Sein Name allein ist schon Programm. Wenn Konstantin Grcic eine Ausstellung macht, darf man immer gespannt sein. Nie hat es seinen Ansprüchen genügt, Objekte im Museum einfach auf Sockeln abzustellen. Also schien es ihm auch diesmal wenig reizvoll, noch eine weitere Übersicht über die Produkte von KGID zu inszenieren – auch wenn er seinem im Jahr 1986 beginnenden Werkverzeichnis in den letzten Jahren zahlreiche Entwürfe hinzugefügt hat, die man als „typisch Grcic“ bezeichnen könnte – so schwer es manchmal auch fallen mag, genau zu bestimmen, worin das Typische seiner Designs besteht. Sicher, auch im Vitra Design Museum in Weil am Rhein begegnet man Grcics ikonischen Entwürfen – als Studie, Prototyp oder fertiges Objekt.
Nichts fehlt, alle sind sie da – „Mayday“ und „OK“, „Pallas“ und „Chair One“, „Pro“ und „Medici“. „Bishop“ trifft auf „Tom Tom & Tam Tam“, „Square“ auf „Chaos“, „Miura“ auf „Landen“. Selbst das Allerneueste wird in Gestalt der gläsernen Möbel der Serie „Man Machine“ und dem Schreibtischstuhl „Artek Chair“ aufgeboten. Doch auch wenn fast alles, was ausgebreitet wird, von Konstantin Grcic stammt, ist „Panorama“ keine gewöhnliche Design-Ausstellung. Wenn die Schau aber keine Parade von Stühlen, Tischen, Sesseln, Liegen und Leuchten ins Szene setzt, was zeichnet sie dann aus?
Ihr besonderer Reiz besteht ohne Zweifel darin, dass Grcic nicht nur fertige Produkte und Studien, also irgendwelche Objekte präsentiert, sondern unterschiedliche Kontexte durchleuchtet und gestaltet, in denen sie produziert und genutzt werden.
Gegliedert in „Life Space“ – „Work Space“ – „Public Space“ – „Object Space“ eröffnet Grcic vier verschiedene Perspektiven auf Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft unseres Lebens, auf dessen Wandel und die Möglichkeiten, ihn zu gestalten. Ergänzt durch Saaltexte, die seinen Blick auf den jeweiligen Bereich erläutern und angereichert mit zahlreichen Hintergrundinformationen, wagt er in unterschiedlichen Installationen Prognosen für die nahe Zukunft.
Mutig springt Grcic mitten hinein in Räume, die nicht nur verschiedene Funktionen besitzen, sondern unterschiedliche Bedingungen, Prägungen, Abhängigkeiten und Zusammenhänge offenbaren. Er versetzt den Betrachter in Sphären, in denen die Dinge nicht länger isoliert auftreten und fängt deren Charakteristika in narrativen Netzen und fiktiven Szenerien ein. Er nimmt seine Tätigkeit und seine Lebensform als Designer überraschend wörtlich, zeigt, was gestalten für ihn bedeutet und breitet es exemplarisch aus. Ohne den Gestus des Visionärs, in der Sache präzise, im Auftreten – wie es seine Art ist – bescheiden und ohne Allüren, skizziert Grcic, wie sich jene Räume, öffentliche und private, in den kommenden 10 bis 15 Jahren entwickeln könnten, in denen wir uns tagtäglich aufhalten und bewegen, also unser Leben leben. Wie werden wir wohnen? Wie arbeiten? Was prägt den öffentlichen Raum, was die Dinge, die wir um uns haben und nutzen, was ihren Status?
