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Sumayya Vally

Architektur der Begegnung

In den Londoner Kensington Gardens eröffnete vor kurzem der Serpentine Pavillon. Im Interview erläutert Sumayya Vally, Gründerin des Büros Counterspace aus Johannesburg, wie Londoner Migrantengemeinschaften sie zu ihrem Entwurf inspirierten.
16.06.2021

Ein Jahr musste sich Sumayya Vally vom Büro Counterspace aus Johannesburg aufgrund der Pandemie gedulden, bis sie ihren Serpentine Pavilion im Londoner Kensington Garden der Öffentlichkeit vorstellen konnte. Die Architektin – Jahrgang 1990 – ist die Jüngste, die je mit der Gestaltung beauftragt wurde. Sie folgt auf namhafte Kollegen wie Zaha Hadid (2000), Oscar Niemeyer (2003), Frank Gehry (2008) oder Ai Weiwei und Herzog & de Meuron (2012).

Judith Jenner: Frau Vally, wie haben Sie die Eröffnung des Serpentine Pavilion mit einem Jahr Verzögerung erlebt?

Sumayya Vally: Es fühlte nach einem enormen Triumph an, den Pavillon nach all dieser Zeit zu eröffnen. Durch die Verzögerung konnten andere, angegliederte Projekte weiter wachsen. Ich denke da an die Fragmente des Pavillons, die an verschiedenen Orten im Land aufgestellt sind, aber auch an unser begleitendes Kulturprogramm. Wir haben in dieser Zeit zudem ein Stipendium-Programm aufgesetzt, um kulturelle Migranten-Organisationen zu unterstützen, die durch die Pandemie in eine finanzielle Schieflage geraten sind. Viele Themen, die mit dem Pavillon verknüpft sind, räsonieren aufgrund der Erfahrung mit der Isolation noch stärker.

Wie zeigt sich das?

Sumayya Vally: Ich verbringe seit der Eröffnung jeden Tag sehr viel Zeit dort. Es ist wunderbar zu beobachten, dass die Menschen den Pavillon tatsächlich auf die Art nutzen, wie ich ihn gestaltet habe. Das weiß man ja vorher nie genau. Aber ich habe Kinder gesehen, die hineinklettern. Menschen sitzen einander gegenüber und unterhalten sich zu zweit oder in kleinen Gruppen. Es ist tatsächlich ein Ort der Begegnung geworden.

Wie würden Sie die Idee des Entwurfs beschreiben?

Sumayya Vally: Inspiriert haben mich Migrationsbewegungen nach London. Dafür habe ich mir Treffpunkte der verschiedenen Communitys angesehen, die für sie ein Stück Heimat in London bedeuten. Das waren spirituelle Orte wie Moscheen, Kirchen oder Synagogen, aber auch Märkte und Geschäfte mit regionalen Produkten. Ich war in Restaurants, in denen nicht nur Essen aus der alten Heimat serviert wird, sondern auch Nachrichten von dort ausgetauscht werden. Kinos, die Filmen in der Muttersprache von Migranten zeigen, oder Musik, die thematisiert, was es bedeutet, aus mehr als einem Ort zu kommen, haben mich inspiriert. An diesen Orten habe ich nach architektonischen Ausdrücken von Großzügigkeit geschaut. All diese Eindrücke in Form von Strukturen und Klängen flossen in den Entwurf ein.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen Ihrem Entwurf und früheren Serpentine-Pavillons?

Sumayya Vally: Ich denke, es gibt mit vielen von ihnen eine Resonanz, weil alle Entwürfe die Intention haben, Menschen zusammenzubringen. Als wir die Einladung bekamen, einen Beitrag einzureichen, musste ich sehr intensiv darüber nachdenken, was jemand aus meinem Teil der Welt in diesem Kontext zu sagen hat. Als Architektin aus Johannesburg interessieren mich immer die Dinge unter der Oberfläche. Das ist es, was ich in den Pavillon bringen möchte.

Welche Baumaterialien haben Sie verwendet?

