Heitere Biennale-Atmosphäre: Für einen Tag war es rund um die mittelalterlichen Broel-Türme noch einmal Sommer. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Sunnyside up!
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von Thomas Wagner
21.10.2014 Am Eröffnungswochenende lächelt die ganze Stadt. Für einen Moment ist es noch einmal Sommer. Straßen und Plätze geben sich freundlich, die Menschen sind heiter gestimmt wie Luftgeister. Die Atmosphäre ist gelöst, das Leben bekommt Raum, wird öffentlich. Neugierige Blicke eilen hierhin und dorthin, überall wird geschaut, gelacht, gestaunt, gefragt. Wie friedliche Insekten zirkulieren die Audi-Shuttles zwischen Buda-Insel und Messegelände, und an Lukas Wegwerths mit schneegrau-alpinen Motiven bedruckten Tischen in der „Fusion-Bar“ der Buda Factory stärkt man sich mit Chips, Oliven und Wein, bevor man das Defilee des Nachwuchses in der Ausstellung „W/O – We are the next generation“ abschreitet. Zu sehen gibt es hier mit Daten bedruckte Kleider, Apps und Computerspiele, einen 3D-Scanner, aber auch Textilien und einen Hocker mit abnehmbarem Korksitz. Überall, wo die Biennale Interieur 2014 ihre Schätze ausbreitet, herrscht eine gelöste Stimmung. Un Gelato al limon, un Gelato al limon Sieht man in den Messehallen der Kortrijk XPO den Männern in ihren blütenweißen Jacken und ihren Kochmützen über die Schulter, wie sie Eis machen, glaubt man, die reibeisenraue Stimme Paolo Contes zu hören, der davon singt, wie der Zitroneneisgeschmack ihn in einen träumerischen Zustand davonträgt. An einem sommersonnenwarmen Oktobertag in einer nicht minder warmen Messehalle ist Eis allemal eine Attraktion, zumal, wenn es nicht irgendwie, sondern von Tour de Fork in einer „Mechanical Gelato Machine“ hergestellt wird. Nix Strom, nur Eis und Salz und eine leckere Mischung braucht es – und Muskelkraft, versteht sich. Sogar die Nase kommt auf ihre Kosten und das olfaktorische Erlebnis keineswegs zu kurz. In einem Pavillon stellt Germauld Olfactory Design nicht nur einen speziell für die Biennale komponierten Duft vor – es gibt ihn auch als Duftkerze –, sondern informiert auch über die verlockende Möglichkeit, sich einen ganz eigenen Duft kreieren zu lassen. Passend zum Firmenjubiläum oder einfach so. Sofort stellt man sich vor, wie die eigene Firma wohl riechen könnte, gäbe man ihr eine persönliche Duftnote. Wie schon bei den vorangegangenen Ausgaben der Biennale Interieur, so präsentieren sich die Aussteller in Kortrijk auch diesmal in weiten, offenen, großzügig wirkenden Arealen statt in einfallslos auf eine Schnur gezogenen Kojen und standardisierten Ständen. Die weiträumige Offenheit hat durchaus Schule gemacht, denkt man an den bei der imm in Köln vollzogenen Wandel. Kurzum: Die Biennale Interieur 2014 beweist wieder einmal, dass sie ein rundum sinnliches Erlebnis und – wie beabsichtigt – weit mehr als eine Möbel- oder Designmesse ist. Neues gibt es obendrein Selbst wer glaubt, zwischen dem Salone in Mailand und der Orgatec in Köln gebe es nichts Neues zu entdecken, wird eines besseren belehrt. Einige Beispiele: In Kortrijk, nicht auf der Orgatec, präsentiert die belgische Firma Bulo mit „DAN“ ein neuartiges Möbelsystem für Büro und Wohnung. Das modular aufgebaute System erweist sich als praktisch, lässt sich leicht umbauen, wirkt durchaus elegant und besitzt auch ästhetisch eine ganz eigene Note. Es besteht aus schwarz gebeizten hölzernen Leitern, die es mittels eigens entwickelter Verbindungselementen, Platten und Seitenteilen fast nach Belieben erlauben, Regale, Tische zum Sitzen und zum Steh-Arbeiten, aber auch Couchtische und ganze Büroensembles aufzubauen. Auf unterschiedlichen Stufen, ganz wie die Dan-Meistergrade des asiatischen Kampfsports. Auch Kinnasand hat neue Textilien und Teppiche mitgebracht. Neben leichten, japanisch anmutenden Stoffen wie „Haikomo“ oder „Stitcher“, besticht die aktuelle, von der Kreativdirektorin Isa Glink entworfene Kollektion besonders durch Wollteppiche wie „Tassel“ (mit zinnoberrotem, in Querrichtung verlaufendem Raster und einzelnen langen Fransen), „Twist“ und „Bond“ (mit sich raffiniert