Am Kai unweit der Giardini liegt, weiträumig abgesperrt und Tag und Nacht streng bewacht, die „Luna" vor Anker. Die Yacht gehört dem russischen Oligarchen und Milliardär Roman Abramowitsch. Sie ist 115 Meter lang und sieht nicht nur so finster aus wie das Kriegsschiff eines von James Bond gejagten Möchtegern-Weltbeherrschers, sie ist, so wird – Details sind streng geheim – gemunkelt, auch entsprechend bewaffnet. Die „Luna" ist beileibe nicht die einzige Luxusyacht, die während der Vorbesichtigungstage in der Lagune vor Anker gegangen ist, aber das Größte all der Spielzeuge der Superreichen und das weithin sichtbare Erkennungszeichen der 54. Kunstbiennale von Venedig.
Die dunkle Yacht ist kein Kunstwerk, eher schon ein Menetekel. Etwas vergleichbar Signalhaftes sucht man an sämtlichen Orten der Biennale vergebens. Nicht einmal der veritable Panzer, den Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla vor den Pavillon der Vereinigten Staaten auf seinen Kanonenturm gelegt haben, wie zur Strecke gebrachtes Ungeziefer, und auf dessen rasselnden Ketten sich nun professionelle Sportler in Nationalmannschaftstrikots auf Laufbändern abmühen, reicht an die Symbolkraft der „Luna" heran. Ihre Präsenz hat, zusammen mit einigen anderen Faktoren, Konsequenzen für die Kunst – vor allem für das, was man deren Betriebssystem oder Rahmen nennt.
Die Macht des Kunstmarktes und der Sammler ist überall präsent
Die Superyacht steht für Macht, für die des Geldes und die des Kunstmarktes, und man muss kein Kunstfeind oder Kulturpessimist sein, um zu begreifen, dass unter den gegebenen Bedingungen nichts bei diesem Riesenspektakel mehr harmlos, idealistisch oder einfach nur Kunst sein kann. Im Licht dieses schwimmenden „Mondes" hat sich vieles verdunkelt, da hilft es wenig, wenn Bice Curiger, die Direktorin der aktuellen Biennale, ihre in den Arsenalen und dem Padiglione delle Esposizioni in den Giardini ausgerichtete Schau „ILLUMInationen" nennt. Weder geht von ihr allzu viel Licht aus, noch enthält die Schau mit Arbeiten von 83 Künstlerinnen und Künstlern das Potenzial, den Besucher über die Dunkelheiten und Absurditäten, über die Abgründe, Inkonsequenzen und Schizophrenien unserer Zeit aufzuklären, zumal man auch hier nur die Namen all der Galerien abschreiben müsste, die „ihre" Künstler hier zeigen, um wiederum bei der Macht des Marktes zu landen.
Es wäre aber leichtfertig, wollte man allein Geld und Macht für die – trotz einiger kritisch-politischer Lichtblicke – in weiten Teilen fatale Harmlosigkeit dieser Biennale verantwortlich machen. Die Frage ist nicht länger von der Hand zu weisen: Sind solche, wesentlich vom Kunstmarkt und von den Oligarchen des Kunstbetriebs als Kulisse für ihre Auftritte gewünschten Ausstellungsevents noch zeitgemäß? Die Antwort ist klar: Sie sind es, sofern sie das reproduzieren, was zu reflektieren oder zu kritisieren sie vorgeben. Oder, anders gesagt: Die Biennale insgesamt, nicht das eine oder andere bedenkenswerte Kunstwerk, ist das Phänomen, das es zu beachten gilt.