Sumayya Vally: Der Pavillon besteht überwiegend aus recycelten Materialien. Die Grundstruktur ist aus Holz aus nachhaltigem Anbau, das mit Mikrozement bedeckt ist. Die Stahlkonstruktion und der Beton stammen aus früheren Bauprojekten, der Kork aus der Weinindustrie. Der Pavillon zeigt ein tiefes Interesse an sozialer Nachhaltigkeit und wie wir Dinge ehren können, die von anderen Orten kommen. In diesem Kontext spielte die Arbeit mit recycelten Materialien eine wichtige Rolle.

Wo sehen Sie Ihre Rolle als Architektin in Diskussionen um gesellschaftliche Themen wie Migration und Klimawandel?

Sumayya Vally: Ich denke, Architektur sollte sich in solche Diskussionen immer einbringen. Wenn sie sich heraushält, unterstützt sie, dass eine bestimmte Art der Politik aufrechterhalten wird. Mit meiner Herkunft aus Johannesburg, das in Gestaltungsfragen so abgespalten ist und wo viel Ungleichheit herrscht, nehme ich Architektur häufig als etwas wahr, das Menschen trennt und auseinander reißt. Wenn wir das verstehen, kann Architektur auch eine Kraft für das Gegenteil sein. Es kann eine Kraft sein, die Menschen zusammenbringt.

Sie sind die jüngste Architektin, die jemals für den Serpentine Pavillon ausgewählt wurde. Wie wichtig ist kulturelle Identität für Ihre Generation?

Sumayya Vally: Viele Kulturen haben eine so reiche Form des Ausdrucks, aber auf die Architektur nahm das lange Zeit kaum Einfluss. Ich sehe es als sehr wichtig an für meine Generation, dass wir die Hybridität, die wir alle haben, ausdrücken. Die Herausforderung, mit denen wir jetzt konfrontiert sind, sind dadurch entstanden, dass wir sie nur aus einer Perspektive angeschaut haben. Wir waren sehr selbstsüchtig in der Art, wie wir den Planeten und einander behandelt haben, und sind in einem neoliberalen Kapitalismus gefangen. Indem wir die verschiedenen kulturellen Ausdrucksformen und Hintergründe, die uns zur Verfügung stehen, nutzen, können wir Antworten auf diese Fragen finden. Denn wir befinden uns in dieser Situation, weil wir nur bestimmten kulturellen Werten gefolgt sind und andere ausgeblendet haben.

Welche ArchitektInnen inspirieren Sie?

Sumayya Vally: Mich inspirieren ArchitektInnen, die unterschiedliche Weltsichten ausdrücken. Isamu Noguchi hat mich sehr beeinflusst, aber auch Zaha Hadid oder David Adjaye, denn ich denke, dass ihre Architektur einen anderen Blick auf die Welt ausdrückt.

Welches Gebäude würden Sie in Zukunft gerne entwerfen?

Sumayya Vally: Momentan interessiere ich mich sehr für die Arbeit mit Kulturinstitutionen wie Museen, Büchereien, öffentlichen und sozialen Orten. Ich interessiere mich dafür, neu zu überdenken wie die Typologie dieser Gebäude funktioniert und dementsprechend für sie zu gestalten.

Welchen Rat würden Sie jungen ArchitektInnen geben?

Sumayya Vally: Ich würde ihnen raten, sich von den aktuellen Herausforderungen nicht einschüchtern zu lassen und sie stattdessen mit Vorstellungskraft zu umarmen. Denn jung zu sein ist eine wichtige Linse, die uns nur für eine gewisse Zeit zur Verfügung steht. Man sollte das meiste herausholen aus dieser Zeit, bevor wir abstumpfen oder von den Systemen der Welt eingesogen werden. Das ist ebenso wichtig wie unsere Welt aus den unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, die sich aus Kategorien wie Geschlecht oder Kultur ergeben.

Summaya Vally in Johannesburg | Serpentine Pavilion 2021 designed by Counterspace