MODE UND MÖBEL, TEIL 1
Schwingen Möbel und Mode im gleichen Takt? Wir haben in Köln, London, Mailand, New York, Paris und Stockholm nachgesehen. Den Anfang macht die Farbe.
Wer sich auf den Möbelmessen in Köln, Stockholm und Mailand umgesehen hat, konnte sie nicht übersehen: Möbel bekannter Designer und Hersteller, die von dem Modedesigner Raf Simons neu eigekleidet wurden, der seit vergangenem Jahr für den Stoffhersteller Kvadrat in Sachen Polsterbezugsstoffe zusammenarbeitet. So haben etwa Vitra und Walter Knoll einige Klassiker buchstäblich raf-finiert. Mit ihren bewegten Webbildern, ihren Farben und Materialmischungen erweisen sich die Stoffe, die der belgische Modeschöpfer übrigens auch für seine eigene Mode-Linie sowie für die Herrenlinie von Christian Dior verwendet, offenbar als besonders attraktiv. Anscheinend kommt es heute auch bei Polstermöbeln darauf an, wie die jeweiligen Modelle eingekleidet werden.
Raf Simons Kvadrat-Stoffe sind nur ein Beispiel, auf welche Weise sich Mode und Möbel gegenwärtig verzahnen. Berührungspunkte gibt es viele. Also haben wir uns darangemacht, einige aktuelle Tendenzen in der Mode und im Möbeldesign genauer zu betrachten. Welche Überschneidungen, Ähnlichkeiten und Echos, aber auch welche Unterschiede lassen sich in puncto Farbe, Form, Material und Textur feststellen? Um das herauszufinden, hat sich Silke Bücker bei den Fashion Shows in Mailand, Paris, London und New York und Martina Metzner auf den Möbelmessen in Köln, Stockholm und Mailand umgesehen.
Im Möbeldesign sorgen seit einiger Zeit reine, satte Farben für einen singulären Blickfang. Gemeinsam mit Flächen aus Holz sowie grellen Neontupfern neben federleichten Pastellfarben, haben farbstarke Textilien und Teppiche, aber auch Sofas, Stühle, Regale und Tische unsere Wohnungen und Häuser insgesamt bunter gemacht. Man denke etwa an Teppiche von Danskina oder Nanimarquina, an farblich aufgefrischte Klassiker von Thonet, reinfarbige Neuheiten von Magis oder Moroso, aber auch Firmen wie Zeitraum, die ihre gesamte Kollektion in Pastelltönen auftreten lassen. Ganz zu schweigen von Designern wie Scholten&Baijings, Hella Jongerius, Cristian Zuzunaga und Werner Aisslinger, deren jeweilige Farbkonzepte bestehende Kollektionen aufgefrischt oder generell neue Impulse gesetzt haben. Sicher ist, dass, nachdem sich der Möbelmarkt – und auch die Kunden – der Farbe geöffnet haben, der Umgang mit Farben, Farbverläufen und Nuancen vielfältiger und komplexer geworden ist. Farben werden auf ungewöhnliche Weise kombiniert und nicht selten raffiniert mittels Texturen und Mustern dargestellt. Strenge Schwarz-Weiß-Muster bilden dazu einen aparten Kontrast. Ergänzt wird das aktuelle Farbpanorama nach wie vor durch metallfarbene Akzente in Kupfer und Messing.
Mal ausgeglichen, mal stark
Wo es darum geht, innovativ zu sein und zu überraschen, gibt Farbe in der Mode nicht mehr den Ausschlag. Vielmehr ist es das gekonnte Kombinieren von zunächst unvereinbar scheinenden Nuancen, das für Spannung sorgt. Einmal mehr gibt Miuccia Prada hier den Ton an. Schon 2011 hat sie anlässlich ihrer Sommerkollektion das Modewort „Colourblocking“ geprägt und damit geometrische Farbflächen etwa in Orange und Pink zu einem Dauerthema gemacht – bis man diese Farbvariante nicht mehr sehen konnte. Ihr Faible und ihre Sensibilität für innovative Farbmischungen aber ist geblieben. In ihrer kommenden Herbst/Winter-Kollektion inszeniert sie so fein austarierte „Midtone“-Nuancen, dass jeglicher Anklang von Süßlichkeit oder gar Kitsch einer starken und mutigen weiblichen Attitüde weicht. „How can sweetness be strong?“, lautet folgerichtig das Motto ihrer Kollektion. So darf man davon ausgehen, dass ein blasses Militärgrün zu Türkis und Himmelblau, ein mattes Apricot zu Babyrosa, Knallrot zu Quietschgrün und Camelbraun sowie Senfgelb zu Lindgrün und Stahlgrau die Trendbücher und Farbkarten über die nächsten Saisons hinaus bestimmen werden – wenngleich in einer Dosierung, die auch für den konventionellen Modegeschmack verträglich scheint.
