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Teile und herrsche
von Znidaric Amelie
26.09.2012 „Achtung, dieses Buch ist jetzt offen!“ steht in fetten Lettern im Klappentext. Ein kleines Wortspiel. Denn in einem Band mit dem programmatischen Titel „Open Design Now. Why Design Cannot Remain Exclusive“ hat das freilich mehr zu bedeuten, als dass der Leser soeben den Buchdeckel aufgeschlagen hat. Und so heißt es denn auch weiter: „Dieses Werk steht unter der Creative Commons-Lizenz ,Attribution-NonCommercial-ShareAlike 3.0 Unported'“. Bitte wie? Das Fachchinesisch, noch bevor es eigentlich losgeht, offenbart die größte Schwäche von „Open Design Now“. Obwohl die Herausgeber noch im Klappentext in groben Zügen erklären, was die lange Wort-Wurst bedeutet, und obwohl es sich hier um das erste wirklich umfassende Werk zum Thema „Open Design“ handelt, ist das Buch nichts für Anfänger. Menschen, die nicht bereits davon überzeugt sind, dass geistiges Eigentum schon bald Geschichte sein wird, klappen den Buchdeckel vermutlich wieder zu, noch bevor sie über das Impressum hinausgeblättert haben. Das ist schade, denn „Open Design Now“ enthält durchaus Lesenwertes. In seinem Aufsatz „Authors and Owners“ zum Beispiel ruft der Urheberrechtsexperte Andrew Katz das Ende einer Ära aus. Seit Erfindung des Buchdrucks hätten die großen Verlage, Rundfunkanstalten, Filmproduktionen und Musiklabels die Funktion von „Gatekeepern“ übernommen, die, abgesichert durch das Copyright, bestimmten, was die Masse zu lesen, zu hören oder zu sehen bekommt. Diese „one-to-many distribution“, so Katz, habe die Öffentlichkeit zu passiven Konsumenten und Kreativität zu einem Randphänomen gemacht. Mit dem Web 2.0 jedoch würden die Menschen das Monopol nun überwinden und die Kreativität im vernetzten Kollektiv zurückerobern. Das ist alles irgendwie richtig und doch nur die halbe Wahrheit. Denn solange die Kreativen in ihren durch Copyrights geschützten Gefilden genug Geld zum Leben verdienen, sind sie gar nicht so gern bereit, ihr geistiges Eigentum im Netz bedingungslos zu teilen – wie sich an diversen Klagen durch arrivierte Künstler immer wieder zeigt. Es ist nicht nur eine Generationenfrage, dass Open Source – ob in der Musik, bei Fotos oder im Möbeldesign – vor allem von jungen internet-affinen Kreativen propagiert und gelebt wird. Um zu verstehen, warum Open Design – früher oder später – die Designwelt revolutionieren könnte, muss man woanders ansetzen. Etwa bei der Frage, wie Designer in der Möbelindustrie Geld verdienen: beim – hoffentlich massenhaften – Verkauf ihrer Stücke. Ein gewisser, individuell ausgehandelter Prozentsatz des Verkaufspreises, meist im niedrigen einstelligen Bereich, geht an die Entwerfer. Geld verdient der Designer also erst, wenn sein Stück in Serie geht und sich gut verkauft. Im Entwurfsstadium – oft ein jahrelanger Prozess – sieht er oftmals keinen Cent. Nun kommt es freilich vor, dass ein Hersteller ein Projekt auf halben Weg oder noch später wieder abbläst. Und genauso häufig kommt es vor, dass es ein Entwurf bis zum Prototypen schafft, der bei einer Messe präsentiert wird und wegen seiner Extravaganz ein nennenswertes Medienecho verursacht – danach aber still und heimlich in den Archiven verschwindet, weil sich verrücktes Design zwar auf Messen, nicht aber im Verkauf gut macht. Selbst wenn es ein Stück in den Laden schafft, bedeutet das noch lange nicht, dass der Designer von den so genannten „Royalties“ auch leben kann. Denn anders als in den 1950er Jahren, als für die aufstrebende, breite Mittelschicht produziert wurde, ist Möbeldesign heute in weiten Teilen eine Luxusindustrie – mit entsprechend geringen Stückzahlen. Die prekäre Lebenslage von