MOBILITÄT
Stadt im Wandel
Anna Moldenhauer: Herr Becker, was fällt Ihnen beim Begriff "autoreduzierte Innenstadt" spontan als Erstes ein?
Torsten Becker: Straßen, Plätze, auf denen sich viele Leute begegnen und ungestört von Lärm und Abgasen das städtische Leben genießen können. Im Grunde das, was die europäische Stadtkultur ausmacht.
Wie sollte eine ideale Innenstadtgestaltung Ihrer Meinung nach aussehen?
Torsten Becker: Da gibt es einige wichtige Punkte. Es wäre wünschenswert, dass man die Autos aus der Innenstadt raushält, indem man sie am Rand abfängt, und vermehrt Parkmöglichkeiten in Garagen anbietet. Der öffentliche Raum bedarf einer ansprechenderen Gestaltung, sauberer und mit breiteren Gehwegen. Zudem braucht es mehr Grün im Stadtbild, auch um an heißen Sommertagen Schatten zu bieten. Die Innenstädte sollten derzeit verstärkt an den Klimawandel angepasst werden.
Was planen Sie speziell für Frankfurt am Main?
Torsten Becker: Die Stadt Frankfurt ist Teil des Programms "Post Corona Innenstadt" des Bundesinnenminsteriuns für eine resiliente Stadtentwicklung. Teil der Debatte ist die Umgestaltung des öffentlichen Raums. Wir arbeiten da im Moment eher an den Grundsätzen. Dazu gehört die Nutzung der Erdgeschosse der Gebäude in der Innenstadt. Diese Flächen sollten vermehrt für eine Mischnutzung geöffnet werden aus Handel und Cafés, Büroflächen, sozialen Einrichtungen et cetera. Es wäre wünschenswert, wenn die Architektur mehr nach den Bedürfnissen der Fußgänger ausgerichtet wäre, statt nur den Autofahrer in den Fokus zu setzen.
Von Autofahrern kommt in der Diskussion um autofreie, bzw. autoreduzierte Innenstädte oft das Argument, dass ihre Belange nicht gehört werden und durch die Beruhigung der Innenstädte ein chaotischer Ausweichsverkehr entstehen würde. Der Schlagabtausch wird mitunter sehr emotional geführt. Wie begegnen Sie diesen Gegenstimmen?
Torsten Becker: Im Grunde muss man die Diskussion auch auf der psychologischen Ebene verstehen. Eine autoreduzierte Innenstadt suggeriert für viele Autofahrer in erster Linie einen Verzicht auf gewohnte Freiheiten. Daher ist es wichtig die positiven Faktoren besser zu erläutern, dass die Veränderung mehr Lebensqualität für Alle bedeutet. Das ist auch ein Thema, dass in der Diskussion um den verkehrsberuhigten Mainkai in Frankfurt am Main meiner Ansicht nach zu kurz kam. Davon abgesehen beruhigt es zu sehen, dass im Grunde jede Stadt, die sich dieser Thematik in den letzten Jahren erfolgreich gestellt hat, sei es Zürich, Kopenhagen oder Barcelona, ähnliche Hürden zu bewältigen hatte und die Bevölkerung schlußendlich von der Neugestaltung des Stadtraums profitiert.
Also ist der Erfolg des Konzepts auch eine Frage der Kommunikation?
Torsten Becker: Ja, und auch der Ehrlichkeit. Das Versprechen einer Verkehrspolitik, die für alle nichts ändert, lässt sich nicht einlösen. Man muss klar aufzeigen, es braucht für mehr Lebensqualität im öffentlichen Raum mehr Platz für Fußgänger. Und das heißt im Umkehrschluss der Freiraum für Autos muss reduziert werden.
Zu den bisherigen Maßnahmen in Frankfurt am Main gehören neben der Sperrung des Mainkais für den Autoverkehr auch Pläne für einen fahrradfreundlichen Grüneburgweg und Kettenhofweg wie eine Umgestaltung des Schweizer Platzes. Warum lohnt sich dieser Flickenteppich aus Ihrer Sicht?
Torsten Becker: Es braucht beides, den langfristigen Gesamtplan wie die schnelle Umsetzung an einzelnen Stellen. Die Erstellung eines städtischen Verkehrsplans dauert viele Jahre, da lohnt es sich parallel mit kleinen Projekten stückweise Erleichterung bringen, wie mit dem Radentscheid für Stadtabschnitte. Die Bürger müssen sehen, dass sich nach den Diskussionen etwas zum Guten verändert und dass schnell Erfolgserlebnisse einsetzen.
Um so auch eine schnellere Umgewöhnung zu unterstützen?
Torsten Becker: Ja, auch. Wenn man zu lange Maßnahmen verspricht ohne zu handeln, werden sie von der Bevölkerung nicht mehr unterstützt. Mit den Ad-hoc Umsetzungen kann man hingegen zeigen, dass das Konzept funktioniert und sich so stückweise in der Verkehrsplanung vorarbeiten.
Gibt es einen Punkt, der Ihnen in der Diskussion aktuell noch fehlt?
Torsten Becker: Ich würde mir ein Umdenken im Verständnis der Innenstadt wünschen. Auf dieser Fläche muss es nicht zwangsläufig eine große Ansammlung des Einzelhandels geben. Das Modell der Innenstadt als Einzelhandelszentrum, auch im Verbund mit dem Zugang für Autos, gibt es in Europa im Grunde erst seit den 60iger Jahren, das Konzept wurde aus den USA übernommen. Die europäische Innenstadt war zuvor über Jahrhunderte kleinteiliger geprägt, wurde vielfältiger und lebendiger genutzt. Die Innenstadt sollte neben der Fläche für den Einzelhandel auch wieder als Kultur- und Bildungsstandort, wie als Wohnort verstanden werden.
Sie sind aktuell in der Bürgerinitiative "Making Frankfurt" aktiv, was ist hier das Ziel?
Torsten Becker: Wir engagieren uns für eine Fahrrad- und Fußgängerfreundliche Innenstadt, für mehr Lebensqualität. Im Zuge der Diskussion um den verkehrsberuhigten Mainkai wurde beispielsweise außer Acht gelassen, dass dieser - wie auch der Römer - einmal ein sehr vielfältiger Raum war. Wir wollen zeigen, dass man die Gewohnheit, die Stadt über die Autonutzung zu definieren, zum Guten verändern kann. Es gibt derzeit viele nachhaltige Ansätze in der Planung, um Seh- wie Nutzungsgewohnheiten für mehr Aufenthaltsqualitäten anzupassen, sei es mit Blick auf die Mainzer Landstraße, die Schweizer Straße oder die Berger Straße. An vielen Stellen macht es einfach keinen Sinn, dass Autos durch enge Schluchten fahren müssen und Radfahrer wie Fußgänger sich dort nicht entspannt bewegen können. Die Phase der autogerechten Stadt ist vorbei.