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Fassade Projekt N°2006 WBZ, Two Houses with a Wooden Grid, Am Bellikersteig, Zürich

NACHHALTIGKEIT
Geschichte weiterschreiben

Ein Wohnhaus in Holzbauweise mitten in Zürich gehört zu den aktuellen Projekten des Büros Think Architecture. Die Gründer Marco Zbinden und Ralph Brogle schildern ihre Arbeitsweise.
von Judith Jenner | 26.07.2023

Ein neues Wohnhaus auf der grünen Wiese mitten in Zürich? Das ist selten. Denn die Schweizer Stadt ist bereits eng besiedelt und Bauland Mangelware. Um dringend benötigten Raum zu schaffen, kommt daher nur Nachverdichtung in Frage. Für ArchitektInnen nicht immer eine dankbare Aufgabe, denn sie müssen sich mit begrenzten Gegebenheiten arrangieren und auf den Bestand Rücksicht nehmen. Für Marco Zbinden und Ralph Brogle, die 2008 das Büro Think Architecture gründeten, ist Letzteres eine Maxime ihrer Projekte. Neben denkmalpflegerischen Arbeiten setzen sie vor allem Wohnprojekte um. Im lichtdurchfluteten Büro mit Blick auf den Zürichsee zeigt Marco Zbinden Renderings der zwei im Bau befindlichen Vollholzbauten in leichter Hanglage. Das Besondere: Sie kommen komplett ohne Wärmedämmung aus. Allein eine 40 Zentimeter dicke Holzschicht aus besonders resistentem Schweizer Mondholz sorgt für eine natürliche Isolation.

Traditionsbauweise trifft moderne Architektur

Sichtbar ist die Holzkonstruktion in den gleichen Dimensionen auch in den Innenräumen. Fast erinnern die dunkel gestrichenen, sichtbaren Träger an modernes Fachwerk. Eine "ehrliche Art zu konstruieren" nennen es die ArchitektInnen. Die Gitterträger kommen ohne Schrauben und Leim aus, eine eher in ländlichen Gebieten verbreitete Bauweise, zugeschnitten auf die Bedürfnisse in der Stadt. Diese Art zu bauen bedeutet letztlich auch eine bessere Recyklierbarkeit – ein Thema, das für Think Architecture in den vergangenen Jahren an Relevanz gewann. "Nachhaltigkeit ist eine der großen Aufgaben für uns als ArchitektInnen. Wir müssen den Rückbauprozess zukünftig mitdenken", sagt Marco Zbinden. Für ihn bedeutet Nachhaltigkeit aber mehr als physikalische Kennwerte, sondern auch ästhetische oder funktionale Aspekte. "Wenn ein Gebäude auf sämtlichen Ebenen funktioniert und vielen Menschen über einen langen Zeitraum Freude bereitet, ist es unserer Meinung nach nachhaltig", sagt er. Zu ressourcenschonendem Bauen könnte perspektivisch der Einsatz von Re-use-Bauteilen beitragen. Die Digitalisierung und Inventarisierung biete Potentiale, diese leichter zugänglich zu machen.

In den Vollholzbauten im Zürcher Zentrum wollen die ArchitektInnen beides verbinden und eine sowohl gestalterische als auch bauliche Nachhaltigkeit erreichen. In Zeiten von teurem Bauland betrachten sie es als die Aufgabe von ArchitektInnen, das Wohnen auf kleinem Raum spannender zu machen. "Die Frage lautete für uns: Wie lassen sich diese Grundrisse neu interpretieren, ohne dass die begrenzte Fläche als Verzicht wahrgenommen wird?", sagt Ralph Brogle.

„Nachhaltigkeit ist eine der großen Aufgaben für uns als ArchitektInnen. Wir müssen den Rückbauprozess zukünftig mitdenken.“

Marco Zbinden, Think Architecture
Zonierung, Projekt N°2006 WBZ, Two Houses with a Wooden Grid, Am Bellikersteig, Zürich

Vier Räume im einem

Das sichtbare Raster des Holzbaus zoniert die jeweils 60 Quadratmeter großen Wohnungen in vier Quadranten. Jedem ist eine Funktion zugewiesen, Kochen und Essen sowie das Wohnen besetzen die beiden Flächen Richtung Aussicht. Dahinter befindet sich ein flexibler Schlafraum sowie die Erschließung und eine kleine Nasszelle. Alle Räume, abgesehen vom Bad, lassen sich durch Falt- und Schiebetüren zueinander öffnen, was eine großzügige Raumwirkung erzeugt. "Für die BewohnerInnen sind verschiedene Szenarien sind denkbar. Die Wohnung lässt sich komfortabel zu zweit bewohnen. Es ist Platz, um Gäste zu empfangen oder um von Zuhause aus zu arbeiten", erklärt Marco Zbinden. Damit die weite Sicht auf die Wolkenkratzer der Stadt nicht durch Balkonmöbel verstellt wird, entschieden sie sich lediglich für einen Witterungsschutz. Über bodentiefe Fenster öffnen sich die Wohnungen zur Umgebung. Auch der Innenausbau kommt aus der Hand von Think Architecture. Die Türen und Küchenmöbel sind in Eiche gehalten, während für die Konstruktion Fichte verwendet wurde. Kalkputz für die Wände sowie mineralische Böden schaffen ein gesundes Raumklima.

Nachverdichtung auf dem Land

Ein ganz anderes Projekt von Think Architecture, das bereits bewohnt ist, befindet sich auf dem Land in Kilchberg. Direkt neben der Kirche auf dem Pfarrgrundstück setzten sie sich im Wettbewerb mit einem passenderweise kreuzförmigen Bau samt zwölf Wohnungen durch. Wer das Haus betritt, wird von einem Oberlicht empfangen, das eine nahezu sakrale Wirkung im Treppenhaus erzeugt. Der ungewöhnliche Grundriss bringt viele Vorteile mit sich. So bekommen die Wohnungen durch die vor- und zurückspringende Fassade von allen Seiten Licht und bieten spannende Ausblicke in die Umgebung.

"Auch bei diesem Projekt war uns der Einsatz natürlicher Materialien sehr wichtig", sagt Marco Zbinden. Think Architecture verwendete atmungsaktiven Kalkputz für Wände und Decken sowie Eiche für Einbauten und Böden. Ungewöhnlich ist die Fassade aus Stampfbeton, ein Material, das selten im Geschossbau zum Einsatz kommt. "Es stellt eine visuelle Verbindung her zu den Natursteinmauern des Friedhofs und den Umfassungsmauern des Baugrundstücks", erläutert Ralph Brogle. "Mit der Zeit wird es eine Patina und einen leichten Farbverlauf entwickeln und sich auf diese Weise auch optisch mit dem Kirchenareal verbinden." Das Gebäude bietet so eine eigene Präsenz und lässt dennoch eine Integration in den Bestand zu. "Wir möchten aus dem Ort heraus Ideen entwickeln, Potentiale zu erkennen und Geschichte weiterschreiben", so Marco Zbinden.

Küche, Projekt N°1702 WNK, Cross House, Kilchberg, Schweiz