„Ein Raum. Du bist die Fliege an der Wand. Du kannst unbemerkt in eine fremde Welt hineinblicken und stiller Beobachter sein. Wohnt hier jemand? Und wer? Was heißt überhaupt wohnen? Es finden sich Spuren eines Menschen – Möbel, Utensilien, persönliche Dinge. Eingeschoben in das Tragwerk einer monotonen Rasterarchitektur, ist der Raum zunächst nicht viel mehr als eine technische Hülle. Doppelter Boden, abgehängte Decke, provisorische Wände. Im Hintergrund ein Fenster, das den Raum verortet: im Sichtfeld ein Flughafen, wahrscheinlich am Rande einer großen Stadt. (...)“
Grcic stellt zur richtigen Zeit die richtigen Fragen. Vor allem macht er deutlich, wie fundamental unsere Lebenswirklichkeit sich verändert. Wie werden wir wohnen, wie leben zwischen physischem und virtuellem Dabeisein? Wo ist der Ort, an dem wir verarbeiten, was wir erleben, wenn wir wirklich in einem Raum anwesend sind und doch zugleich virtuell an so vielem anderen teilnehmen? Wie sieht der Raum aus, an dem uns Informationen zufließen? Leben wir mehr und mehr auf einer kleinen individuellen Bühne, die zugleich so etwas wie unser Basislager ist? Übernimmt ein Raummodul, in dem einige uneingelöste Wünsche der Moderne wiederkehren, die Aufgabe einer Versorgungseinheit, die alles Nötige bereithält? Was bedeutet das für die Möbel, die wir nutzen?
Grcic ist kein Skeptiker, der den Fortschritt bekämpft. Sein Augenmerk gilt der Frage, wie sich die Neuerungen, die unseren Alltag verändern, handhabbar und für uns nutzbar machen lassen. Immer und überall online, heute hier, morgen dort, finden wir uns dann und wann doch in einem privaten, abgezirkelten Bezirk wieder. Es ist kein Zufall, wenn Grcic als eine Inspirationsquelle für seinen Life Space ein Gemälde aus dem 15. Jahrhundert angibt, das sich heute in der National Gallery in London befindet: Antonello da Messinas „Der heilige Hieronymus im Gehäuse“. Abgeschirmt und doch mit der Welt verbunden wie einst der nachdenkend über seinen Büchern brütende Humanist, sind auch wir – heute mittels „plug an play“ – von all dem umgeben, was wir zu brauchen glauben, um mit der Welt, ihren Fragen und Problemen in Kontakt zu bleiben.
Erwächst daraus ein Konflikt? Fallen Zentrum und Peripherie zusammen, wenn man für sich und zugleich überall und mittendrin sein kann? Welche Freiräume entstehen aus der Ertüchtigung des gebauten Raumes, in den Heizung, Klimaanlage, W-Lan, Lautsprecher und vieles mehr eingebaut ist? Brauchen wir nur noch wenige herausragende Möbelstücke – einen Tisch, einen Stuhl, einen Sessel, eine Liege – wenn alles leicht veränderbar ist? Ist unser persönlicher Raum eine Collage unserer Bedürfnisse, der wir unter anderem mittels Möbeln Ausdruck verleihen? Und dann ist da noch der Blick durchs Fenster, auf einen Flughafen, der viele Aspekte der Veränderungen verkörpert, zwischen denen wir uns bewegen, seit wir uns im Transitraum unserer Gegenwart zu orientieren suchen.
Foto © Vitra Design Museum, Mark Niedermann
„Wo bist du? Dieser Ort könnte überall auf der Welt sein. Mitten im Nirgendwo. Als Betrachter stehst du direkt im Szenenbild. Eine Art Werkstatt, der Arbeitsplatz eines Designers, abgeschottet von der Außenwelt, doch gleichzeitig total vernetzt. Etwas Verschwörerisches haftet ihm an, als berge er ein Geheimnis. Der Raum ist dunkel. Black Box, Privileg oder Notwendigkeit, Erwähltheit oder Verdamnis. Wie verändert sich das Berufsbild des Designers in der Zukunft? (...)“
Hier also wird gearbeitet. Hier werden Ideen geboren, hier reifen Entscheidungen. In Grcics Work Space spiegelt und verdichtet sich der Wandel, dem die Arbeitswelt im Allgemeinen und die Tätigkeit des Designers im Besonderen unterliegen. Wohn- und Arbeitsbereiche verschmelzen, neue Technologien verlagern – nicht allein im Design – unsere Aktivitäten von der Hand aufs Auge, um das, was daraus entsteht, hernach mittels neuer Herstellungstechniken wieder gegenständlich werden zu lassen. Alte und neue Techniken bestehen nebeneinander, Neues, Gewohntes und Bewährtes wachsen zusammen. Wir nehmen ein Buch zur Hand, recherchieren aber zugleich in Blogs und Chatrooms. Der Designer entwirft etwas am Computer, baut aber auch ein 1:1 Modell, nutzt also analoge und digitale Werkzeuge.
