Schade, dass Tunnel soviel Geld kosten. Und so aufwändig sind. Denn eigentlich sind sie die perfekten Problemlöser. Was man nicht sehen soll, verschwindet. Über ihnen blühen Blumen, wachsen mal Bäume, mal neue „urbane“, in anderen Fällen auch schon bestehende Stadtquartiere zusammen. Manchmal brechen sie aber auch ein und zerstören. Zum Beispiel die Illusion der heilen Welt.
Städte kommen an den Fluss, Naturschutzgebiete werden geschützt. Und irgendwo tief unten fahren Autos, Züge, Straßenbahnen. Tunnel sind aber noch mehr. Ein Mythos. Die Tunnel des Alpenraums waren Teil der Reise ins Land der Träume in den 1950er und 1960er Jahren. Und ohne die Tunnel der Bergwerke, ohne die Bergleute und die Kohleförderung wäre der deutsche Wald heute das, was er am Mittelmeer schon lange ist: verschwunden. Ohne diese Tunnel hätte die deutsche Einheitsseligkeit im 19. Jahrhundert kein „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?“ schmettern können. Auch wenn nur noch wenige dieses Lied kennen dürften, geschweige denn seinen Text, ein Gedicht von Eichendorff, sind wir bei dieser Haltung wieder angekommen: Oben, es muss ja nicht gleich hoch da droben sein, breitet sich die Welt frei von Widersprüchen und Wirrnissen, vor allem frei von all den unangenehmen Folgen unseres bequemen Lebensstils aus. Und unten: Blechlawinen, Schienenstränge und Verkehrsschneisen.
Irgendwann zwischen dem 19. Jahrhundert und heute gab es eine Zeit der so genannten Technikgläubigkeit, die so genannt wird, weil wir glauben, dass die Menschen in ihr noch technikgläubiger waren als wir heute. Es war die Zeit der autogerechten Stadt, in der die Menschen in die Tunnel geschickt wurden, damit die Autos oben freie Fahrt haben. In manchen Fällen wurden die Autos auf Hochstraßen geschickt, aber nicht, damit die Menschen ebenerdig wandeln können, sondern damit der Verkehr kreuzungsfrei abgewickelt werden kann, was heute eben unterirdisch passiert. Soviel hat sich also nicht geändert. Auch daran nicht, dass Tunnel praktisch sind, wenn mal etwas so richtig schief geht. Noch bevor der Berliner Flughafen eröffnet wird, soll ein Tunnel unter das Vorfeld gegraben werden, um die Satelliten mit dem Hauptbau zu verbinden; die Satelliten, die man brauchen wird, damit der Flughafen in ferner Zeit nicht schon bei der Eröffnung zu klein sein wird.
Je dichter die Städte werden, je mehr Güter bewegt werden, weil alles jederzeit verfügbar sein soll, je mehr wir uns, aus welchen Gründen auch immer, auf Reisen an immer entferntere Ziele begeben, desto schwieriger wird es, das Bild der heilen Welt da droben aufrechtzuerhalten. Und dann gibt es noch die Orte, die die heile Welt repräsentieren sollen. Im Humboldt-Forum, vulgo Berliner Schloss soll das Bildungsideal des Namensgebers als fröhliche Wissensgesellschaft (sprich: Edutainment) inszeniert werden, als eine Art Hüpfburg für Bildungsbürger. Dort soll auch ein „Bibliotheksangebot realisiert werden“, wie das im Bürokratendeutsch heißt. Die Bücher für dieses Angebot wird man bestellen, sie sollen dann von der Luftlinie fünfzig Meter entfernten Landesbibliothek unterirdisch ins Schloss gebracht werden. Ein grotesker Aufwand.
Der Aufwand ist beim Tunnelbau generell groß. Je nachdem, auf welche Gesteinsschicht man stößt, größer als erwartet. So kostete der Engelbergtunnel der Autobahn A81 wegen der Armierung gegen aufquellenden Anhydrit 850 statt der vorgesehenen 604 Millionen Deutsche Mark. Seit seiner Eröffnung 1999 musste er bereits dreimal saniert werden.
Tunnel kosten. Für Wartung, Entrauchung und Fluchtwege für den Brandfall, und, das weiß man aus eigener Fußgängertunnelerfahrung: für regelmäßige Reinigung. Auch Tunnel für Kröten, Unken, Molche, jene Tiere, die die Naturidentität unserer Welt noch glaubhaft machen sollen, müssen gereinigt werden, weil die lieben Amphibien sich sonst einen Dreck um unseren guten Willen scheren und wider unseres besseren Wissens doch wieder über die Straße hüpfen oder kriechen. Was auch daran liegen könnte, dass in solche Röhren auch Füchse passen, die zur Not Frösche fressen, wenn Gänse rar sind. Bei Schorndorf hat das Regierungspräsidium Stuttgart sechs solcher Tunnel unter einen Straßenabschnitt von 400 Metern bauen lassen, was immerhin 650.000 Euro gekostet haben soll, obwohl in einem Bericht des Rechnungshofs schon vorher zu lesen war, dass „sogar der behördliche Naturschutz einräumt, dass die Tiere die Querungstunnel eher meiden“.
Und dann sind da noch die Geschichten von plötzlichen Löchern im Garten, absinkenden Häusern, vom Kölner Stadtarchiv einmal zu schweigen. Tunnel sind die dunkle und schmutzige Seite des Traums der Versöhnung mit Geschichte und Natur, von der widerspruchsfreien Welt, die wir meinen, so einfach haben zu können. Sie sind ein Äquivalent zur hochtechnisierten und hochsensiblen Fassade, vor die noch ein paar Klinkerbändchen geklebt werden, damit man meint, hier sei nach Urgroßvätersitte gebaut worden, Haltbarkeit Richtung Ewigkeit. Die Urgroßväter wussten aber vielleicht immerhin noch, was Eichendorff im oben erwähnten Gedicht in der zweiten Strophe geschrieben hatte: „Tief die Welt verworren schallt.“ Man muss nur hinhören