verändernder Helldunkelmischung). Während bei Danskina ebenfalls verfeinerte Muster dominieren, entschwebt Jan Kath in die Tiefen des Kosmos und holt in der Kollektion „Spacecrafted“ Bilder von Galaxien und Spiralnebeln per Teppich auf Wand oder Boden. Für eine kleine Überraschung sorgt Bullerjan, wo neben den in diversen Varianten der „Free Flow“-Öfen mit ihren charakteristischen Konvektionsröhren nun der von Max Ratjen gestaltete „B2“ tritt, für den Sebastian Herkner keramische Seitenverkleidungen und eine Bank entworfen hat. Eine Besonderheit des „B2“ : Er besitzt nicht nur eine ausgeklügelte Brennraumsymmetrie und eine aufgesetzte Nachbrennkammer, sondern obendrein einen Katalysator, was dazu führt, dass der Ofen die in Deutschland von 2015 an geforderten Feinstaubwerte um bis zu 88 und die CO2-Werte um bis zu 96 Prozent unterschreitet. Last but not least zeigen die DCW Éditions neben den Mantis-Leuchten von Bernard Schottlander die bekannten Industrie- und Architektenleuchten von Lampe Gras nun auch in einer vergrößerten Version für den Außenbereich. Gleich daneben in Halle 3 tummeln sich neun „Designer of the Year“. Während Marina Bautier, die aktuell ausgezeichnet wurde, ihre schlicht und klar gezeichneten Holzmöbel vorstellt, zeigen Alain Berteau, Nedda el-Asmar, Stefan Schöning, Sylvain Willenz, Bram Boo, Natalie Dewez, Alain Gilles und Jean-François d’Or, was sie gemeinsam mit einem der Hersteller, mit dem sie zusammenarbeiten, entwickelt haben. Bis hin zu einer zeitgemäßen „Wasserpfeife“ zum Inhalieren verschiedener Aromen. Heimat in Quadratmetern Es wird aber auch gefragt: Was ist das, ein Heim? Ist es schnöder Aufenthalts-, Arbeits- und Schlafplatz, ein schnöder Behälter, den wir mit Alltag füllen oder ist es der Ort, an dem wir uns geschützt und heimisch fühlen? Wie sehr sind Wohnung oder Haus Teil unserer Sehnsüchte und Wunschproduktion? Und fragen wir deshalb schon gar nicht mehr oder zu wenig nach den ökonomischen Gesetzen, denen unterliegt, was wir aus Gewohnheit „home“ nennen? Ist unser Heim gar eine Art militärischer Komplex, von starken Frauen organisiert, oder ist es längst zu einer Datenfabrik mutiert? „SQM – the quantified home“ oder einfach „Squaremeter“, zu deutsch: Quadratmeter, haben Joseph Grima und sein Space Caviar-Team die zentrale Ausstellung des Kulturprogramms genannt – als sei das, was sonst noch so alles gezeigt und angeboten wird, nicht ebenso Teil unserer Wohnkultur. Provokativ wird sogleich behauptet: „The Home does not exist“. Schön und gut. Aber ist es nicht eher die Frage, wie so ein Heim konkret existiert, wie es unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen bewohnt, möbliert, erlebt, geliebt oder gehasst wird? In welchem Viertel es liegt, welche Läden und Kneipen es in Fußnähe gibt? Wie Menschen mit den veränderten Lebensumständen umgehen? Bei Space Caviar bleibt all das abstrakt, blut- und lebensleer. Was in einem riesigen, auf mehreren Ebenen begehbaren Labyrinth aus Lagerregalen, gegen allen Anschein auch noch „Theater“ genannt, ausgebreitet wird, sind nichts als spröde, mittels Leuchtstoffröhren dargestellte Statistiken, ergänzt um einige Aufrisse, Monitore und Leuchtkästen. Spätestens wenn man das Buch in Händen hält, in dem das „design research collective“ die Entwicklung all dessen untersucht, was sich auf dem Weg von utopischen Experimenten bis zur Datenfabrik im Haus, der Heimstatt oder gar der Heimat verändert hat, begreift man, dass hier zwar eine fundierte Studie erarbeitet, aber keine ansprechende Ausstellung ersonnen wurde. Abgesehen von Statistiken zur Entwicklung mittlerer und höherer Einkommen und ökonomischen Tatsachen wie jener, dass man für 50.000 US-Dollar in Monaco gerade einmal 0,9, in London 1,5, in Nairobi aber 55,6 und in Daressalam gar 71,4 Quadratmeter Wohnfläche kaufen kann, existiert hier kein sozialer Raum, wird Wohnen nirgendwo anschaulich fassbar. Kein Wunder, dass nebenan in den Messehallen ein lebendiges Treiben herrscht, während sich in das kalte Theorie-Gestell auf der Rambla nur selten ein Besucher verirrt. Schließlich referiert hier eine unpersönliche und ominöse