minimallösung, die bald schon exemplarisch für die Idee des in Ulm propagierten Produktdesigns stand. Durch seine reduzierte, funktionale und vor allem kostengünstige Form wurde er zum Symbol für ein ganz neues Gestaltungsverständnis. Dass das Sitzen auf dem Hocker nicht unbedingt bequem war, tat nichts zur Sache. Als das neue Hochschulgebäude 1955 eröffnet wurde, besaß jedermann, sei es Studenten oder Dozenten, einen „Ulmer Hocker" – das Drei-Brett-Universalmöbel wurde zum zentralen Möbelstück der Designschmiede.
Klassiker in aufgefrischter Form
Der „Ulmer Hocker" ist eines der bekanntesten Möbelstücke Max Bills. Nun wird die geniale Erfindung, dessen Produktion der bisherige Lizenznehmer Vitra 2009 eingestellt hatte, neu aufgelegt. Der Designklassiker ist Teil der Max-Bill-Möbelkollektion, die Wohnbedarf im September lancierte. Ein großer Erfolg für das 1931 gegründete Zürcher Möbel- und Einrichtungsgeschäft, denn einige der Stücke sind noch nie oder lange nicht mehr produziert worden. Jakob Bill, Sohn und wichtigster Erbverwalter Max Bills, öffnete nun für Wohnbedarf die Archive, schloss einen Vertrag über die exklusiven Produktions- und Vertriebsrechte der Möbel ab und entwickelte zusammen mit Wohnbedarf die Reedition – aus nachhaltigen Materialien und mithilfe neuster Technologien. Ein folgerichtiger Schritt für Jakob Bill, der sich wie sein Vater der Konkreten Kunst verschrieben hat. „Ich habe mich aus Traditionsgründen dazu entschlossen. Mein Vater ist eng mit der Geschichte von Wohnbedarf verbunden." Schließlich stammt von Max Bill nicht nur das einprägsame Firmenlogo, er zeichnete auch jahrelang für die Grafik des Unternehmens verantwortlich.
Bill war einer jener Gestalter, mit denen sich die Gründer von Wohnbedarf – der Architekturhistoriker Sigfried Giedion, der Architekt Werner Max Moser und der Kaufmann Rudolf Graber – umgaben, um den Dingen des Alltags eine neue zeitgemäße Form zu geben. Schnörkellos, funktional und in Serie gefertigt – so waren die Möbel geplant, die die Wohnungen der Schweizer erobern sollten. Die Idee dahinter hatte durchaus erzieherischen Anspruch, denn es galt, Lebensform und Wohnkultur zu einer Einheit zu verbinden. Dafür baten die drei Wohnbedarf-Gründer Vertreter der Avantgarde wie Marcel Breuer, Alvar Aalto und Le Corbusier, Möbel für ihr Programm zu entwerfen. Schnell etablierte sich Wohnbedarf als „Verleger für gute zeitgemäße Möbel", wie Max Bill es einmal beschrieb.
Die Kunst der Reduktion
An diese Tradition habe man wieder anknüpfen wollen, erklärte der heutige Wohnbedarf-Chef Felix Messmer. „Back to the roots lautet unser Motto. Wir möchten wieder eine eigene feine Kollektion produzieren". Den Anfang machte das Haus, das sich in den vergangenen Jahren auf das Handelsgeschäft mit Designklassikern und ausgewählten Neuheiten konzentriert hatte, mit einer limitierten Edition von Möbeln des Wohnbedarf-Mitbegründers Werner Max Moser. Pünktlich zum 80. Geburtstag von Wohnbedarf folgte die Neuauflage ausgewählter Bill-Möbel. Unter den sieben Produkten darf natürlich der „Dreibeinstuhl" nicht fehlen. 1949 für Wohnbedarf entworfen, sind die Originale heute eine gesuchte Rarität. Für den kühnen Entwurf erhielt Bill die Auszeichnung „Die Gute Form" des Schweizerischen Werkbunds. Auch der „Kreuzzargenstuhl" aus dem Jahr 1951 ist längst ein Designklassiker. Der „Quadratrundtisch", ebenfalls 1949 für Wohnbedarf entworfen, war lange Zeit nicht erhältlich. Nun wartet dieses Zeugnis für zeitloses Design darauf, neu entdeckt zu werden. Der Sperrholztisch mit der Linoleumplatte ist einer der wichtigsten Entwürfe Bills – und eines der Schmuckstücke der Reedition. Dank einer Drehung um 45 Grad lässt sich aus der runden Auflage schnell ein quadratischer Tisch zaubern. „Die mathematische Logik, die das Werk meines Vaters kennzeichnet, kommt hier bestens zum Ausdruck", sagt Jakob Bill. In der Tat, die Vorstellung Max Bills von Konkreter Kunst ist hier perfekt in einen Gebrauchsgegenstand umgesetzt.
„Gutes Design ist wenig Design": Bill, dem Botschafter der Guten Form, galten Ökonomie der Mittel und des Preises sowie Funktionalität und Langlebigkeit als oberste Gebote. Seine Entwürfe zielten auf Haltbarkeit und widersetzten sich dem schnellen Konsum. Dabei, so das Universaltalent, sei Schönheit nicht nur das Resultat einer gelungenen Konstruktion. Sie trage vielmehr auch einen Wert in sich. Dies entdeckte heute auch die junge Generation für sich, so Felix Messmer: „Das Interesse an diesen Klassikern hat viel mit Nachhaltigkeit zu tun. Die Zeiten der Wegwerfgesellschaft sind vorbei." Evergreens wie der Ulmer Hocker sind da der geeignete Gegenentwurf.
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