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System und Moderne
VON Jörg Stürzebecher | 30.10.2012

International verbreitetes Produktdesign aus der Schweiz, das ist – zumindest in der Außenwahrnehmung – Gestaltung für den Alltag, die neuerdings von Apple wiederentdeckte Bahnhofsuhr etwa, der Sparschäler für Kartoffeln oder das Urmodell aller Werkzeugkombinationen, das Schweizerische Offiziersmesser. Letzteres ist insofern bemerkenswert, als es mit seinen Teilen Leben, Arbeit und Freizeit eindrucksvoll verbindet, wenn eben nicht nur an den Schraubendreher, sondern auch an den Korkenzieher gedacht wurde. Schweizer Design, das meint nicht Extravagantes, sondern präzise gefertigtes Qualitativ-Haltbares, Langlebiges, wofür selbst Recycling-Produkte wie die Taschen und Behälter des Freitag-Sortimentes stehen. Solches wird seit einigen Jahren unter dem Label ‚Swissness’ zusammengefasst, eine Bezeichnung, die etwa auch die Schrift „Helvetica“ oder den typografischen Raster mit einschließt.

Zu den weltweit erfolgreichsten Gegenständen dieser ‚Swissness’ gehören die Möbelsysteme des Münsinger Stahlverarbeiters USM, die der am 15. Oktober verstorbene Architekt Fritz Haller von 1962 an entwickelte. USM Haller, das markiert einen Standard wie die Aluminiumstühle der Eames’, eine Qualität, die von Wettbewerbern vielleicht erreicht, nicht aber übertroffen werden kann. Zwischen Zürich und Tokio ist USM Haller allgegenwärtig, Finanzdienstleister verwenden die Systeme in großem Maßstab ebenso wie Architekturbüros. Galerien nutzen das System zur Katalogpräsentation und seit Anfang der 1990er Jahre ist es auch zunehmend im privaten Wohnbereich präsent, auch in diesem vielfältigen Einsatz den Eames-Stühlen vergleichbar.

Dieser Erfolg beruht darauf, dass es Fritz Haller (1924 bis 2012) gelungen ist, eine integrative Einheit von industriellen Fertigungsmöglichkeiten und ästhetischen Konzepten der Moderne herzustellen. So entsprechen Verbindungskugel, Stab und eingespannte Fläche Kandinskys Diktum von Punkt und Linie zur Fläche, die Skelett-Haut-Systematik verweist auf die Bauten der klassischen Moderne etwa Mies van der Rohes, die seriellen und unbegrenzten Erweiterungsmöglichkeiten sind Folge industrieller Qualitätsproduktion und stellen zugleich die Verbindung zur schweizerischen konstruktiv-konkreten Kunst her, wie sie beispielsweise Richard Paul Lohse in exemplarischen Modellen entwickelte. Technisch setzte Fritz Haller an den Knotenkonstruktionen Richard Buckminster Fullers, Konrad Wachsmanns und dem Mero-Knoten Max Mengeringhausens an und integrierte deren Konstruktionsvorteile überzeugend in eine harmonische Form industrieller Ästhetik. Funktional verbesserte er die seit Hans Gugelots M 125 bekannte Auflösung fester Möbelbegriffe wie Schrank, Regal oder Sideboard zugunsten des Verhältnisses von Tragen – Lasten sowie Offen – Geschlossen in einem Baukastenprinzip, das durch die Trennung von Skelett und Haut bestimmt ist.

Bemerkenswert ist dabei, dass der große konstruktive Wurf ein Nebenprodukt war. Denn Fritz Haller war Architekt, der zwischen 1949 und 1962 – oft zusammen mit seinem Vater – vor allem Schulbauten entwarf, an denen Serialität an Solitären erprobt wurde. Diese Gebäude boten eine Alternative zur Schalenbetonästhetik in der Folge Le Corbusiers, die in der Schweiz lange die Moderne prägte und skulpturale Bauten begünstigte, die auf Vorfabrikation und Modularität hin wiesen, Charakteristika, die zu den Merkmalen der ab 1969 so genannten Soluthurner Schule gehörten, in der Fritz Haller neben Alfons Barth, Franz Füeg, Max Schlup und Hans Zaugg vielleicht so etwas wie die Position eines Primus inter pares zukam.

1961 kam Fritz Haller dann zu seinem Lebensthema, dem erweiterbaren Systembau in Architektur und Möbel. Der Münsinger Metallverarbeiter Schärer beauftragte ihn mit der Erstellung neuer Betriebsgebäude, deren Teile in den eigenen Werkstätten gefertigt wurden. Das Bausystem „Maxi“ entstand, dem die kleiner proportionierten Systeme „Mini“ und „Midi“ folgten. Der Verwaltungstrakt benötigte neues Mobiliar, USM Haller war die Folge. Zunächst für den Eigenbedarf produziert, folgte 1969 mit der Einrichtung der Bank Rothschild in Paris der Durchbruch. 1988 erhielt das System schließlich von einem deutschen Gericht den Wert einer künstlerischen Leistung bestätigt, ein Prädikat, das nur wenige Designprodukte in Anspruch nehmen können.

Darüber hinaus war Fritz Haller als Autor und Lehrer tätig. 1968 erschien „Totale Stadt“, eine idealtypische Planung gegliederter Ordnung. Haller arbeitete an Vernetzungsmodellen und als Professor in Karlsruhe an Umweltplanungen für den Weltraum. Im Frühjahr dieses Jahres ehrte ihn die ETH Zürich, die auch seinen Nachlass verwahrt, mit einem Symposion. Eindrücklich wurde hier, nach den großen Ausstellungen in Solothurn, München und Zürich Ende der 1980er Jahre, noch einmal auf die Vielfalt seiner Leistungen und Anregungen hingewiesen; die Ausstellung zum Produktdesign in der Schweiz im Museum für Gestaltung 2013 wird seine Leistung demnächst ebenfalls ausführlich würdigen.

www.usm.com