jungen (und auch nicht ganz so jungen) Designern wird gerne als Argument gegen Open Design vorgebracht. Doch gerade weil sich im herkömmlichen System nicht immer leicht Geld verdienen lässt, ist für den einen oder anderen der Schritt ins Internet naheliegend. Wenigstens macht das Web 2.0 unabhängig von „Gatekeepern“. „Der Schnitt, den Designer machen“, sagt der Niederländer Joris Laarman im Buch, „ist lächerlich niedrig. Würden wir digitale Produktionsmittel verwenden und die Art, wie der Handel funktioniert, verändern, dann würde das Verhältnis viel eher zugunsten von Kreativität und von lokalen Handwerkern ausfallen.“ Letztere nämlich, meint der Designer, würden natürlich ebenfalls davon profitieren, wenn Produktion und Vertrieb selbst organisiert würden und Massenproduzenten als Gatekeeper wegfielen. Die Idee, sich etwa mit Anleitungen zum Selbstbau von Möbeln von der Industrie unabhängig zu machen, ist jedenfalls neu. Schon im weltwirtschaftskrisengebeutelten Jahr 1932 bot der Niederländer Gerrit Rietveld ein Selbstbau-Set namens „Crate“ samt der dazugehörigen Broschüre: „Furniture that you can make yourself“ an. 1974 brachte der Italiener Enzo Mari die neunzehnteilige Möbelserie „Autoprogettazione“ heraus – und zwar ausschließlich als Bauanleitung. Holz, Hammer und Heimwerkertalent hatte der Käufer selbst beizusteuern. Was den Unterschied zwischen diesen beiden einsamen Vorreitern und der heutigen Entwicklung ausmacht, ist zweierlei: die vereinfachte Kommunikation über Internetnetzwerke und die allgemeine Verfügbarkeit von günstigen computergesteuerten Produktionstechniken. „Makerbot“ bietet beides. 2009 brachte das New Yorker Drei-Mann-Unternehmen den „Cupcake CNC“ auf den Markt, den ersten 3-D-Drucker mit einem Preis unter tausend Dollar. Gleichzeitig eröffnete es eine Online-Plattform namens „Thingiverse.com“ – von Geeks für Geeks sozusagen. Auf Thingiverse tauschen sich seitdem User über ihre 3-D-gedruckten Werke aus. Sie uploaden Fotos, publizieren ihre Daten und stellen ihre Entwürfe zur Diskussion. Selbstverständlich hat Makerbot auch die Files von Cupcake CNC veröffentlicht – mit dem Resultat, dass User den Cupcake CNC über Cupcake CNC ausgedruckt, nachgebaut und verbessert haben. Freilich setzt diese Offenheit im Umgang mit den Ideen anderer einiges voraus. So braucht es etwa – und das bringt uns zum Klappentext von „Open Design Now“ zurück – eine verbindliche Regelung, wie und in welchem Ausmaß eine Idee aufgegriffen und verwendet werden darf. Creative Commons ist eine gemeinnützige Organisation, die solche Standards entworfen hat. Anhand dieser Standardlizenzen kann ein Autor die Nutzungsrechte an seinem Werk klären. Wenn die Herausgeber von „Open Design Now“ ihr Werk also unter die Creative Commons-Lizenz „Attribution-NonCommercial-ShareAlike 3.0 Unported“stellen, dann erlauben sie eine Nutzung der Texte, wenn man die Quelle nennt (Attribution), wenn man sie nicht kommerziell nutzt (NonCommercial) und wenn man sein eigenes Endresultat ebenfalls zur Verfügung stellt (ShareAlike). „Unported“ bedeutet, dass sich die Lizenz nur auf das englischsprachige Original bezieht, und 3.0 ist die in den Vereinigten Staaten übliche Version von Creative Commons. Das Teilen und Weiterbearbeiten von Ideen auf der Basis der obligatorischen Nennung von Quellen rüttelt freilich an einem Lieblingsmythos der Designwelt: dem des kreativen Genies, das, nicht anders als der Künstler, von der Muse geküsst wird und aus dem Nichts heraus schafft. Dabei wissen wir längst, dass außergewöhnliche Einfälle selten aus einem Vakuum heraus entstehen. Für den Psychiater, Psychotherapeuten und Kreativitätsforscher Rainer Matthias Holm-Hadulla etwa, besteht Kreativität