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STYLEPARK TEXPERTISE
Besser trennen

Die effiziente Sortierung gebrauchter Textilien ist für die Kreislaufwirtschaft grundlegend – reverse.fashion hat ein automatisiertes Sortiersystem entwickelt, das künstliche Intelligenz nutzt, um Zeit und Kosten einzusparen. Wie das funktioniert, sagt uns Dr. Karsten Pufahl, Mitglied der Geschäftsführung.
19.12.2024

Anna Moldenhauer: Auf welche Kernthemen kommt es bei der technologischen Entwicklung für die Textilsortierung aktuell an?

Dr. Karsten Pufahl: Die genaue Sortierung steht an vorderster Stelle, denn eine Kreislaufwirtschaft ist nur möglich, wenn alles seinen richtigen Verwertungskanal findet. Ungefähr die Hälfte der Altkleider des globalen Nordens sind noch tragbar. Im Sinne der Abfallhierachie ist es wichtig Sorge zu tragen, dass diese wertvolle Ware aus dem Strom herausgefischt wird. Verfahren wie das Faser-zu-Faser Recycling sind immer noch im Aufbau, denn über Jahrzehnte erfolgte die Trennung der Qualitäten händisch. Dafür fehlt in Europa nun vermehrt das Personal, auch mit Blick auf die steigenden Lohnkosten.

Wo setzen Sie mit Ihrer Technologie an?

Dr. Karsten Pufahl: Der automatisierte Ablauf beginnt mit dem Fotografieren des Kleidungsstücks, das auf dem Förderband liegt. Unterschiedliche KI-Modelle übernehmen dann die Auswertung, um welches Kleidungsstück es sich handelt. Hierfür wird beispielsweise der Hintergrund vom Vordergrund des Bildes getrennt und das Textil in eine der etwa 120 Sortierkategorien zugewiesen, die wir aufgestellt haben. In dem hierarchischen System wird Schritt für Schritt von der KI erkannt, ob es sich beispielsweise um eine Ober- oder Unterbekleidung handelt, um einen Mantel oder eine Jacke, welche Farbe und Marke das Kleidungsstück hat, et cetera. Der größte Faktor ist die Erkennung von Defekten wie Beschädigungen und Verschmutzungen. Auch da gibt es eine eigene Qualitätsskala für die Sortierkanäle. Die KI erkennt die Art der Beschädigung, ob es sich beispielsweise um eine Abnutzung der Fasern, oder um einen Riss handelt. Der Transport in die jeweiligen Kategorien erfolgt mit Hilfe eines Förderbands und Druckluft. Der Mensch muss in diesem Prozess nicht mehr tätig werden und kann sich auf die Aufgaben im Vorfeld fokussieren.

Inwiefern ist die klassische Analyse der Textilien aktuell bereits KI gestützt?

Dr. Karsten Pufahl: Es gibt Pilotanlagen, die materialspezifische Sortierungen mit neuronalen Netzen anbieten, die sind aber noch die Ausnahme. Dahinter steht eine sehr effiziente KI, die aus den Spektraldaten die Materialien generiert. Im größeren Maßstab, wie hinsichtlich einer Bildanalyse, wird die künstliche Intelligenz noch nicht eingesetzt.

Welchen Unterschied wird die Technologie bieten, die Sie und Ihr Team entwickeln?

Dr. Karsten Pufahl: Unser Verfahren ist Zeit- und Kosteneffizienter. Zudem bieten wir eine zielgruppenspezifische Sortierung. Damit können wir Kriterien abdecken, die der Mensch allein nicht erreichen kann. Der Standardprozess besteht aus einer Vorsortierung in ca. 20 Kategorien und einer Feinsortierung der einzelnen Ströme. Jede weitere Kategorie bedeutet, dass mehr Arbeitskräfte benötigt werden. Eine KI hingegen kann diese Sortierung zum Beispiel für bis zu 1000 Kategorien allein umsetzen und je nach Bedarf zügig umkonfiguriert werden. Das ist auch interessant, wenn man eine Saisonware sortieren oder spezifische Trends wie hochwertige Vintage-Ware aufgreifen möchte.

Können Sie sagen, mit welchen Daten die KI trainiert wird?

Dr. Karsten Pufahl: Das ist ein aufwendig generierter Datensatz. Was ich sagen kann, ist dass wir für die unterschiedlichen Herausforderungen individuelle Datensätze genutzt haben. Die KI erhält so in der Bildklassifizierung jeden Tag andere Aufgaben. Zudem sind wir gerade dabei, neuere Daten zu generieren und zu labeln. Es geht in erster Linie um Fehlererkennung, das ist der zeitaufwändigste Schritt, auch mit Blick auf den Entwicklungsaufwand auf unserer Seite. Wir sind mit unseren Entwicklungspartner Remondis hierfür im Austausch.

