01.12.2013
Nora Khereddine: Stühle gelten im Design als Königsdisziplin. Warum der Stuhl und nicht der Boden?
Steffen Kehrle: Man sagt, die Gestaltung eines Stuhls sei die Königsdisziplin. Das sehe ich nicht unbedingt so. Es ist schwieriger, einen Stuhl zu entwerfen, als einen Blumentopf, aber ich glaube, dass ein Blumentopf oder eben ein Bodenbelag die gleiche Relevanz haben wie ein Stuhl. Nur kann man sich mit einem guten Stuhl eher profilieren. Das Thema Boden hat keine Priorität – leider auch in der Wahrnehmung. Ich hatte für Böden auch lange kein Bewusstsein. Sobald man aber beginnt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, entpuppt sich der Boden als Fundament: Wir laufen, sitzen, tanzen auf ihm. Er ist die Bühne für alles, der Träger der Möbel. Das macht die Thematik spannend und eröffnet ganz andere Perspektiven. Man könnte zum Beispiel den Straßenbelag neu denken. Wenn man das Thema komplett neu aufrollt, könnten also durchaus auch Bodenbeläge zur Königsdisziplin werden. Es stellt sich jedoch die Frage, wie man „Boden“ als eigenes Thema anpacken kann. Durch die Partnerschaft mit Dura hatten wir erstmalig die Möglichkeit, uns mit dem Thema „Bodenbelag“ recht intensiv auseinanderzusetzen. Das ist das Tolle an unserem Beruf: Neuland zu betreten und mit dem Halbwissen, das wir haben, auf ganz neue Ideen zu stoßen. Halbwissen ist gleichzeitig gefährlich und hilfreich: Nur ein guter Partner hilft mir, mein Halbwissen zu vertiefen, und er ist sogar froh, dass ich kein Fachidiot bin und ganz anders denke. Es kommt vor, dass ich eine Idee habe, die für meinen Partner am Anfang ein wenig unorthodox klingt, die aber im Entwurfsprozess und gepaart mit seinem Wissen zu einem tollen neuen Projekt führt. Da wird es interessant.
Sind Sie anders an das Projekt Teppich herangegangen als beim Entwerfen eines Möbelstückes?
Kehrle: Nein. Es ist immer so, dass wir am Anfang ganz wenig wissen und um ehrlich zu sein, hatte ich bei dem Teppichprojekt erst mal gar keine Ahnung. Also bin ich hingefahren. So hatte ich die Möglichkeit, eine Teppichproduktion hautnah zu erleben, zu sehen, was genau da gemacht wird, was diese Firma kann. Man steht dann mitten in alten Industriehallen mit riesigen Tafting-Maschinen und hat plötzlich tausend Ideen. Wir haben analysiert, was möglich wäre und sind dann mit diesem unkonventionellen, etwas verrückten Vorschlag an die Firma herangetreten. Daraus ist ein Projekt entstanden, das sehr freizügig und speziell ist. Wir machen nun also industrielle Unikate. Die Bezeichnung „industrielles Unikat“ haben wir im Rahmen des Projekts erarbeitet. Das Schöne an dieser Zusammenarbeit ist, dass wir eine Sensibilität für das Thema Boden erlangt haben. Ich habe mit Dura darüber gesprochen, dass ich ein noch viel größeres Potenzial in unserer Zusammenarbeit sehe. Dura hat eine jahrzehntelange Historie. Diverse Muster zeigen, was mit dem Know How des Unternehmens alles machbar wäre. Von mir kamen bereits einige Vorschläge, die Dura auch aufgreift: Das Thema „abgepasste Teppiche“ wird nun viel stärker in den Mittelpunkt rücken. Auf der kommenden Domotex im Januar 2014 präsentiert Dura neben den Kernprodukten vor allem abgepasste Teppiche. Das ist für uns natürlich ein Riesenkompliment und daran merken wir auch, dass wir ernst genommen werden.
Würden Sie sagen, dass Sie mit der Zusammenarbeit mit Dura das große Los gezogen haben?
Kehrle: Ich glaube, das große Los zieht man dann, wenn man sich kennenlernt und merkt, dass man konstruktiv miteinander sprechen und vor allem produktiv zusammenarbeiten kann. Wenn aus einer Idee dann nichts wird, ist das kein Problem. Aber wenn man sieht, dass Dinge, die man anstößt, aufgegriffen werden, hat man das Gefühl, das große Los gezogen zu haben. Wie erfolgreich ein Projekt schlussendlich sein wird, weiß man anfangs nie. Ich glaube zudem, dass Erfolg nicht eindimensional messbar ist. Natürlich ist es wichtig, dass ein Projekt wirtschaftlich erfolgreich ist, aber es kann auch dazu beitragen, dass eine Firma wie Dura bei potenziellen Kunden sichtbarer wird. Genauso ist es auch für mein Büro: Ein Projekt, das wirtschaftlich zunächst eher uninteressant scheint, kann für uns von Bedeutung sein, wenn andere Leute dadurch auf uns aufmerksam werden.
Farbexplosion by Steffen Kehrle für Dura. Foto © Julian Baumann
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Steffen Kehrle hat mit Dura Neuland betreten…Foto © Julian Baumann
...herausgekommen sind "industrielle Unikate". Foto © Julian Baumann
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Skizzen. Foto © Atelier Steffen Kehrle
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Bodenbelag oder Aquarell-Gemälde? Foto © Julian Baumann
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