schlicht aus der „Neukombination von Informationen“. Doch als der Wiener Industriedesigner Adam Wehsely-Swiczinsky bei einem Vortrag im Rahmen der Vienna Design Week letzten Oktober die „Entmachtung des kreativen Genies“ forderte, war der Widerwillen im Publikum groß. Was im wissenschaftlichen Bereich unvorstellbar ist und auch sein sollte, nämlich das Zitieren ohne Quellenangabe, ist mit dem Selbstverständnis vieler Kreativer oft nur schwer vereinbar. Plagiat ist ein böses Wort und schnell bei der Hand. Dabei gibt es Designer, die gerade mit der Nennung ihrer Inspirationsquellen enorme Kreativität beweisen. Das Wiener Duo Vandasye etwa listet auf seiner Homepage und in seinen Produktkatalogen akribisch jedes Objekt, Kunstwerk oder theoretische Konzept auf, das den beiden Designern bei ihren Entwürfen als Inspiration oder Bezugsgröße diente. Damit laden sie ihr eigenes Werk mit einem ganzen Universum an Geschichten auf, verdichten und vertiefen es. Es ist, als würde man dem kreativen Hirn bei der Arbeit zusehen. Auch bei der Abschlussausstellung der Eindhoven Design Academy war im letzten Jahr ein Projekt zu sehen, das offen mit den Ideen anderer spielte, ohne es dabei an eigener Kreativität vermissen zu lassen. „Ideas for free“ nannte Bas Geelen seine Objektserie, in der er die jeweilige Grundidee des Thonet „Nr. 14“, von Castiglionis „Arco“-Leuchte, Philippe Starcks „Juicy Salif“ und Gerrit Rietvelds „Rot-Blauem Stuhl“ reinterpretierte. Den Originalentwürfen sahen seine Arbeiten wenig ähnlich. Die wichtigste Grundvoraussetzung für Open Design ist aber natürlich die grundsätzliche Bereitschaft, Ideen überhaupt mit anderen teilen zu wollen. „Open Design wird nicht deshalb Mainstream werden, weil es jetzt 3-D-Drucker gibt“, sagt Avinash Rajagopal, ein New Yorker Autor einer Studie zum Thema, „sondern deshalb, weil die Menschen ihre Einstellung ändern und bereit sind, Ideen auszutauschen.“ Das wirtschaftswissenschaftliche Modell dazu stammt vom Harvard-Professor Yochai Benkler und nennt sich Commons-based Peer Production, zu Deutsch: Allmendefertigung durch Gleichberechtigte. Auch er argumentiert, dass es in einer Kultur ökonomischer und effizienter sein könnte, Informationen zu teilen, anstatt Innovation durch Patente und Urheberrechte zu erschweren. Rajagopal macht auf einen Bereich aufmerksam, in dem sich freie und geteilte Inhalte längst durchgesetzt haben. „In unserem Online-Leben haben wir diesen Wechsel schon vollzogen“, sagt er, „denken Sie nur an frei verfügbare Website- oder Blog-Templates. Wir benützen und passen sie an unsere Bedürfnisse an, aber sie alle werden immer die Handschrift jener Person tragen, die sie ursprünglich entworfen hat.“ Dass es im dreidimensionalen Bereich ganz ähnlich zugehen könnte, bewies Droog Design 2011 bei der Möbelmesse in Mailand. „Design for Download“ war eine Serie von Möbeln und anderen Objekten, die so designt war, dass sie vom Endnutzer kinderleicht an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden kann. Auf der Online-Plattform „Make-Me.com“ hat dieser digitale Designwerkzeuge zur Verfügung, die automatisch einen Bauplan liefern und sicherstellen, dass das Design am Ende allen statischen und sonstigen Bedingungen entspricht. In einer Werkstatt – oder in Zukunft vielleicht in einem 3-D-Copyshop, dem so genannten FabLab – kann der Entwurf dann in verschiedensten Materialien gebaut werden. Dass die Plattform bislang nur in einer Beta-Version existiert, mag natürlich enttäuschen. Die Open Design-Revolution hat trotzdem längst begonnen. Amelie Znidaric, die früher oft aus New York für News&Stories berichtet hat, ist seit 2011 Kuratorin am Vitra Design Museum in Weil am Rhein Open Design Now. |