Lassen sich die unterschiedlichen Technologien nutzbringend einsetzen? Wie sieht die Symbiose aus, die sie offenbar eingehen? Wie kann das eine das andere bereichern, ohne dass sich Zugänge, Methoden, Techniken gegenseitig behindern? Grcics Vorschlag fällt überraschend ehrlich und realistisch aus. Er zeigt, wie es ist, predigt keine Ideologie, malt die Zukunft nicht nur in hellen Farben. Nüchtern führt er vor, wie sich seine eigene Herangehensweise verändert. Er versteigt sich nicht, hält die Fragen offen, ohne sich darum zu drücken, seine Erfahrungen in ein Bild zu fassen. Irgendwo zwischen Forschungslabor, Datenraum und Werkstatt wartet das Neue, das wir noch in einen Begriff fassen können, in seinen Konsequenzen noch nicht wirklich begriffen haben.
„Die Kamera zoomt heraus und öffnet die Sicht auf das große Ganze. Du bist im öffentlichen Raum: Public Space. Du stehst auf einer Plattform mit Blick auf die Welt. Die Aussicht ist überwältigend, erhaben. Eine künstliche Welt, die sich über Tausende Jahre in der Beschaffenheit unseres Planeten eingenistet hat – Gebäude, Straßen, Lichter. Eine Fantasie aus Träumen und Ängsten. Das Bild, das sich dir bietet, ist vielschichtig, facettenreich, niemals eindeutig: ein Vexierbild, das unterschiedliche Wahrheiten zulässt. (...)“
Die öffentliche Sphäre, für Grcic erscheint sie als ein Nicht-Ort, ein Un-Ort, irgendwo dazwischen. Entsprechend vielschichtig, eher verstörend als beruhigend, fällt sein Bild eines öffentlichen Raums aus. Nichts zu sehen ist hier von grüner Stadt, Kaffeehausgeplauder und Gemüseanbau auf der Dachterrasse. Nichts von Stau und vernetzter Mobilität. Im Gegenteil. Wir betreten ein umzäuntes Terrain, das ein- oder ausgrenzt, den eigenen Standort bestimmt im Umkreis urbaner Utopien und Dystopien. Bürger, Unternehmen, der Staat, die Medien – hier treffen viele Interessen aufeinander. Umgeben ist der leere, kahle Platz – den sich einige Exemplare des „Chair One“ mit dem wie das zurückgelassene Landegestell einer Mondfähre wirkenden Sitzobjekt „Landen“ teilen – von einem Panorama, auf dessen Ästhetik und Gehalt Grcic bewusst keinen Einfluss genommen hat. Am Computer „gemalt“ hat es der Filmkünstler Neil Campbell Ross. Entstanden ist eine entrückte Szenerie, in der Elemente existierender Städte, Fragmente seltsamer Landschaften und industriell geprägter Areale mit Science-Fiction-Motiven verschmelzen. Und tatsächlich – Grcic gelingt es, die Ambivalenzen, die Öffentlichkeit als Ort prägen, in einem Vexierbild einzufangen, in dem sich Hoffnungen und Ängste vermischen.
