SALONE DEL MOBILE 2017
Salone, kritisch betrachtet 03: Kreislaufwirtschaft
Im Auge des Orkans aus herumwirbelnden Salone-Neuheiten wartet nicht allein die Frage nach einer gestalterischen Langlebigkeit. Der eine Woche lang tobende Sturm trübt und erschwert auch den Blick auf deren Pendant, auf nachhaltige, weil recycelte Materialien und Werkstoffe und deren Einsatzmöglichkeiten. Betrachten und Handeln, also Ästhetik und Ethik, Schönheitsempfinden und Verantwortungsgefühl finden nach wie vor nicht leicht zueinander. Das gilt auch für das längst nicht mehr allein am fertigen Objekt orientierte, sondern den gesamten Produktionsprozess mitdenkende und ihn gestaltende Design.
Dabei lässt sich dreierlei feststellen: Erstens überlassen wir Verbraucher das ökologische Denken gern der Politik oder delegieren es an die Industrie, in diesem Fall also an die Möbelhersteller. Mögen andere die Flut des Plastik- und Verpackungsmülls stoppen. Zweitens rümpfen wir Journalisten und Kritiker immer dann die Nase und schlagen uns auf die Seite der Ästhetik, wenn mal wieder eine Sitzschale oder eine Bank aus nachwachsenden Rohstoffen oder recyceltem Kunststoff vorgestellt wird. Nicht minder skeptisch reagieren wir, wenn Marketingabteilungen flächendeckend mit Nachhaltigkeit werben und Firmen die entsprechenden Umweltzertifikate vorweisen. Drittens schließlich unterschätzen wir als Verbraucher nach wie vor, wie lange es in einer hochtechnisierten und arbeitsteiligen Industrie dauert, bis bewährte und am Markt erfolgreiche Produktionsweisen umgestellt werden. Dass das alternative Müll- und Warenkreisläufe sowie Investitionen in erheblichem Umfang erfordert, wollen wir nicht wissen. Kurz gesagt: Möbel aus Recyclingmaterialien tun sich zwar noch immer schwer, spielen aber eine immer wichtigere Rolle. Nicht wenige Hersteller haben das verstanden und setzen bereits recycelte Materialien ein. Zwei Beispiele im Materialbereich sind uns in Mailand besonders aufgefallen.
Eco-oh! und wie man Kunststoff recycelt
Machen wir uns nichts vor, besonders wir Deutschen sonnen uns gern darin, Weltmeister zu sein, nicht nur im Fußball, auch beim Trennen von Müll. Was aus den gesammelten Rohstoffen wird, bleibt weitgehend im Verborgenen. Dabei sind, so kann man bei einem Gespräch am Stand der „Eco-oh!“-Gruppe in der Triennale erfahren, Länder wie Belgien und die Niederlande offenbar längst weiter. Während, so erzählt man uns, in Deutschland nur etwas mehr als ein Drittel des anfallenden Plastikmülls recycelt und der Rest verbrannt werde, sei man bei Eco-oh! schon heute problemlos in der Lage, die neue europäische Recyclingnorm für Kunststoffabfälle aus Haushalten zu erfüllen, die bis zum Jahr 2025 eine Zielgröße von 55 Prozent vorgibt. Mehr noch, mit rein mechanischen Recyclingverfahren sei eine reelle Rohstoffausbringung von 97 Prozent realisierbar.
Ob die Zahlen stimmen, lässt sich auf die Schnelle nicht überprüfen. Fest steht aber: In der Branche tut sich einiges. Während wir als Verbraucher nur schwer zwischen PET-, PE-, PP- und PVC-Kunststoffen unterscheiden können und Folien, Joghurtbecher oder Blumenkübel zusammen in einen gelben Sack stecken oder in eine gelbe Tonne werfen, lassen sich die stark verschmutzten und gemischten Kunststoffabfälle maschinell inzwischen problemlos trennen und reinigen, bevor sie zu Granulaten weiterverarbeitet werden, aus denen neue Produkte entstehen. Eco-oh! hat Beet-Einfassungen und Kompostbehälter aus einfachem Recyclingmaterial ebenso im Programm wie Hohlprofile und Bänke für den Garten oder die Stadt. Die H-Bank etwa besteht aus feinerem, leichter einzufärbendem Material und baut auf Modulen auf, die einfach aneinandergereiht werden. Und mit der Altamira-Kollektion des Künstlers François Blommaerts wagt man sich nun sogar an ein extravagantes Design. Wichtiger als die Frage zu beantworten, ob man diese Bänke gestalterisch für gelungen hält oder nicht, aber ist: Man hat auch ein Material entwickelt, das im Mattenform vorliegt und sich in Formen pressen lässt, was Designer durchaus begeistern könnte.
Really oder wie man Stoff recycelt
Ebenfalls bei industriellen Produktionsprozessen, in diesem Fall bei textilen Stoffen, setzt ein anderes, ebenfalls vielversprechendes Projekt an. „Really“ heißt die Firma, die Wickie Meier Engström, Klaus Samsøe und Ole Smedegaard 2013 gegründet haben. Inzwischen ist Kvadrat mit 52 Prozent an dem Unternehmen beteiligt.
Really widmet sich dem Upcycling von Abfällen aus Baumwolle und Wolle, wie sie sowohl bei der Textil- und Modeproduktion, als auch in Form von Altkleidern in Haushalten anfallen. Aus den freigesetzten Textilfasern fertigt Really unter Zugabe reversibler Binder eine „Solid Textile Board“ genannte hochdichte Bauplatte, die als Alternative zu MDF-Platten beim Innenausbau ebenso eingesetzt werden kann wie im Möbeldesign. Wie es aussehen kann, wenn daraus Bänke, Tische oder Regale entstehen, haben in Mailand Max Lamb und Christien Meindertsma anhand einiger Beispiele demonstriert. Denn auch in Textilbereich gilt: 95 Prozent der benutzten Textilien könnten recycelt werden, aktuell sind es aber nur 25 Prozent.
Man sieht: Was Materialien angeht, die aus dem Recycling oder Upcycling von Abfällen entwickelt werden, stehen wir erst am Anfang. Designer, die ethisch und ästhetisch verantwortungsvoll handeln, werden sie sicher bald auf ihre Tauglichkeit hin testen. Dann gibt es noch den Markt – und uns als Käufer und Verbraucher, die wir nicht abstrakt von der ökologischen Notwendigkeit solcher Materialien überzeugt, sondern von konkreten Produkten dafür begeistert werden wollen. Der Rest ist Styling, und das gibt es immer noch zuhauf.