NACHHALTIGKEIT
Das Paradies retten
Anna Moldenhauer: Gary, ihr habt es euch zum Ziel gesetzt, die zahlreichen von Plastikmüll verschmutzten Gewässer Indonesiens zu säubern, insbesondere auf der Insel Bali. Wie ist die Idee entstanden?
Gary Bencheghib: Ich denke, dass man auf der Insel Bali nicht mehr wegschauen kann, wenn man sieht, wie die Plastikverschmutzung von Jahr zu Jahr schlimmer wird. Bei jedem Regen wird eine große Menge Plastikmüll an die Strände gespült. Ich habe mich schon als Teenager gefragt, wie ich dazu beitragen kann diesen Prozess aufzuhalten. Damals haben wir begonnen den Plastikmüll stundenlang aufzusammeln, um ihn anschließend in den Kreislauf der Wiederverwertung zu geben. Wir haben dabei festgestellt, dass der Abfall zum größten Teil über die Flüsse und Bäche in das Meer gelangt, denn das sind Verbindungspunkte zum Leben auf dem Land. Ziel war es daher, den Abfluss des Mülls in das Meer zu stoppen. Die von uns entwickelten Barrieren haben wir in den letzten Jahren gemeinsam mit IngenieurInnen optimiert. Es hat sich schnell gezeigt, dass es sich lohnt, etwas zu verändern. Trotz der Covid19-Pandemie, die kurz nach der Unternehmensgründung kam, haben wir 180 Barrieren auf Bali und Java installiert und sammeln mit diesen täglich bis zu 3.000 Kilogramm Plastikmüll ein.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Sungai Watch aus?
Gary Bencheghib: Falls es in der Nacht geregnet hat, starten wir am Morgen eine Art Katastropheneinsatz, wie vor kurzem für einen Fluss im Zentrum des Dorfes Canggu. Die Beseitigung der Abfälle kann bis zu fünf Stunden dauern. Wenn ich nicht selbst bei der Säuberung mithelfe, ist es meine Aufgabe, unsere acht Einrichtungen zu überwachen, um sicherzustellen, dass alle gesammelten Abfälle ordnungsgemäß weiterverarbeitet werden. Angesichts der riesigen Berge von Material, das wir aus den Flüssen und Mangroven ziehen, ist der Prozess der Umwandlung zentral für uns. Der Kunststoff wird gewaschen, zerkleinert, geschmolzen und zu Platten gepresst. Das ist relativ langwierig. Parallel forschen wir nach neuen Möglichkeiten die Kunststoffe zu recyceln, um diese in einen Wert zu verwandeln.
Welche Herausforderungen musstest ihr lösen, um den Plastikmüll wiederzuverwerten?
Gary Bencheghib: Die größte Herausforderung ist die Reinigung des Kunststoffes – wir hatten seit Beginn wohl schon sieben unterschiedliche Versionen von Sortieranlagen, bevor der Kunststoff gereinigt werden konnte. Zuerst haben wir die Objekte in Eimern mit der Hand gereinigt, da uns keine finanziellen Mittel zur Verfügung standen. Mittlerweile konnten wir Motoren und Blasgeräte für einen schnelleren Ablauf nutzen und haben diverse Seifen getestet. Ebenso wird das Wasser in einem geschlossenem Loop-System wiederaufbereitet, welches wir für die Reinigung verwenden. Jede einzelne Kunststoffart benötigt eine andere Art der Säuberung und andere Methoden, um sie in eine sekundäre Ressource zu verwandeln. Im Moment sind wir noch nicht in der Lage, den gesamten Müll, den wir sammeln, zu recyceln. Materialien wie Styropor und Polystyrol, mehrschichtige Tüten oder Plastikverpackungen mit Aluminiumfolie im Inneren, können beispielsweise in Indonesien noch nicht recycelt werden, daher haben wir beschlosen sie in Warenhäusern zu lagern. Wir lernen jeden Tag dazu, all diese Arten von Müll unterschiedlich zu betrachten. Noch haben wir nicht zu jeder Frage eine Antwort, aber wir arbeiten mit verschiedenen Universitäten daran und hoffentlich bald auch mit weiteren Forschungsinstituten. Ich denke, die größte Herausforderung besteht darin, dass es nur ein Gewitter braucht um einen Fluss, den wir soeben gereinigt haben, wieder zu verschmutzen. Dazu fehlt es an staatlicher Unterstützung und auch an einem Bewusstsein in der Bevölkerung für das große Ausmaß der Problematik. Der Kampf gegen den Plastikmüll braucht Ausdauer und Geduld. Wir dürfen ihn dennoch nicht aufgeben.
