KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
Neue Werkzeuge
Anna Moldenhauer: Tim, was reizt dich an der KI für die Disziplin der Architektur?
Tim Fu: Während meiner gesamten Laufbahn in der Architektur habe ich mich mit fortschrittlichen Technologien befasst, die uns sowohl bei der Gestaltung helfen wie bei der Art und Weise, wie wir über Gestaltung denken. Vor allem in letzter Zeit wurden KI-Technologien entwickelt, die die architektonische Entwicklung voranbringen werden. Die künstliche Intelligenz hilft nicht nur beim Produzieren und Konstruieren, sondern verändert auch die Gestaltung an sich. Sprich die Kreativindustrie wird durch die Technologie einen grundlegenden Wandel erleben und wir müssen versuchen, uns an die hervorgerufenen Veränderungen anzupassen.
Kannst du ein Beispiel nennen, inwiefern KI einen Teil des kreativen Prozesses ausmacht?
Tim Fu: Zum Beispiel das Testen verschiedener Materialien für die Gestaltung eines Innenraums. Das ist ein Bereich, in dem man traditionell Renderings und Materialexpertise benötigt. Aktuell werden die Paletten in der tatsächlichen Umgebung gerendert. Mit der künstlichen Intelligenz wird das in einem Zug erledigt. Man kann ein Innenrendering einfügen und das ausgesuchte Material sehr schnell verändern. Das gilt auch für die Außenarchitektur. Zudem unterstützt die KI bei Konzeptdesign. Ich glaube, das ist die größte Veränderung, denn traditionell haben wir immer über neue Ideen nachgedacht, indem wir recherchiert haben. Dazu durchsuchen wir zum Beispiel bildbasierte Plattformen und schauen uns sowohl die vorangegangenen Arbeiten anderer kreativer Personen wie unsere eigenen Arbeiten an. In diesem Prozess versuchen wir, neue Ideen zu finden. KI ist eine neue Inspirationsquelle, man könnte sie als neues Teammitglied betrachten – nur dass dieses Tausende von Ideen auf einmal einbringt. Die meisten werden nicht gut sein, die Qualität verbessert sich erst, wenn man beginnt mit der KI zu arbeiten. Sprich zu Beginn ist die KI ein sehr quantitatives Unterfangen, aber sehr hilfreich bei der Entwicklung von Ideen.
„Die Rolle der Person, die die KI steuert, ist genauso wichtig wie die der KI selbst.“
Wie siehst du die weitere Entwicklung der KI zu einer unabhängigen Form, die nicht auf menschlichen Ideen basiert?
Tim Fu: Meiner Meinung nach wird die Basis der KI die Idee eines Menschen bleiben. Ihre Ergebnisse hängen auch viel mit dem Zufall zusammen, ähnlich wie bei dem Schaffungsprozess von abstrakter Kunst. Während die künstliche Intelligenz Ideen liefert, geben die ArchitektInnen und DesignerInnen ihr die Richtung vor. Das ist ein sehr komplexer Prozess. Ich würde sagen, dass am Ende die Rolle der Person, die die KI steuert, genauso wichtig ist wie die der KI selbst. Wir befinden uns gerade in einem sehr frühen, experimentellen Stadium der KI. Viele Menschen zeigen aktuell ihre KI-generierten Inhalte in den sozialen Medien, probieren die Möglichkeiten aus. Es geht aber nicht nur darum, das Werkzeug zu benutzen, sondern auch darum, zu verstehen, welche Konzepte man erforschen will, die Richtung, die Kunstfertigkeit. Das Ziel ist die KI dazu zu bringen, das zu tun, was man anstrebt und als wertig betrachtet. Ich denke, es ist ein grundlegend menschlicher Prozess, und er unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Werkzeugen, wie beispielsweise der Fotografie. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis die Gesellschaft akzeptiert hat, dass es sich dabei um ein grundlegend menschliches Unterfangen handelt. Letztlich hat es sich als Medium der Kunst etabliert und die kreativen Disziplinen werden nun von der KI als neues Werkzeug ebenso stark profitieren.