Die Kunst ist auf dem Höhepunkt ihrer Popularität angekommen
Wurde vor zwanzig Jahren noch darüber diskutiert, ob sich die Kunst in der Philosophie auflösen würde, so markiert die aktuelle Biennale eine Zäsur ganz anderer Art. Sie zeigt, dass die Kunst auf dem Höhepunkt ihrer Popularität angekommen ist und sich vollends in ein Spektakel und zugleich in einen prosperierenden Teil einer globalen Unterhaltungsindustrie verwandelt hat. Nicht, dass einzelne künstlerisch überzeugende und kritische Werke – wie etwa Thomas Hirschhorns ebenso maßlose wie verstörende Totalinstallation im Schweizer Pavillon oder Yael Bartanas Auseinandersetzung mit Nationalismus und Antisemitismus im Pavillons Polens – zur Gänze fehlten. Ihr kritisches Ansinnen löst sich freilich auf in einer großen Spektakelblase, die alle Aufmerksamkeit bindet. Hauptsache, die Schlange vor dem Pavillon ist lang. So illustrieren viele der gezeigten Kunstwerke lediglich irgendwelche „Meinungen", erteilen gut gemeinte Ratschläge oder bebildern routiniert ideologische Restbestände, ohne für die Freuden, Sensationen, Wunden, Abgründe oder Tatsachen der Gegenwart einen adäquaten künstlerischen Ausdruck zu finden, ja, ohne einen Teil unserer wahrnehmbaren Welt wenigstens für den Moment in einem gültigen, aufrüttelnden Bild verdichten zu können. Fast scheint es, als sei der Elan dahin und die ästhetisch-künstlerischen Möglichkeiten ausgeschöpft, der Gegenwart anders als journalistisch oder „gut gemeint" beizukommen. Das führt immer wieder dazu, dass die Kunst darauf reduziert wird, sich nostalgisch zu gebärden oder als Generator diffuser Gefühle zu fungieren.
Lauter feinsinnige Verweise
Wie touristisch vieles gedacht und gemacht ist, zeigen beispielsweise die Scharen von (ausgestopften) Tauben, die Mauricio Cattelan über den gesamten Zentralpavillon verteilt hat. Er selbst, auch das ist ein Zeichen, liegt, gleich in zweifacher Ausführung zur Witzfigur verkleinert, beim französischen Luxusunternehmer und Gucci-Besitzer François Pinault im Bettchen, genauer: in der Schau „The Mondo Appartient To You" in dem von diesem betriebenen „Palazzo Grassi".
Eine Ausstellung „ohne Grenzen" habe, so liest man, Bice Curiger machen wollen. Die Konzeptlosigkeit der zentralen Schau, die zum Teil edle, museale Räume aneinanderreiht, ohne dass verständlich würde, worauf all das abzielen oder hinauslaufen soll, mag deshalb nur so lange überraschen, bis man erkennt: der Kunstbetrieb ist sich selbst genug. Was sich allenthalben ausbreitet, sind Formalismen, so manches Mal poetisch aufgehübscht, oder kunstinterne Bezüge, routiniert, glatt, fett- und staubfrei mit den heutzutage üblichen medialen Mitteln präsentiert, aber ohne Dringlichkeit. Selten sind an die Wurzel reichende Recherchen oder Perspektivwechsel, verstörenden oder wenigstens irritierende Translokationen.
Bice Curigers Biennale-Schau hält sich bewusst ans Feinsinnige, sie setzt auf museale Abgeklärtheit statt auf Aufgeregtheiten. Sie sucht die Kunst im und hinter dem politischen Statement, doch sie verliert sich dabei zumeist in leeren Gesten oder in kunsthistorischen Verweisen, die den Betrachter wie einen Internetnutzer nur immer weiterschicken, zum nächsten Werk, zum nächsten „Link", zum nächsten Bezugspunkt. Dass es oft gerade solche Arbeiten sind, die ausgezeichnet werden, zeigt Christian Marclays Filmcollage „The Clock", die man im Arsenale in einem improvisierten Kino auf Sofas bestaunen kann. Marclay hat – welche Fleißarbeit – zahllose Sequenzen aus Kinofilmen zusammengeschnitten, in denen Uhren exakt die Stunden und Minuten anzeigen, die im Zuschauerraum gerade verrinnen. Der Kurzschluss aus fiktiver und realer Zeit indes bleibt nichts als ein triviales, leicht konsumierbares Missverständnis, das ebenso aufwendig wie folgenlos bebildert wird.