Ich habe während der Recherche gesehen, dass ihr bereits mit Kreativen sowie mit Hotels wie den Potato Head Studios oder Marriott International kooperiert habt. In diesem Zuge sind auch Skulpturen und Möbel aus recyceltem Kunststoff entstanden. Was sind eure nächsten Schritte?
Gary Bencheghib: Wir haben bereits mit einigen Designstudios zusammengearbeitet, die das von uns gesammelte Plastik als Basis verwendet haben, um damit ihre eigenen Prozesse zu starten. Ebenso haben wir unsere eigenen Anlagen gebaut und viel experimentiert, um die effizienteste Methode zu finden, die Kunststoffe weiterzuverarbeiten. In den letzten Monaten haben wir uns mit der Gründung eines weiteren Unternehmens beschäftigt, um die gesammelten Kunststoffe für die Gestaltung von eigenen Möbeln und Objekten zu nutzen – Sungai Design. Wir können es kaum erwarten, noch in diesem Jahr an den Start zu gehen.
Parallel zum Aufbau von Sungai Design hast du bereits die recycelten Kunststoffe genutzt, um daraus ein Tiny House mit 12 Quadratmeter Fläche entstehen zu lassen, in dem du aktuell auch wohnst. Für die Wände wurden unter anderem 3500 Plastiktüten verarbeitet. Wie hast du die Kunststoffe für den Hausbau ausgewählt?
Gary Bencheghib: Ich möchte mit diesem Projekt ein Zeichen setzen, dass die Kunststoffe, die aktuell unsere Strände und Flüsse verstopfen oder auf offenen Mülldeponien landen, stattdessen die Basis für ein Zuhause sein könnten. Der größte Teil der Innen- und Außenverkleidung meines Tiny Houses besteht aus recycelten Kunststoffplatten. Auch das Bettgestell, die kleine Küche und das Badezimmer sind aus recyceltem Kunststoff gefertigt. Außerdem verwende ich für den Innenraum geflochtenen Bambus und für den Bodenbelag recyceltes Holz. Es ist großartig zu sehen, dass das Projekt bereits zahlreich über die sozialen Medien geteilt wurde, denn darauf kommt es an: Menschen zu inspirieren, dass Müll eine wertvolle Ressource sein kann.
Hast du für den Entwurf mit einem Architekturbüro zusammengearbeitet?
Gary Bencheghib: Das Haus ist ein sehr persönliches Projekt und ich habe es daher komplett selbst entworfen. Ich erhalte im Moment viele Anfragen für die weitere Vermarktung der Idee des Tiny Houses aus recyceltem Kunststoff und das ist auf jeden Fall etwas, das wir in Betracht ziehen. Bevor das Projekt marktreif ist, wollen wir aber das Material auf alle Eventualitäten testen, beispielsweise wie sich die Platten bei Sonneneinstrahlung oder Stürmen verhalten und ob es Ausdünstungen gibt. Diese Prüfung haben wir über das letzte halbe Jahr vorgenommen.
Ich denke es gibt kaum einen besseren Praxistest als in dem Haus selbst eine Weile zu wohnen, welches man später vermarkten möchte. Für die Stromversorgung nutzt du Solarenergie – wie erfolgt die Zufuhr von Frischwasser?
Gary Bencheghib: Das Haus steht auf einem Grundstück, das sehr weit entfernt von jeglichem Leitungssystemen ist, daher besteht weder eine Stromleitung noch ein herkömmlicher Wasseranschluss. Für die Versorgung wird Flusswasser mit Hilfe von Solarenergie durch unterschiedliche Biofilter gepumpt. Zudem gibt es eine Auffanganlage, die während der Regenmonate sehr hilfreich ist. Das ganze System ist völlig unabhängig. Für die Grundversorgung mit Lebensmitteln dient mir mein etwa 100 Quadratmeter großer Garten, in dem ich Gemüse anbaue. Davon ab – da das Grundstück direkt am Meer liegt, kann ich jeden Tag Wellenreiten. Für mich ist es die Erfüllung eines Traums. Ich lebe dort mit meinem Hund und brauche nicht viel mehr.
Auf euren Social-Media-Kanälen zeigt ihr Ausschnitte der Reinigungsaktionen – darin sieht man auch wie du in den verschmutzten Flüssen arbeitest und teils mit bloßen Händen den Müll aus den Mangroven ziehst. Hast du keine Sorge dich zu verletzen oder zu erkranken?