Jeder architektonische Stil hat eine inhärente Botschaft, je nachdem in welchem Jahrzehnt und in welchem Teil der Erde er erbaut wurde. Welche Botschaft hat das Ergebnis, wenn wir all diese Ideen mit der KI zusammenmischen?
Tim Fu: Es gibt verschiedene Designethiken, die ich verfolge, denn jedes Projekt ist unterschiedlich. Es geht vor allem um die Freude am Ausprobieren verschiedener Ideen und da dienen die wertvollen Konzepte aus verschiedenen Epochen der Architektur als Basis um die Vorteile von beispielsweise klassischer und zeitgenössischer Architektur miteinander zu verbinden. Parallel erforsche ich auch rein futuristische Architektur, und versuche die Traditionen zu vergessen, um einen Neuanfang zu schaffen. Die Erforschung und Kombination der unterschiedlichen Stile kann dazu dienen, ihre Vorteile zu kombinieren und zu maximieren. Jedes Projekt hat seine eigenen, einzigartigen Werte, die ich darzustellen versuche.
Inwieweit sind komplexe Architekturen, die beispielsweise mit Midjourney entwickelt werden, in der Realität umsetzbar?
Tim Fu: Midjourney ist ein Werkzeug. Dieses Tool ist in der Lage, sowohl luftige, nicht baubare Strukturen zu kreieren, als auch traditionelle Gebäude. Ob der Entwurf gebaut werden kann, hängt komplett davon ab wie die KI gesteuert wird. Zurzeit arbeiten wir in meinem Büro an Projekten, bei denen wir versuchen, diese Programme für die Erstellung von Gesamtkonzepten zu nutzen und sie in die Bauphase zu bringen. Ich versuche, so schnell wie möglich zu sein, aber es dauert viel länger, Architektur zu bauen, als sie zu entwerfen. Ich denke die Realisierung der Entwürfe aus der KI wird beweisen, dass sie in der Architektur eine ernstzunehmende Angelegenheit ist.
Ist die Frage des Urheberrechts der Entwürfe der KI ein Thema, das du in deiner Arbeit diskutiert?
Tim Fu: Viele Urheberrechtsfragen betreffen KI-Kunst, denn hier ist das Resultat das Endprodukt. In der Architektur unterstützt die KI bei dem Gestaltungsprozess, so wie zuvor Projekte anderer ArchitektInnen uns als Inspiration gedient haben. Ein architektonisches Projekt beginnt meist mit einem Moodboard bestehender Ideen, man schöpft die Ideen aus dem was um einen herum existiert. Architektur muss mit den Wurzeln und der Struktur der Gesellschaft, um die herum sie sich manifestieren soll, unglaublich eng verwoben sein. Das ist der Grund, warum KI sehr nützlich ist, denn jetzt kann man all diese Aspekte beschreiben, die man beibehalten möchte und in einer neuen Form neu erfinden. Die Fähigkeit der KI ist es, die Konzepte miteinander zu verbinden und daraus etwas Neues zu schaffen. Um Urheberrechtsfragen machen wir uns in unserer Arbeit keine Sorgen, denn diese sind im Prozess der Gestaltung nicht relevant. Es kommt ganz darauf an, wie man mit dem Werkzeug umgeht – ob man versucht einen bestehenden Stil zu kopieren oder seinen eigenen entwickelt.
Kann die KI dazu beitragen, Prozesse in der Architektur nachhaltig zu optimieren?