Dr. Karsten Pufahl

Die Textilien bestehen oft aus einem Materialgemisch oder sind chemisch behandelt, was eine Weiterverarbeitung erschwert. Ist die Bedeutung des Recycling in der Modebranche angekommen?

Dr. Karsten Pufahl: Es mangelt aktuell noch an den Verfahren, die effizient und ökonomisch mit Post Consumer Textilien umgehen können und eben nicht nur mit Pre-Consumer oder Post-Industrial Ware. Das problematische Mindset ist meiner Ansicht nach eher auf Seiten der VerbraucherInnen zu finden, die mehr Textilien konsumieren, als sie brauchen und diese nicht bis zu dem Lebensende des Materials tragen.

Inwieweit ist der Green Deal und der Circular Economy Action Plan von der Europäischen Kommission Teil Ihrer Arbeit, der zum Ziel hat, die Art und Weise, wie Produkte hergestellt und konsumiert werden, durch neue politische Rahmenbedingungen zu verändern?

Dr. Karsten Pufahl: Die Beschlüsse sind Rückenwind für unsere Ideen zu automatisierten Lösungen, da sie die Kreislaufwirtschaft stärken und auch einen anderen Umgang mit Exporten fordern. Es gibt in Europa nicht ausreichend Kapazität für die Sortierung unseres Textilmülls und derzeit stellen sich neue Akteure auf, um der Flut an Textilien zu begegnen.

Laut der Ellen MacArthur Foundation verursacht allein die Produktion von Textilien rund 10 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes pro Jahr. Arbeiten Sie auch an Projekten, die an die Produktion von Textilien adressieren?

Dr. Karsten Pufahl: Unser Fokus bleibt derzeit als B2B Anbieter das Lebensende der Textilien. Allerdings können wir durch unsere Technologie neue Geschäftsmodelle in der Textilindustrie fördern. Durch eine spezifischere Sortierung öffnen sich Fenster in Richtung Second Hand Handel und auch für das Upcycling.

Wie erfolgsversprechend sehen Sie aktuelle Materialexperimente, wie mit Hanftextilien, Ananas- oder Bananenfasern?

Dr. Karsten Pufahl: Ich finde die Experimente mit Blick auf den nachhaltigen Ansatz interessant, kann aber ihren ökologischen Fußabdruck nicht in der Gänze beurteilen. Für uns wäre eher entscheidend, wie man mit diesen Materialien im Recyclingprozess umgehen kann, wenn sie im Markt an Volumen gewinnen.

Wieviel Zeit lassen sich mit der Technologie im Vergleich zu der klassischen Sortierung einsparen?

Dr. Karsten Pufahl: Zwischen 30 und 40 Prozent.

Sie haben an der Technische Universität Berlin in Physik promoviert. Wie können Sie dieses Wissen in Ihrer aktuellen Tätigkeit einsetzen?

Dr. Karsten Pufahl: Als Grundlagenwissenschaft habe ich mich viel mit Optik beschäftigt, aber im Grunde ist der konkrete Inhalt des Physikstudiums für die jetzige Aufgabe nicht relevant, sondern eher die wissenschaftliche Methodik, die man dabei erlernt. Diese lässt sich auf eine andere Anwendung übertragen.

reverse.fashion hat sich aus unterschiedlichen Projekten entwickelt, können Sie den Hergang ein wenig aufschlüsseln?

Dr. Karsten Pufahl: Zwei Forschungsprojekte standen dem zuvor: Das KI-Leuchtturmprojekt CRTX das darauf aufbauende Folgeprojekt fashionsort.ai, unterstützt Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz bzw. dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit in der Textilbranche verändern?

Dr. Karsten Pufahl: Wir wollen vor allem dafür sorgen, dass Textilien den bestmöglichen Wiederwertungskanal finden. Ebenso ist es für uns entscheidend eine zielgruppenspezifische Sortierung anzubieten, die Second Hand Ware attraktiver werden lässt, so dass sie in Zukunft wie bestellt verkauft werden kann. Um diese Prozesse für große Warenmengen zu ermöglichen, braucht es eine Automatisierung.

Können Sie sich vorstellen auf Fachmessen wie Texprocess, Heimtexil oder Techtextil auszustellen?

Dr. Karsten Pufahl: Sobald unsere Lösung marktfertig ist, werden wir das sicher machen.

Woran arbeiten Sie gerade?

Dr. Karsten Pufahl: Wir sind dabei, die Erkennung von Defekten zu perfektionieren.