Tintoretto als Inspirationsquelle
Selbst Jacopo Tintoretto, von dem man drei Werke in die Giardini expediert hat, muss dazu herhalten, die Gegenwart aufzuwerten, wenn er angeblich Monica Bonvicini zu ihren „Treppen" – für sich betrachtet trotzdem eine gelungene Arbeit – inspiriert oder die Farben von James Turrells grenzenlosen Lichtraum mitbestimmt haben soll. Dass die Inspiration durch die Kunst der Vergangenheit wie eine Kerze herunterbrennt, führt schließlich Urs Fischer in den Arsenalen vor, wo er eine wächserne Version von Giambolognas „Raub der Sabinerinnen" von 1583 der langsamen Vernichtung durch Herunterbrennen preisgibt. Samt zwei weiteren Kerzen – einem Bürostuhl und einem zeitgenössischem Beobachter, der sich – für Eingeweihte – als Porträt des Künstlerkollegen Rudolf Stingel, mithin abermals als Verweis erweist.
So fragt man sich angesichts all der ILLUMInationen beständig: Worum geht es hier eigentlich? Um Poesie, um Malerei, um poetische Malerei, um historische Reflexion, um bloße Effekte? Natürlich lassen sich in jeder Mixtur Entdeckungen machen. Aber selbst wenn Dayanita Singh in Neu-Delhi Aktenberge in Archiven fotografiert, die Bürokratie anschaulich mit Ordnung und Unordnung verbinden, bleibt es im Konzert der Harmlosigkeiten nur einen weitere Nummer in einer großen Kunstrevue. Auch wenn Monika Sosnowska in einem von vier sogenannten „Para-Pavillons" – begehbaren Raum-Installationen, die als Ausstellungen in der Ausstellung aus der Zusammenarbeit mehrerer Künstler entstanden sind – die Raumwahrnehmung nicht weniger irritiert als David Goldblatt mit seinen Fotografien von Straftätern an ihren Tatorten die Moral und das Gerechtigkeitsempfinden des Betrachters, so bleibt auch das eine Ausnahme. Eher zufällig begegnet man der Politik in diesem fein gemachten, sauberen und widerspruchsfreien Labyrinth.
Punkfestival mit Schmelzofen
Einzig ganz am Ende des Arsenale-Areals keimt etwas Leben auf. Dort haben die Künstler der Gruppe Gelitin einen Kreislauf der besonderen Art installiert. Ein mächtiger Holzhaufen, ein Haufen Glassplitter und ein Schmelzofen, aus dessen glühendem Bauch sich flüssiges Glas ergießt. Hier, im Schatten, wird Musik gemacht, mit den Freunden Grüner Veltliner getrunken, auf dass die leeren Flaschen sogleich in den Ofen wandern können. Nicht nur Murano lässt hier grüßen, sondern eine andere, entspannte Form des Konsumierens und Produzierens, des Verbrauchens und Recycelns, real und symbolisch, ohne Prominenz und Yacht und Modernismus, ohne Nation und Illumi-Nation, präsentiert auf der situationistischen Bühne eines punkigen Open-Air-Festivals, bei dem jede Form angestrengter Bedeutungshuberei Pause hat. Für einen Moment ist es verschwunden, das Sonntagsgesicht der Gier. Erst hier wird die Biennale zu einem Labor der Zivilisierung statt zu einem Geschäft mit der Sensibilität und dem Tourismus. Alles soll zwar Kunst sein, aber nicht alles ist wirklich Kunst, die gebraucht wird. Es wird lange dauern, bis sich die Gegenwartskunst von ihrer Entwertung durch Überbewertung erholt haben wird.
Kunst als Bühne großer Gefühle
Als Kehrseite der feinsinnigen Verweise auf andere Kunst und ihre Geschichte erscheint sodann der authentische Künstler. Mit einem Mal geht es um Leben und Tod. In der Tat erschütternd ist der Beitrag im ägyptischen Pavillon. Ahmed Basiony, einer der wichtigsten Künstler seines Landes, kam am 28. Januar dieses Jahres im Alter von zweiunddreißig Jahren während der ägyptischen Revolution auf dem Tahir-Platz in Kairo ums Leben. Nun sieht man – auf einer langen Wand voller Videoprojektionen –, wie er sich, in einem Anzug aus Plastikfolie, permanent körperlich verausgabt, um den täglichen Energieverbrauch und körperlichen Einsatz aufzuzeichnen und zu visualisieren. Zusammen mit den Videos, die er im Januar während des Aufstands in Kairo aufgenommen hat, gerät „30 Days of Running in the Place" zu einer Allegorie des jahrzehntelangen Auf-der-Stelle-Tretens, das mit der arabischen Revolution zu einem Ende gekommen ist.