Gary Bencheghib: Teils ist es vielleicht naiv oder auch einer jugendlichen Energie zu verdanken, die uns glauben lässt wir seien unbesiegbar. Das sind wir sicher nicht. Letztens wurde ich von einer Mücke gestochen und bin daraufhin an Dengue-Fieber erkrankt, das mich zwei Wochen außer Gefecht gesetzt hat. Heute bin ich von meinem Standup-Paddling-Board in den Fluss gefallen und musste mehrmals duschen, um die Giftstoffe von meiner Haut zu bekommen. Selbst auf meine Gesundheit zu achten ist das eine – die Gesundheit und Sicherheit unseres Teams hingegen hat für uns obere Priorität. Wir beschäftigen auf Bali und Java aktuell mehr als 100 MitarbeiterInnen. Statt nur die Symptome zu bekämpfen, versuchen wir auch an die Wurzel des Übels zu kommen, und an den offenen Müllkippen anzusetzen, durch die ein Großteil des Mülls in die Flüsse gelangt. Ebenso bauen wir aktuell mit unseren Partnerunternehmen ein Abfallmanagement auf, und arbeiten auf der Vermittlungsebene um in der Bevölkerung für die Problematik ein Bewusstsein zu schaffen.
Um auf den Klimawandel hinzuweisen setzt ihr auch auf außergewöhnliche Aktionen, wie deine 4800 Kilometer lange Wanderung von New York City nach Los Angeles. Warum sind diese Leuchtturm-Projekte deiner Meinung nach notwendig?
Gary Bencheghib: Ich würde sagen, dass die Bevölkerung in Europa sich überwiegend bewusster ist, was gerade mit unserem Planeten geschieht als in den Entwicklungsländern. In Indonesien sieht man jeden Tag Personen, die ihren Müll gedankenlos in die Umwelt kippen, da klafft eine riesige Bewusstseinslücke für diese Problematik. Es fehlt bereits an Aufklärungsprogrammen in den Schulen zum Thema Klimawandel und Plastikverschmutzung. Diese Aktionen, wie quer über den Kontinent rennen oder in einem Boot aus Plastikflaschen den den Citarum River in West Java herunterfahren, einer der schmutzigsten Flüsse der Welt, sind im Grunde ein Hilferuf von uns an die Politik und die Unternehmen in Aktion zu treten. Sie sind ein Anstoß zum Gespräch und sollen dabei helfen, die Diskussion für eine Lösung des Problems zu den EntscheidungsträgerInnen zu bringen. Deshalb besteht ein großer Teil unserer Arbeit auch darin, die Daten hinter den gesammelten Kunststoffen zu analysieren. Wir prüfen von welchen Marken der Plastikmüll stammt, denn so können wir sehen, wer auf Unternehmensseite die größten Verursacher sind und versuchen mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Parallel fordern wir eine Besteuerung der Plastikproduktion seitens der Regierungen und setzen uns für weitere politische Maßnahmen ein.
Für eurer Engagement wurdet ihr bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Ramon-Magsaysay-Preis, der als der asiatische "Friedensnobelpreis" gilt. Auch seitens der Regierung Balis gab es Zuspruch – war diese einmalig oder arbeitet ihr mit der Verwaltung vor Ort zusammen?
Gary Bencheghib: Im Grunde ist die Frage, warum wir die Flüsse reinigen müssen und die Regierungen nicht selbst auf die Idee kommen, dass diese Verschmutzung problematisch ist. Es gibt durchaus Zuspruch und Unterstützung, wichtig ist nur, dass diese langfristig ist und nicht auf eine temporäre Medienwirksamkeit zielt. Wir brauchen definitiv Unterstützung an Deck.
Du bist in Paris aufgewachsen, könntest du dir vorstellen zu einem späteren Zeitpunkt deine Idee auch auf Europa zu übertragen?
Gary Bencheghib: Genau, ich bin ich in Paris geboren und habe in der Stadt gelebt, bis ich acht Jahre alt war und wir nach Bali umzogen. Seitdem lebe ich hier und obwohl man den französischen Akzent noch gut hört, identifiziere ich mich eher als Balinese. Wir denken auf jeden Fall über Möglichkeiten des Wachstums nach, allerdings eher in Richtung Südostasien, Afrika und Südamerika. Die am stärksten verschmutzten Flüsse der Welt befinden sich in Asien. Dort gibt es noch viel zu tun, bevor wir an Europa denken können.
Was sind deine nächsten Schritte?
Gary Bencheghib: Ich bleibe aktiv und versuche andere Menschen zu inspirieren. Der Kampf gegen die Plastikverschmutzung erfordert unsere ganze Energie, aber ich bin überzeugt, dass wir diesen noch zu meinen Lebzeiten gewinnen können.