Instanz aus gefühlt kosmischer Ferne über ein Thema, das uns eigentlich alle angeht. Wo auch immer die Gründe dafür zu suchen sind, hier wurde eine Chance vertan. Die Studie mag man lesen, die Ausstellung zum Buch braucht keiner. Der Eindruck, hier schwebe eine von allerlei Theorie, Kunst und Poesie inspirierte Attitüde über den Niederungen des Wohnens, bestätigt sich leider auch in den anderen Teilen von SQM. Ohne Sinn für die Geschichte der Räume rund um die Broel-Schule wird deren etwas marode Schönheit allein dazu genutzt, eine seltsame Chronologie und kitschige Sprüche aus dem Poesiealbum an die Wände zu schreiben, in die dann und wann ein Loch gebrochen wurde. Als hätte es Gordon-Matta Clark nie gegeben. Weitaus spielerischer macht das DIY-Theaterstück von TAAT den gebauten, aber auch den bewohnten Raum erlebbar. „Hall 03“ ist ein Erfahrungsraum, den man – als Protagonist in einem kleinen, heiteren Drama – parallel zu einem Mitspieler durchwandert, überraschende Durchblicke und Begegnungen eingeschlossen. Und wer neben Sehen, Schmecken, Tasten, Riechen auch noch das Hören erleben wollte, dem bot die Band „Goose“ mit ihren Konzerten einen besonderen Leckerbissen. Im Buda Tower haben sie ihren eigenen Raum, die Bühne, überdacht. Mit dem Ergebnis: Jeder der vier Musiker trat leibhaftig in einem anderen Stockwerk auf. Vereint aber wurden sie und ihr Spiel dann doch, medial im Bild und akustisch im kraftvollen Sound eines Stücks irgendwo zwischen Minimal Music und Techno. Das Heim existiert, soviel wurde in Kortrijk auch in diesem Jahr klar. Biennale Interieur 2014 MEHR auf Stylepark: Die Mischung macht’s: Auch die 23. Ausgabe der internationalen „Biennale Interieur“ im belgischen Kortrijk hat es geschafft, sich als eine sympathische Messe der etwas anderen Art zu präsentieren. |
Alpine Motive: Ein Blick in die von Lukas Wegwerth gestaltete „Fusion-Bar“ in der Buda Factory. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Es gibt Eis, Baby! Mit Hilfe einer mechanischen Eismaschine lässt es sich buchstäblich im Handumdrehen selbst herstellen. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Auf den Punkt gebracht oder zumindest in einen einzigen Spot getaucht wurden die Entwürfe der 20 Gewinner des Interieur Awards in der Kategorie „Objects“. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Leitern braucht man: Bulo stellt ein neues Systemmöbel „Dan“ für Büro und Wohnung vor.
Foto © Thomas Wagner, Stylepark Offene, angenehme Räume gibt es in allen Messehallen, auch beim Speisen.
Foto © Thomas Wagner, Stylepark Aus der aktuellen Kollektion von Kinnasand: Der Wollteppich „Tassel“ mit zinnoberrotem Raster.
Foto © Thomas Wagner, Stylepark Als hätte sich ein Streifenbild von Gerhard Richter auf den Boden verirrt: Einer der Teppiche auf dem Stand von Danskina. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
Der Teppich als Abbild kosmischer Konstellationen: Aus Jan Kaths Kollektion „Spacecrafted“.
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Lange Tische kann jeder brauchen, Pedrali nennt einen solchen „Arki-Table“.
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Spieglein, Spieglein an der Wand: Auf dem Stand von Artek vermehren sich nicht nur die Hocker von Alvar Aalto wie von Geisterhand. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
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Sauberer Kaminofen dank Katalysator: Sebastian Herkner hat zum neuen „B2“ von Bullerjan eine Bank und keramische Seitenplatten beigesteuert. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
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Feine und schlichte Möbel aus Holz: Marina Bautier wurde als „Designer of the Year 2014“ ausgezeichnet. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
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Jimmy Carter weiß, wie es geht: Wo das gewöhnliche Wohnen endet, beginnt die Politik des Wohnzimmers. Foto © Thomas Wagner, Stylepark
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Kennen Sie die Geschichte der „Ceiling Cat“? Im Netz ist sie ein Überwachungsfreak.
Foto © Thomas Wagner, Stylepark |