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Zwischen den Regalen

Der Suhrkamp Verlag hat seinen neuen Hauptsitz in Berlin-Mitte bezogen. Entworfen wurde das Betonensemble als eine sorgfältige Stadtreparatur von Roger Bundschuh. Das Innenleben des Verlagshauses hat das Team von Kinzo geplant.
von Jeanette Kunsmann | 17.02.2020

Zwar tauchen Willy Fleckhaus' legändere "edition suhrkamp"-Umschläge schon die Wände im zweiten Geschoss in die Farben des Regenbogens, doch längst sind nicht alle Regale einsortiert. Überall in den Ecken und Gängen verstecken sich noch Umzugskartons. Gleich mehrere tausend Meter Bücherregale reihen sich in dem Neubau zwischen Volksbühne und der Kreuzung am Rosa-Luxemburg-Platz aneinander. Zwar bezogen Suhrkamp-, Tropen- und Insel-Verlag ihr neues Domizil bereits im vergangenen Sommer, doch bis der dritte Bauabschnitt mit dem angegliederten Wohngebäude komplett fertiggestellt ist, bleibt das Grundstück eine Baustelle. Berlin eben.

Bauherr des Gebäudes ist die IBAU AG, die mit dem Architekten Roger Bundschuh bereits das "L40" auf dem Grundstück gegenüber realisierte und die auch das architektonische Erbe Hans Poelzigs am Rosa-Luxemburg-Platz verwaltet. Gemeinsam entwickelten Bundschuh und die IBAU AG einen Masterplan für das Grundstück, um die Fläche, auf der zuvor einmal ein Blockrandgebäude von Hans Poelzig stand, überhaupt wieder bebauen zu dürfen. Das Konzept: eine sorgfältige Weiterentwicklung der Stadt mit dem Ziel, die kulturelle Prägung des Platzes rund um die Volksbühne zu stärken und weiterzuführen. "Suhrkamp war zu dieser Zeit schon in Berlin, in der Pappelallee", erinnert sich Bundschuh. "Sie waren auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten. Das wussten wir." So fand man sich schließlich zusammen. 2017 wurde die Baugenehmigung erteilt, dann ging alles ganz schnell. 2019 konnten die 120 Mitarbeiter die von Anfang als Provisorium gedachten Büros in der Pappelallee nach neun Jahren verlassen.

Im Innern herrscht Stille. Wenn man durch die riesigen Fenster den Verkehr der Torstraße geräuschlos vorüberziehen sieht, hört man Mitarbeiter flüstern. Papier raschelt. "Die Akustik ist etwas zu gut geworden", verrät Kinzo-Partner Martin Jacobs. "Wir brauchen noch ein Hintergrundgeräusch." Weil mit 390 Quadratmetern pro Etage und einer Gesamtnutzfläche von 2.300 Quadratmetern weniger Raum entstanden ist, als dem Verlag vorher in der Pappelallee zur Verfügung stand, musste die Inneneinrichtung platzsparend konzipiert werden. Das Team von Kinzo entwickelte ausgeklügelte Details wie die Türen zu den Zimmern der Lektoren, die bündig im Regal verschwinden. Außerdem mussten fast fünf Kilometer Bücherregal in den sechs Etagen untergebracht werden. Der Regalentwurf von Kinzo wird von einer Leipziger Tischler gefertigt – das Besondere sind die integrierten Oberlichter, die angenehm hell auf die Buchrücken scheinen.

Ein kleiner Veranstaltungsort im obersten Geschoss dient zum Austausch, für interne Lesungen und als Treffpunkt. Von der Dachterrasse blickt man über Berlin. Über die vielen vorhandenen Möbelstücke der Suhrkamp-Mitarbeiter – vom Thonet-Freischwinger bis zum Biedermeier-Beistelltisch – waren die Innenarchitekten zunächst nicht ganz glücklich. Sie erkannten aber schnell, dass diese Objekte eine Wohnlichkeit und Authentizität in die neuen Räume bringen, die man nie hätte planen können.

Die konisch geformten Etagengrundrisse ergeben sich aus der stadtplanerischen Setzung – die Architektur erinnert selbst an eine überdimensionale doppelte Regalreihe. Roger Bundschuh geht es dabei, wie schon zuvor beim benachbarten L40, um eine Auflösung des Blockrands. Das neue Haus soll eben nicht wie der Poelzig-Bau sein, der an dieser Stelle einmal stand, sagt Bundschuh, sondern das genaue Gegenteil: "Kein Blockrand, kein enger Hinterhof." Stattdessen öffnet sich sein Entwurf zum Rosa-Luxemburg-Platz und zur Linienstraße. "Es gibt keine Schauseite und keine Rückseite, der städtische Raum umgibt das Gebäude." Während die dunkle Fassade des L 40 gegenüber als markanter Monolith den Stadtraum bespielt, bezieht sich der Suhrkamp-Neubau mit seiner hellen, warmen Betonfassade in Form und Farbigkeit auf den Bühnenturm der Volksbühne. Noch sind die Außenanlagen nicht endgültig fertiggestellt. Im Innern wird dagegen bereits am nächsten Kapitel der Geschichte des Suhrkamp-Verlages geschrieben.