Foto © Vitra Design Museum, Mark Niedermann
„Über die Jahre ist in meinem Studio ein Archiv der Dinge gewachsen. Unter die eigenen Designprojekte mischen sich hier fremde Objekte, Referenzen, Materialien, Fundstücke, Kunstwerke. Wie in einem Dominospiel sind sie aneinandergereiht, ihre Ordnung folgt einer einfachen Logik: Ein Objekt erzählt eine Geschichte, die auf das nächste Objekt verweist, das wiederum an die Geschichte des nächsten anknüpft, und immer so weiter. Es gibt keine Chronologie, nur den bunten Faden durch die frei assoziierte Erzählung. (...)“
Die Welt als filmisches Narrativ in der Vitrine. Object Space umreißt Grcics eigenen Kosmos. Es ist ein persönlicher Ort, an dem der Betrachter vieles erfährt über Grcics Art, Gedanken und Dinge zu ordnen, Beziehungen zu knüpfen, sich inspirieren zu lassen. Stühle, Bücher, Bilder, Haushaltsgeräte, Leuchten, ein Kleiderbügel mit Bart – all das bildet einen Fundus aus Dingen und Ideen, Vorbildern und Fundstücken. Was man auch betrachtet, es steckt voller Verweise und Querverbindungen, voller Assoziationen und Geschichten.
Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Plakat und Katalog einer Ausstellung von Marcel Duchamp, daneben der von dessen Flaschentrockner inspirierte Abtropfständer „Wanda“, aber auch Kataloge von Carl Andre und Haim Steinbach verweisen auf Künstler und deren Werke. „Box“ von Enzo Mari in Gelb, Grcics Lieblingsstuhl, eine Archivbox aus demselben Kunststoff und ein Reclam-Heft mit E.O. Plauens Bildergeschichten von „Vater und Sohn“ sind über die Farbe miteinander verbunden. „Missing Object“ steht neben einem Macintosh Classic, was den Einschnitt des rätselhaften Objekts in die Nähe eines Bildschirmfensters rückt. Ein Plakat des 1000-Kilometer-Rennens von Monza aus dem Jahr 1971 verbindet sich mit der wie die Steilkurve der Rennstrecke geformten Rückenlehne von Grcics Stuhl „Monza“ von 2009 ... und ... und ... und.
Was hier versammelt ist, gleicht ebenfalls nur auf den ersten Blick einer konventionellen Designausstellung. Denn auch der Blick in dieses „Archiv der Dinge“ geht weit darüber hinaus. Er zeigt: Alles hängt mit allem zusammen, Ideen mit Objekten, Farben mit Erinnerungen und Vorlieben, Formen mit naheliegenden oder weit hergeholten Bezügen. Zusammengehalten werden die Teile von der Person, von Konstantin Grcic, der all das in eine Ordnung bringt, die von ihm selbst und von seiner Art erzählt, etwas zu betrachten und zu gestalten. Auch wenn die Ordnung kontingent bleibt, Geschichte und Geschichten von einem anderen auch anders erzählt werden könnten. Schnell wird einem klar: Objekte sind nicht nur Objekte.
Foto © Vitra Design Museum, Mark Niedermann
Hat man, am besten mehrfach, die Räume und Installationen der Ausstellung durchwandert, so stellt man fest: Konstantin Gricic ist ein anregendes Panorama unserer Zeit gelungen. Er zeichnet ein komplexes Bild, in dem Raum und Zeit und Geschichte einander durchdringen, ein Bild, das von und mit Objekten und Ideen und Bildern erzählt, die im Prozess des Gestaltens auftauchen, wieder verschwinden, die inspirieren und erschrecken können. Mag Grcics Panorama im Ganzen auch so nüchtern und sperrig ausfallen wie viele seiner Entwürfe – diese Bilder von Gegenwart und Zukunft werden uns noch lange im Gedächtnis bleiben. Ob sie Versprechen oder Mahnung sind oder beides, lässt ein Designer, der um seine und unser aller Verantwortung weiß, bewusst offen.
Konstantin Grcic „Panorama“
Vitra Design Museum Weil am Rhein
bis 14. September 2014
Täglich 10 – 18 Uhr
Vom 1. Februar bis zum 24. Mai 2015 am
Z33 – House for contemporary art in Hasselt.
Weitere internationale Stationen werden später bekannt gegeben.
Der Katalog, hrsg.v. Mateo Kries und Janna Lipsky,
ist in einer deutschen und englischen Version erhältlich
und kostet 69,90 Euro.