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NACHHALTIGKEIT
Eine realisierte Utopie

Das studentische Bauprojekt The Frankfurt Prototype zeigt, wie günstiger Wohnraum ressourcenschonend und ästehtisch umgesetzt werden kann, integriert ein Ökosystem und schafft in Zeiten der Digitalisierung einen neuen Ort für gesellschaftliches Miteinander.
von Anna Moldenhauer | 03.10.2024

Wo gibt es in einer Großstadt wie Frankfurt am Main noch Baufläche für experimentelle Architektur? Für Räume, die multifunktional nutzbar sind, die der Gemeinschaft offenstehen und Ideen bieten für neue Wohnformen? Im Innenhof des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt zum Beispiel, dank Dr. Brigitte Franzen, ehemalige Direktorin des Frankfurter Senckenberg Museums und frisch gekürte Präsidentin der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach. Auf dieser zentral gelegenen Fläche ist in den letzten Wochen ein interdisziplinäres Projekt entstanden, das zum ersten Mal Frankfurter Studierende aus den Fakultäten Architektur und Kunst zugunsten einer zeitgenössischeren Lehre wie Forschung zusammengebracht hat: The Frankfurt Prototype. "Es ist ein experimentelles Gebäude, das auf zwei drängende Fragen reagiert, auf die ökologische und die soziale Frage. Wir wollten zeigen, wie man mit einem Gebäude umweltschonend, nachhaltig, günstig und würdevoll bauen kann", so Initiator Dr. Niklas Maak, der unter anderem an der Städelschule doziert. Zusammen mit Studierenden der Frankfurt University of Applied Sciences, IngenieurInnen, ArchitektInnen und ForscherInnen ist eine modulare Struktur entstanden.

Als Basis wählte das Team recycelte Stahlträger, die tief in den Boden eingelassen wurden. In diesem Abschnitt konnten die Studierenden bereits zahlreiche Erkenntnisse sammeln, wie man mit unvorgesehenen Herausforderungen und bürokratischen Hürden in der Bauplanung umgeht, denn unter dem Hof befindet sich eines der Heizöllager Frankfurts. Diese Aufgabe haben sie gut gemeistert, wie auch alle folgenden, da für die Holzaufbauten nicht etwa Bäume gefällt wurden: Die Kuben bestehen aus Schalungsholz für den Brückenbau, das sonst entsorgt werden müsste. Neben einem möglichst kleinen CO2-Fußabdruck des Gebäudes sollte auch die Natur selbst einen Platz im The Frankfurt Prototype erhalten – und zwar in Form einer urbanen Filterwand, die die Biodiversität fördert.

Die Flächen sind indes partizipativ gedacht: Der Raum unter den Holzaufbauten kann so für einen Markt, für Vorträge und Events genutzt und bei Bedarf mit silbrig schimmernden Outdoor-Vorhängen aus HDPE-Kettengewirk temporär verschlossen werden. Über den Aufgang erreicht man die öffentliche Terrasse und das parallel dazu installierte offene "Regal", das der Bepflanzung vorbehalten ist und die Funktion einer Biomaschine bieten soll. Die beiden Wohneinheiten sind indes auf der anderen Seite übereinandergestapelt und mit einer innenliegenden Treppe miteinander verbunden. Der Mix aus einflügeligen Klappöffnungen und bodentiefen Fensterflächen sorgt für eine angenehme Versorgung mit Tageslicht und Frischluft. An die obere Wohnfläche schließt zudem eine private Terrasse an. Das Haus böte so ausreichend Platz für eine Großfamilie oder für bis zu sieben Alleinstehende. Zum Start werden diese Flächen für eine Ausstellung des Centers for Contemporary Arts Afghanistan in Exile e.V. genutzt, die nach der Flucht aus Kabul vor dem Terror der Taliban keine physische Möglichkeit mehr hatten, ihre Werke zu präsentieren. "Es gibt einen extremen Bedarf an günstigen Gebäuden. Daher möchten wir eine Typologie schaffen, die skalierbar ist, wie ein Chamäleon wandelbar und in jede Baulücke passt", so Maak. Auch an die passende Möblierung hat das Kollektiv gedacht: Die Studentinnen der Frankfurt University of Applied Sciences Lilly Baumeister, Luisa Host und Celine Hänle haben mit dem "UN BOX. Protoype" ein raumsparendes Architekturmöbel geschaffen, das aus drei Hockern und einem Tisch besteht. Die vier Elemente lassen sich bei Nichtverwendung zu einer praktischen Box zusammenstecken.

The Frankfurt Prototype ist wahrlich ein Frankfurter Original, das neben dem Experiment für eine zukünftige Architektur auch soziale Netzwerke aktiviert und zeigt, wie mittels aktiver Teilhabe ein positives Zukunftsmodell für das gesellschaftliche Miteinander entwickelt werden kann. Schirmherr des Projekts ist Mike Josef, Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, der auch den Bauherrn Arne Kilian mit in die Runde brachte. Darüber hinaus standen den Studierenden ExpertInnen mit Rat und Tat zur Seite, wie die Architektin Yara von Lindequist, der Architekt und Ingenieur Rudi Scheuermann von Arup Engineering, die Architekten Lukas Weder und Nicolai Jasper von Barkow Leibinger Architekten sowie die Architekten Andreas Zahn und Elmar Lorey von Scheider+Schumacher Architekten, der Architekt und ehemalige Städel-Schüler Hormazd Vakharia (Village Studio), Stahlbauer Max Rebensburg, Holzbauer Gerhardt Vogt oder der Statiker Thomas Viereck.

"Wir brauchen positive Zukunftsbilder, wie das Leben mit weniger Ressourcenverbrauch trotzdem angenehm und zuversichtlich sein kann, wie wir ressourcenschonend bauen und diversitätsfördernd leben können. Der Prototyp zeigt Ansätze, wie das gelingen könnte", so Prof. Dr. Barbara Clausen, Direktorin der Städelschule. Drei Monate Standgenehmigung hat das Bauprojekt erhalten, danach könnte es an jeden anderen Ort umziehen und nach individuellem Bedarf dort erweitert werden. "Wir erleben gerade einen enormen, grundlegenden Wandel in der Stadt, in dem die Produktion, der Handel mit Waren, aber auch der Austausch von Informationen in das Internet, in den Onlinehandel und das Homeoffice übergeht. In welchen Räumen möchten wir zukünftig arbeiten und leben? Das sind die Fragen, die wir uns stellen. Das Konzept The Frankfurt Prototype ist der Versuch einer Antwort darauf", so Maak. In den nächsten Wochen soll der Bau ein Ort des lebendigen Austausches werden, inklusive Workshops im Möbelbau und der Kalligraphie. Es ist bereits das zweite zukunftsweisende Experiment, das im Innenhof des Senckenberg Naturmuseum Frankfurt einen Platz gefunden hat: Im Mai 2023 wurde dort der erste Prototyp des Begrünungssystems "VERD°" von OMC°C montiert.