NEW WORK
Wende der Arbeitswelt
Als 1994 mit den Bauarbeiten für das neue Kontorhaus an der Friedrichstraße begonnen wurde, hörte man die Wiedervereinigung noch knistern und Senatsbaudirektor Hans Stimmann prägte seit drei Jahren das Baugeschehen der jungen Bundeshauptstadt. Keine 500 Meter Luftlinie zum ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie durfte Joseph Paul Kleihues den Block zwischen Friedrich-, Mohren- und Kronenstraße mit fünf neuen Häusern um den Bestand von 1900 schließen. Für die Gestaltung der Straßenfassaden lud er die Architekten Klaus Theo Brenner, Vittorio Lampugnani mit seiner Frau Marlene Dörrie sowie Walter Stepp ein – 1997 ist das siebengeschossige Kontorhaus mit den markanten Natursteinfassaden fertiggestellt. Es waren Zeiten des Aufbruchs, aber vor allem: Zeiten der Traufhöhen, der strengen Fassaden und der kritischen Rekonstruktion. Kein unumstrittenes Erbe für das heutige Berlin.
Stand Haus A zuletzt zwei Jahre lang leer, bringt seit diesem Spätsommer der Anbieter The Office Group, kurz TOG, aus Großbritannien neues Leben in das Ensemble aus den zwei Epochen. Ihr Grundkonzept wendet dabei das klassische Coworking-Modell in einem Maßstab an, der auch für größere Unternehmen attraktiv ist – und dabei stets flexibel bleibt. Umgestaltet und neu gedacht wurde das Innere der Neunziger-Jahre-Büroarchitektur von dem interdisziplinärem Studio Weiss–heiten aus Berlin in Zusammenarbeit mit den Inhouse-Designern von TOG. Weil sich ein Teil der Workspaces im angegliederten, denkmalgeschützten älteren Gebäudeteil über dem legendären Kronen Café befindet, ergibt sich durch die uneinheitlichen Höhen der Geschosse zwischen Alt- und Neubau eine angenehme Orientierungslosigkeit. "Keine Etage ist wie die andere", kündigen Country Manager Philipp Schulz und TOG’s Head of Design Nasim Köerting beim Rundgang durch das Bürolabyrinth an. Und auch jedes Treppenhaus und jeder der vier Eingänge sieht anders aus. Es ist ein Haus der Kontraste.
Die Herausforderung einer erschwerten Orientierung im Gebäude haben Birgit Hölzer und Tobias Kohlhaas vom Studio Weiss–heiten bewusst verstärkt, um dem Ensemble etwas Spielerisches zu verleihen. Jede der insgesamt sechs Büroetagen hat zudem eine eigene Farbscala bekommen, um die Bereiche zusätzlich zu definieren. Der Lift führt direkt in das vierte Obergeschoss, wo sich mit Empfang, Lounge und den Meeting-Räumen das neue Zentrum im KontorhausBerlin befindet.
Zur Kronenstraße liegen hier die gediegenen Büroräume mit den hohen Decken, zum überdachten Innenhof orientieren sich die Konferenz- und Tagungsräume. Ruhig ist es überall. Auf dem vor dem Gebäude liegenden Abschnitt der Friedrichstraße werden mit einem Pop-Up-Radweg die Vorzüge emissionsfreier Mobilität getestet. Das Treiben vor den Fenstern zieht lautlos wie in einem Stummfilm vorbei. Die beste Aussicht darauf bieten die Eckflächen jeder Etage. Inspiriert habe sie Berlin selbst, erzählt Kohlhaas. Warme Farben und Materialien wie Eiche und Messing sollen an die Goldenen Zwanziger Jahre erinnern, die vielen, sorgfältig nach ihrem Standort ausgewählten Zimmerpflanzen wieder Natur in das graue Berlin bringen. Der Arbeitstitel "New Romance“ diente den Gestaltern als Startpunkt des Entwurfsprozesses und zieht sich als roter Faden durch das gesamte Projekt. "Wir wollen das Büro für die Menschen wieder inspirierend machen", erklärt Tobias Kohlhaas. Aus diesem Grund sind zum Bespiel im TOG alle Zwischenzonen als Gemeinschaftsbereiche definiert. Mit kleinen Küchen, Bartresen, großen Tischen und Lounge-Bereichen verwandeln sich die Erschließungsflächen in komfortable Aufenthaltsräume. Hier soll man sich wie im Wohnzimmer eines Freundes fühlen, vertraut und komfortabel. Die mit Korkwänden ausgestatteten Telefonboxen sind als Gegenstück der perfekte Rückzugsort für private Gespräche.
Die Küchen, Bars und Rezeption sind als maßgeschneiderte Einbauten vom Studio Weiss–heiten entworfen, für die mobile Möblierung zeichnet das TOG-Designteam unter Leitung von Nasim Köerting verantwortlich. Dass dabei eine ausgewogene Mischung aus Möbeln von Vitra, Thonet, Carl Hansen, B&B Italia, Gubi, Norman Copenhagen, Montana, Hay, Tecta und vielen mehr entstanden ist, verdankt das Interieur dem ästhetisch hohen Anspruch und der Expertise Köertings. "Jedes Produkt muss absolut gemütlich sein und dabei Kriterien wie Qualität, Produktion, Nachhaltigkeit und Langlebigkeit gerecht werden", postuliert die Londoner Designerin. Der Zukunft des Büros blickt sie mit Optimismus entgegen: Zwar lasse sich konzentriertes Arbeiten sehr gut nach Hause auslagern, aber es gebe bis heute keinen adäquaten digitalen Ersatz für menschliche Interaktion in Persona. "Wir werden immer Büros brauchen." So wie die Architektur der Neunzigerjahre bleibt die Arbeitswelt wandelbar und doch ihrem Wesen treu.