Zeuge einer kleinen Revolution in der Modeszene und auch in puncto Farbe konnte man zuletzt im Pariser Showroom des spanischen Luxuslederwaren-Herstellers Loewe werden, der dank der neuen Kreativ-Leitung durch den britischen Fashion-Superstar J.W. Anderson zu neuer Stärke und Ausdruckskraft gelangt ist. Hier schafft der neue Design-Chef mit blassen Farben auf Oversizemänteln und Kombinationen aus Off-White, Beige, Haselnussbraun, Milchblau und Rosa auf dem traditionellen Loewe-Leder auf Outfit und Accessoire ungeahnte Begehrlichkeit. Nicht von ungefähr entlockte Anderson mit einem in solchen Tönen gehaltenen Patchwork-Top mit Fledermausärmeln seinem weiblichen Publikum verzückte „Ohs“ und „Ahs“.
Möbel: Grün war in diesem Jahr die augenfälligste „neue“ Farbe auf den Möbelmessen in Köln, Stockholm und Mailand. Neben Polstergruppen in satten Tannen- und Wiesentönen gab es auch Olivnuancen, vor allem im Lederbereich. Selbst vor Tischbeinen macht Grün in unterschiedlicher Tönung nicht halt. Es könnte sein, dass es sich dabei um eine Spätfolge der Pantone-Trendfarbe „Smaragd“ des Jahres 2013 handelt, die erst jetzt in den Einrichtungsbereich durchgesickert ist.
Mode: Was die Mode angeht, so sind es Kombinationen unterschiedlicher Grüntöne aus einer Farbfamilie, die ins Auge fallen. Beispielsweise die Kombination von Grasgrün und Smaragd mit Goldkante wie bei Bottega Veneta. Auf jeden Fall ein Hingucker. Ähnlich wie bei den Möbeln werden moosige Grüns aktuell vorrangig auf Wildleder propagiert. Inwieweit hier kulturelle Codierungen eine Rolle spielen oder sich Naturbezug und Öko-Bewusstsein treffen, ist schwer auszumachen.
Möbel: Die Zeiten der Pastellfarben, die sich in den letzten fünf Jahren fast sintflutartig über die Wohnwelten ausgebreitet haben, sind vorbei. Was bleibt, ist Rosa – in allen Variationen. Rosa darf man nun mit fast allem kombinieren, zum Beispiel mit Schwarz, Azur und Olivgrün.
Mode: In der kommenden Herbst/Winter-Kollektion von Prada wird ein mädchenhafter Rosaton mit Pink und Apricot kombiniert. Während im aktuellen Sommer reines Rosa die Kollektionen bis hin zur kommerziellen Mitte prägt, wird man perspektivisch Abweichungen in Richtung Orange registrieren. Die höchste Popularität aber lässt sich pudrigem Altrosa bescheinigen, am liebsten auf edler Wolle oder feinem Nubuk. J.W. Anderson oder Christophe Lemaire machen es vor. Übrigens ist Rosa eine Lieblingsfarbe kaufkräftiger Asiatinnen.
Möbel: Weiß, Grau, Sand, Beige – die Kombination heller Töne hat sich in den letzten Jahren bewährt. Der nächste Schritt: Die hellen Nuancen werden bis in die Details durchdekliniert. Sitzschalen werden im selben hellen Braun gehalten wie das Gestell, die Füße am Sofa ebenso grau lackiert wie der Polsterbezug. In den letzten Saisons war es vor allem Desalto, wo man diesem Ton-in-Ton-Spiel huldigte.
Mode: In der Mode geht es neben dem bereits etablierten „Head-to-toe“-Look vor allem um das feingeistige Kombinieren von Nicht-Farben wie Off-White, Creme, Vanille, Greige oder Beige. Dabei kann man sich leicht auch schon mal im Ton vergreifen – es kommt also wirklich auf die fein gesetzte Nuance an. Am besten schaut man genau hin, wie es beispielsweise Véronique Leroy, Marni, Victoria Beckham und Fendi machen. Passende Schuhe und Taschen lassen sich obendrein leicht finden.
Möbel: Dunkles Jade, gekalktes Kobalt, intensives Altrosa, ein verwaschenes Lila, ein graues Sand, ein gelbstichiges Oliv und ein grauhaltiges Beige – sie alle gehören zur Familie der „Midtones“. Oft erinnern sie an Farben der 1950er Jahre. Werner Aisslinger kombiniert sie fröhlich in seiner aktuellen Teppichkollektion für Vorwerk oder bei seinen Marset-Leuchten.
