Tradition aus dem 3D Drucker
Die traditionellen Tatami-Bodenmatten sind seit Jahrhunderten fester Bestandteil japanischer Lebens- und Wohnräume. Hergestellt aus zusammengenähten Igusa-Gras, zeigen sie schall- und wärmeisolierende Eigenschaften, duften angenehm und filtern die Luft im Raum. Trotz ihrer zahlreichen Vorteile werden diese nur noch selten in moderne Raumkonzepte integiert. Das von Honoka Lab initiierte Tatami ReFAB Project will die kulturelle Bedeutung von Tatami bewahren und sie zurück in eine tägliche Verwendung bringen. Für das Projekt entwickelten sie ein neues Material, gemischt aus pulverisiertem Igusa-Gras, das aus alten Tatami-Matten sowie biologisch abbaubarem Harz stammt. Für die Herstellung verwendete das Team einen speziellen 3D-Drucker. "Mit dem Tatami ReFAB Project können wir die Schönheit von Tatami zeigen und ihre Kultur an die nächste Generation weitergeben", erklären die sechs Mitglieder von Honoka, die jeweils ihre eigenen Möbelstücke entworfen haben. Die beeindruckende Kollektion verbindet traditionelle japanische Ästhetik mit hochmoderner Technologie und leistet gleichzeitig einen Beitrag zur Nachhaltigkeit.
Interview mit Honoka Lab
Anika Paulus: Honoka Lab ist ein Designlabor für freischaffende Produktdesigner. Arbeitet ihr auch bei anderen Projekten zusammen?
Honoka Lab: Nein, jeder macht seine eigene Arbeit außerhalb dieses Projekts. Das Tatami ReFAB Project ist das erste Projekt, an dem wir gemeinsam gearbeitet haben. Für die Weiterentwicklung der Igusa-Materialforschung und die Entwicklung des Verbundsstoffs haben wir unsere Kompetenzen gebündelt und eine Verbindung zu einem einheimischen Tatami-Hersteller namens Ikehiko Corporation geschaffen, der sich bereit erklärte, uns ausrangierte Igusa-Materialien zur Verfügung zu stellen. Dank der Kooperation mit ExtraBold Inc., einem Unternehmen, das sich auf die Entwicklung von 3D-Großdruckern spezialisiert hat, konnten wir einen großen 3D-Drucker nutzen, der normalerweise nicht zugänglich ist. Das hat uns veranlasst, das Thema "Igusa x 3D-Druck" für unsere Kreationen zu wählen. Daraufhin begannen wir mit der Materialentwicklung und innerhalb von vier Monaten stellten wir die endgültigen Entwürfe fertig. Dank der Netzwerke unserer Teammitglieder fügte sich alles zusammen und machte die Ausstellung auf dem SaloneSatellite möglich.
Könnt ihr unseren europäischen LeserInnen beschreiben, was Tatami für euch und die japanische Kultur bedeutet?
Honoka Lab: Tatami-Matten, die seit Jahrhunderten in japanischen Wohnumgebungen verwendet werden, bestehen aus aromatischen Pflanzen, die in der Lage sind, Feuchtigkeit zu regulieren und Gerüche zu reduzieren. Aufgrund des veränderten Lebensstils gibt es jedoch in den letzten Jahren immer weniger Gelegenheiten, Tatami zu erleben. Mit diesem Projekt wollen wir der nächsten Generation die Attraktivität von Tatami vermitteln. Wir sind in Räumen mit Tatamiböden geboren und aufgewachsen, und mit dem taktilen Gefühl, dem Duft und der Schönheit von Tatami sehr vertraut. Wenn man heutzutage jedoch ein neues Haus in Japan betritt, findet man nur noch selten Innenräume mit Tatamiböden, der westliche Einrichtungsstil hat sich durchgesetzt. Wir möchten die Schönheit von Tatami an künftige Generationen weitergeben.
Tatami-Matten und das Isuga-Gras als Material haben eine hervorragende Wärmedämmung und Feuchtigkeitsregulierung. Hatten die Materialeigenschaften einen Einfluss auf die Entwürfe des ReFAB-Projekts? Und welche Merkmale – Farbe, Geruch, Eigenschaften – des Grases sind noch im neuen Material enthalten?