Tim Fu: Die KI kann zu nachhaltigen Prozessen beitragen, wie durch den Einsatz automatisierter Produktionssysteme und Produktionslinien. Die Materialverwendung könnte so optimiert werden, wie die Arbeitsabläufe für die MitarbeiterInnen. Ebenso könnten KI-Roboter auch beim Bau eines Gebäudes helfen, was zu einer enormen Zeitersparnis beitragen würde. Man könnte es KI-Systemen erlauben, verschiedene Prozesse, die traditionell von Menschen durchgeführt wurden, vollständig zu übernehmen, um effizientere Ergebnisse zu erzielen. KI wird in der Lage sein, große Datenmengen zu quantifizieren und viel besser zu berechnen als der Mensch. Sie kann Ideen direkt in 3D-Ansichten umwandeln, ermöglicht es die 3D-Daten automatisch mit den berechneten Budgets, Materialkosten und Zeitplänen zu versehen. Big Data und KI, das ist die Zukunft. Jedes Mal, wenn ich auf dem KI-Gipfel bin, habe ich das Glück, eine Menge Leute aus anderen Branchen zu treffen. Der Gesamt-Tenor ist, dass die künstliche Intelligenz die gesamte Menschheit revolutionieren wird.
Gibt es aktuell etwas, das dir bei der KI fehlt?
Tim Fu: Es gibt eine Menge Dinge, die noch fehlen, denn die KI ist erst in ihrem Entstehen. Wir arbeiten daran, dass sie zeitaufwändige Prozesse wie Berechnungen, die aktuell noch von Menschen durchgeführt werden, so weit wie möglich ersetzt. In der Entwicklung der KI für die Architektur werden derzeit alle Anstrengungen in diese Entwicklung gesteckt. In der idealen Zukunft wird uns die KI das Konzept liefern und sie wird uns ein fertiges Produkt liefern, anstatt dass der Mensch zwischen den Prozessen eingreift.
Du hast vor der Gründung deines eigenen Architekturbüros für Zaha Hadid Architects gearbeitet. Wie würdest du deine Formsprache beschreiben?
Tim Fu: Als extrem Hightech-orientiert, weil ich glaube, dass die Technologie neue Möglichkeiten des Ausdrucks und der Funktionalität bringen kann, um bessere Räume und mehr Lebensqualität zu schaffen. Wir sind technozentrisch. Zaha Hadid war eine meiner Leitfiguren, meine Hauptinspiration in Bezug auf die Designästhetik der Zukunft. Natürlich wird ein großer Teil meiner Arbeit diesen Einfluss beibehalten, aber ich versuche auch, neue Möglichkeiten zu erkunden. Das Ziel ist es, das zu verfolgen, was wir für das Beste und architektonisch Machbarste halten, aber auch für schön, wirklich einfach schön. Die Menschen wollen schließlich sehen, wie die Zukunft unserer gebauten Umwelt aussehen wird. All die Verzierungen der klassischen Architektur sind nach der Moderne verloren gegangen, und wir arbeiten daran die Komplexität von Form und Geometrie wiederherzustellen, um den langweiligen Modernismus, den Minimalismus loszuwerden. Wir versuchen, eine neue Ära intensiver, komplexer Architektur einzuläuten. Schönheit ist komplex, und in der Schönheit liegt Komplexität. Wir wollen das mit Hilfe von KI und Technologien, die wir jetzt einsetzen können, aufgreifen und versuchen voranzutreiben.
Du bist auch in der Lehre tätig, was ist dir wichtig der nächsten Generation oder auch deinen KollegInnen zu vermitteln, die mit der KI arbeiten wollen?
Tim Fu: Erstens die technischen Fähigkeiten, um zu verstehen, wie man ein Werkzeug besser steuern kann, so dass der Mensch die Kontrolle hat und nicht die KI. Zweitens die Qualitäten des Designs, also um ein Design-Tutorial und die Vermittlung von Design im Allgemeinen. Worauf man bei Mustern, Schönheit und Ästhetik achten sollte und wie man die KI einsetzt, um diese zu erkennen. Letztlich ist das Ziel, all diese neuen Technologien, die auf den Markt kommen, zu nutzen, vor allem in unserer Zeit der KI. Diese Werkzeuge sind viel leistungsfähiger als die, die wir in der Vergangenheit gesehen haben, und das auf exponentiellem Niveau. Es geht darum zu sehen, welche Möglichkeiten sich dank der neuen Werkzeuge bieten.