Mode: In der Mode ist das gekonnte Kombinieren von vermeintlich unvereinbaren Midtones, das für Aufmerksamkeit sorgt. Meisterhaft zeigt das Miuccia Prada in ihrer kommenden Herbst/Winter-Kollektion, aber auch andere wie Christophe Lemaire, der ein knalliges Rot zu einem müden Altrosa spielt, oder Bottega Veneta mit einer Collage aus Smaragdgrün, mattem Bordeaux und grünstichigem Gelb. Um diesen Balanceakt souverän zu meistern, bedarf es beim Möbeldesign eines stimmigen Raumkonzepts, in der Mode vor allem Mut und einen stilsicheren Instinkt.
Möbel: Auf der IMM in Köln präsentierten sich ganze Stände in Schwarz – etwa das deutsche Label Supergrau. Vitra lancierte den „Eames Lounge Chair“ in einer schwarzen Sonderedition, Thonet die Beistelltische von Marcel Breuer, deren Stahlrohre nun auch schwarz lackiert angeboten werden. In Mailand zeigte Kartell subtil erotisch wirkende schwarze Wohnwelten aus Kunststoff, Classicon stellte den Beistelltisch „Adjustable“ von Eileen Gray in matt-schwarzem Rohr vor. Auch für gewöhnlich weiße Geräte wie Kühlschränke, Elektroherde und Waschmaschinen gibt es mittlerweile in Schwarz.
Mode: Die dunkle Seite ist wieder en vogue, zumindest wenn es nach Comme des Garçons, Rick Owens, Junya Watanabe, Alexander Wang oder Ann Demeulemester geht, die Schwarz in allen Facetten modisch kultivieren. Wang offenbart in seiner kommenden Herbst/Winter-Kollektion die Vielfältigkeit des Farbtons durch matte, glänzende und komplexe Oberflächenstrukturen. In Deutschland verbindet man Schwarz derzeit vor allem mit dem Berliner Designer-Duo Augustin Teboul, die sich bereits international einen Namen gemacht haben.
Möbel: Nicht nur in der Mode, auch im Möbeldesign ist der Wille zu spüren, mittels Kontrasten aus Schwarz und Weiß für Aufmerksamkeit zu sorgen. Nicht unbedingt auf einem Möbelstück. Eher werden ganze Kollektionen so angelegt, dass sich schwarz-weiße Konstellationen ergeben. Skandiform hat das in Stockholm gezeigt, Nanimarquina, Vondom und Minotti in Mailand. Auch der Stoffanbieter Dedar setzt auf kontraststarke Muster. Blockstreifen-, Zebra- und Schachbrettmuster, Polkadots und allerlei geometrisch gestaltete Flächen – Schwarz und Weiß lassen sich abwechslungsreich kombinieren.
Mode: In der Mode ist deren Zusammenspiel bereits zum rhythmisierenden Grundton geworden. Verhältnismäßig neu hingegen ist ihre Verbindung mit farbigen Akzenten – sei es über Schuhe, Taschen, einen Rollkragen oder eine Manschette.
Möbel: Es kommt ein guter Schuss Rot-Orange ins Design, bei Möbeln ebenso wie in der Mode. Fast wie beim Bar-Klassiker Campari Orange. Thonet macht es mit den an die 1970er Jahre erinnernden Sesseln „S831“ und „S832“ von Emilia Becker vor. Im Wohnbereich setzt ein kräftiges Rot-Orange einen besonders starken und oft singulären Akzent.
Mode: In der Mode geht man sogar noch weiter, wenn dem Farbton das nicht minder selbstbewusste Pink entgegengesetzt wird. Fendi, Bottega Veneta oder Céline kontrastieren Rot-Orange hingegen deutlich moderater mit Weiß, Schwarz, Beige oder Mittelbraun.
Möbel: Wem nichts mehr einfällt, der greift gern in die Kiste mit den Sachen aus der Vergangenheit: Möbel- und Modebranche lassen die Muster und Farben der 1980er Jahre aufleben. Die Modefirma „American Apparel“ brachte schon vor knapp einem Jahr eine Kollektion mit Mustern der Designerin Nathalie du Pasquier heraus. Zum Mailänder Salone del Mobile blickten Cappellini und allen voran Kartell mit Vasen und Stoffen von Ettore Sottsass seufzend zurück auf die heroischen Zeiten.
Mode: Selbst bei den Prêt-à-porter Schauen waren Reminiszenzen zu Designgruppen wie „Memphis“ erkennbar. Starke Prints wie blockartige Streifen und wilde Muster auf grellem Fonds sieht man auch bei Jil Sander oder Delpozo. Richtig verrückt und bunt treibt es Junya Watanabe in seiner aktuellen Sommerkollektionen: Farbe trifft auf kreisrunde Formen aus PVC und führt zu spektakulären Outfits, die mehr Kunst als Mode sein wollen.