Honoka Lab: Wir haben uns darauf konzentriert, ein Material zu entwickeln, welches das einzigartige Aroma, die gute Textur, die Feuchtigkeitsregulierung und die desodorierenden Eigenschaften von Tatami nutzt. Im nächsten Schritt möchten wir die Funktionalität unseres Materials dem natürlichen Tatami soweit wie möglich angleichen.
Habt ihr mit der Kreation bei Tatami-Matten und Igusa-Gras begonnen, oder eher mit dem neu entwickelten Material gestartet?
Honoka Lab: Wir haben uns zunächst auf Tatami-Matten und Igusa konzentriert, und ein 3D-Drucker war das Mittel, um das zu realisieren, was wir tun wollten. Igusa kann nicht zu 100 Prozent mit einem 3D-Drucker hergestellt werden, daher ist zwangsläufig ein Bindemittel erforderlich. Wir waren bei der Wahl des Bindemittels sehr wählerisch und wollten ein pflanzliches Material verwenden, weshalb wir uns für Celluloseacetat entschieden.
Die mit dem 3D-Drucker erzeugten Fäden scheinen eine moderne Übersetzung dessen aus Igusa-Gras zu sein, aus denen Tatami-Matten hergestellt werden. Inwieweit hat die traditionelle Art, wie sie gewebt werden, die Entwürfe beeinflusst?
Honoka Lab: Die Textur von Tatami entsteht durch das Verweben von linearen Igusa, was zu einer schönen dreidimensionalen Oberfläche führt. Das Konzept des "Wiederverwebens einer einzigen Linie" ist ein Schlüsselkonzept für die Entstehung einer solchen Linie und der dreidimensionalen Struktur. Unser Ziel ist es nicht, Tatami in unseren spezifischen Designs zu ähneln, sondern neue Designs zu schaffen, die von Tatami abgeleitet sind.
Hat jeder von Ihnen im Vorfeld gemeinsam entschieden, welche Objekte / Entwürfe Sie zu einer breiten, vielseitigen Kollektion zusammenstellen wollten, oder war das ein individueller Prozess?
Honoka Lab: Um uns als Möbelmarke zu etablieren, haben wir die Gestaltung durch Vorgespräche über die Designsprache festgelegt.
Das übergeordnete Ziel des ReFAB Project ist es, die Tatami-Kultur an die nächste Generation weiterzugeben, aber auf eine neue, moderne Art und Weise. Es ist ein ganz anderer, fast entgegengesetzter Ansatz, alte Traditionen so zu erhalten, wie sie sind und zu versuchen, sie für die nächsten Generationen interessant und relevant zu halten. Sind Sie der Meinung, dass beide Ansätze notwendig sind, um Traditionen wie die Tatami am Leben zu erhalten – der sehr traditionelle Weg und die neue Herangehensweise?
Honoka Lab: Wir glauben, dass das notwendig ist. Tatami in seiner traditionellen Form ist im Niedergang begriffen. Um das zu verhindern, haben wir pulverisiertes Igusa mit Harz gemischt, um seine Formbarkeit zu verbessern und es in Produkte zu verwandeln, die zum modernen und zukünftigen Lebensstil passen.
Wird die ReFAB Project-Kollektion zur Marktreife gebracht? Oder ist es eher dazu gedacht die Thematik zu kommunizieren und hierfür ein Bewusstsein zu schaffen?
Honoka Lab: Wir beabsichtigen, weiterhin an Projekten mit Igusa zu arbeiten. Es ist schwierig für uns, allein ein Massenproduktionssystem aufzubauen, und wir freuen uns darauf, PartnerInnen zu treffen, die mit uns zusammenarbeiten werden. Wir werden weiterhin forschen und Fertigungsmethoden der nächsten Generation einsetzen, was der Philosophie von Honoka entspricht, um Produkte mit dem subtilen Charme natürlicher Materialien in Bezug auf Textur, Duft und Farbe zu schaffen.