Auf eine ganz andere Bühne trifft man im Deutschen Pavillon. Auch hier ist der Künstler – Christoph Schlingensief – nicht mehr am Leben, und auch hier dient die Inszenierung der Feier des Authentischen. Hatte er noch 2003 im Arsenale-Garten rund um seine „Church of Fear" ein begehbares Aktionskunsttheater inszeniert, so liefert der Pavillon nun das Requiem für einen Künstler nach, der vor allem durch die drastische Unberechenbarkeit faszinierte, mit der er Theater, Film, Oper, Performance und Installation zu vermischen verstand. Im Hauptraum wurde die Bühne der „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" aufgebaut, die Schlingensief für die Ruhrtriennale 2008 entworfen hatte. Im rechten Seitenflügel laufen sechs seiner Filme, im linken sind seine Pläne für ein „Operndorf" mit Schule, Kantine, Krankenstation und Festspielgebäude in Burkina Faso ausgebreitet.
Nicht dass Christoph Schlingensief gezeigt wird, ist das Problem. Im Gegenteil. Wäre er noch am Leben, wir hätten uns auf eine schrille, afrikanisch-deutsche Sause gefasst machen müssen, bei der jeder sein Fett wegbekommen hätte. So aber gerät die Erinnerung zur gefühligen Heroisierung, die Ausstellung zum Götzendienst an einem Unbequemen. Dass diese nicht länger subversive Kirche mit dem Goldenen Löwen für den besten Pavillon ausgezeichnet wurde, passt ins Bild. Denn unangefochten ist heutzutage nur eines: der Künstler als Heros und sein angeblich unbändiges, authentisches Künstlertum. Das Übermalen des Schriftzugs „Germania" durch „Egomania" bringt es deutlich zum Ausdruck: Der Künstler steht über allem, er ist unantastbar in seiner egomanischen Gegenwartsdeutung, so krude sie auch sein mag. Insofern ratifiziert der Goldene Löwe das Grundgesetz der aktuellen Kunst-Republik, in der Aufmerksamkeit und Authentizität alles sind.
Die Biennale als Windmaschine
„La Biennale is like a wind machine", bekennt ihr Präsident Paolo Baratta freimütig. Alle zwei Jahre erschüttere sie den Wald, entdecke verborgene Wahrheiten und gebe den jungen Trieben Licht und Festigkeit, weil sie eine veränderte Perspektive auf bekannte Äste und alte Stämme werfe. Eines daran stimmt: Es wird viel Wind gemacht. Man feiert sein gutes Gewissen, denn man gehört dazu und steht auf der richtigen Seite. Der Rest ist Ruhm. Und der heischt Bewunderung. Wobei, glauben wir Elias Canetti, die Unterschiede zwischen dem Reichen, dem Machthaber und dem Berühmten etwa so zu fassen sind: Der Reiche sammelt Haufen und Herden, der Machthaber sammelt Menschen, und der Berühmte sammelt Chöre. „Er will", so Canetti, „nur seinen Namen von ihnen hören. Sie können tot oder am Leben oder noch nicht am Leben sein, das ist gleichgültig, wenn sie nur groß sind und irgendeinmal auf seinen Namen eingeübt." Das Genussbeschleunigungsspiel der Kunst hat in Venedig jede Menge Chöre hervorgebracht.
In unserer Reihe zur 54. Kunstbiennale von Venedig sind bisher erschienen:
> „Jenseits von Angst und Afrika" von Thomas Wagner
> „Wir verlassen den amerikanischen Sektor..." von Joerg Bader und Thomas Wagner
> „Mitgefangen, mitgehangen" von Annette Tietenberg
> „Amerikanische Turnstunde" von Thomas Wagner
> „Widerstand - erstarrt oder verflüssigt?" von Barbara Basting
> „Schlinge, Schlinge über alles" von Barbara Basting
> „Tintoretto - einer von uns?" von Annette Tietenberg
> „Das übermalte Feuilleton" von Joerg Bader
> „Venezia, Piazza Tahrir" von Barbara Basting
> „Auf in die Karawanserai" von Joerg Bader