NACHHALTIGKEIT
Sichtwechsel
Studio ThusThat, das sind die Designer Kevin Rouff, Paco Böckelmann und Guillermo Whittembury, Absolventen des Royal College of Art (RCA). In ihren experimentellen Arbeiten erforschen sie im Verbund mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der KU Leuven und weiteren akademischen Institutionen das Potenzial industrieller Schlacke. Die Ergebnisse der Projekte "Red Mud" und "This is Copper" sind Tafelgeschirr, Vasen, Leuchten und Möbel, deren Farbgebung, Form und Ästhetik außergewöhnlich ist. Ihre Idee erläutern sie uns im Interview.
Anna Moldenhauer: Was fasziniert euch an Industrieabfällen?
Studio ThusThat: Das erste Projekt begann noch in unserer Zeit am Royal College of Art (RCA) – Rotschlamm, ein Reststoff aus der Aluminiumoxidproduktion, weckte unser Interesse, da es in großen Mengen anfällt, aber überwiegend nicht verwendet wird. Die Rotschlammdeponien nehmen so viel Fläche ein, dass sie sogar aus dem Weltall zu erkennen sind. Dieses Ausmaß der Produktionsrückstände zu sehen hat uns zum einen schockiert, zum anderen haben wir schnell die Ästhetik erkannt, die das Material zu bieten hat. Die Wissenschaft untersucht Rotschlamm seit Jahrzehnten und hat bereits viele Vorschläge unterbreitet, diesen als Rohstoff weiterzuverwenden. Bisher wurden aber nur wenige Prozent der Ideen von der Industrie aufgegriffen.
Woran liegt das eurer Meinung nach?
Studio ThusThat: Das wissen wir nicht im Einzelnen, aber allgemein gesehen läuft es darauf hinaus, dass sich die Wiederverwertung für die Industrie noch nicht rechnet. Die Akzeptanz des Abfallprodukts verändert sich allerdings gerade, was auch ein Zeichen unserer Zeit ist. Die öffentliche Wahrnehmung ist fokussierter auf eine nachhaltige Produktion, was die Forschung in diesem Bereich fördert. Zudem sind die Lagerkosten für den Rotschlamms gestiegen. Eine Veränderung ist also in Sicht, aber sie geschieht aktuell nur sehr langsam.
Für eure Projekte arbeitet ihr mit internationalen WissenschaftlerInnen zusammen, gab es dabei eine Erkenntnis, die euch besonders überrascht hat?
Studio ThusThat: Die Wissenschaft untersucht das Material nach seiner Leistung, wie robust, wie säurebeständig ist es, welche Temperaturen kann es aushalten? Sie folgen technischen Parametern, nehmen Materialproben um diese zu testen, verfassen Studien. Die Ästhetik, die Farbe des Produkts hat für die Forschung keinen besonderen Wert. Das Zusammentreffen dieser unterschiedlichen Ansätze aus Design und Wissenschaft war daher sehr spannend und hatte viele überraschende Aspekte für beide Seiten. Wir haben gemeinsam mit ihnen Rezepte erstellt, die eine Weiterverarbeitung zu Designprodukten ermöglichen.
Industrielle Reststoffe wie Rotschlamm aka Bauxitrückstände sind zu einem gewissen Anteil toxisch, gehört zu eurer Forschung somit auch die Veränderung der Zusammensetzung?
Studio ThusThat: Ja, die Zusammensetzung ist ein großes Thema, toxische Bestandteile wie Schwermetalle müssen extrahiert oder sicher im Material eingeschlossen werden, um ein Auslaugen zu verhindern. Diese Art der Abfallprodukte sind nicht standardisiert, zumindest die meisten von ihnen, das erschwert die Weiterverarbeitung. Wir versuchen diese Standardisierung zu fördern, und obwohl der Fortschritt langsam ist, gibt es bereits einige Erfolge. Zum Beispiel hat die Metallo Group in Belgien, ein Recyclingunternehmen für Nichteisenmetalle, in ein Verfahren zur Reinigung ihrer Schlacke investiert. Und es lohnt sich auch wirtschaftlich gesehen: Um ihre Schlacke sicher nutzbar zu machen, mussten sie die Schwermetalle extrahieren. Eines dieser Elemente ist Zink. Durch ihre Investition in die Weiterverwertung der Schlacke ist das Unternehmen nun in der Lage, das Zink zu extrahieren und es mit Gewinn zu verkaufen. Dieser Aufwand wurde allerdings nicht von uns initiiert, in unserem Projekt haben wir nur die gereinigte Schlacke aus ihrer Anlage verwendet.
Wie hat die Zusammenarbeit mit den Unternehmen begonnen, dessen Abfallstoffe ihr für eure Arbeit benötigt?
Studio ThusThat: Nach unserem Abschluss am RCA wurden wir von der KU Leuven eingeladen, ihre Forschung aus einer Designperspektive zu erforschen. Durch dieses Projekt konnten wir eine Menge Wissen sowie Kontakte im Feld des Bergbaus und der Metallverarbeitung aufbauen. Es war interessant zu sehen, dass die Industrie sehr offen für neue Ansätze ist und versteht, dass als erster Schritt die öffentliche Wahrnehmung dieser Nebenprodukte verändert werden muss. Design ist ein wirksames Mittel dazu. Jede Metallindustrie bringt auch Schlacke hervor und nach den Untersuchungen zu Rotschlamm und der Kupferschlacke arbeiten wir jetzt an einem Projekt mit Reststoffen aus der Stahlindustrie.
Inwiefern bestimmt das Material eurer Produktdesign?
Studio ThusThat: Die Besonderheit des Materials hat auf jeden Fall großen Einfluss auf das Design der Produkte. Zum einen im Hinblick auf die Formbarkeit, die Ästhetik, aber auch mit dem Ansatz die Wahrnehmung dessen zu verändern. So haben wir als Kontrast zu der brachialen Ästhetik der Industriefabriken und den Unmengen an Rotschlamm ein Set aus feinem Tafelgeschirr aus eben diesen entworfen. Das Design ist eher eine Provokation als eine Lösung. Wir wollten die Materialien in die Hände der Menschen bringen und damit Fragestellungen anregen. Fragen, die hoffentlich zu einer Veränderung in der Wahrnehmung sowie in der industriellen Praxis führen. Dazu kommt der Wunsch über das Recycling der Abfallprodukte der Metallindustrie eine nachhaltige Alternative zu bestehenden Baumaterialien wie Beton zu schaffen. Diese alternativen Zemente, Geopolymere genannt, haben im Vergleich zu gewöhnlichem Zement einzigartige und faszinierende Eigenschaften. Geopolymere aus Kupferschlacke können zum Beispiel extrem hohen Temperaturen sowie Temperaturschocks standhalten. Dies ist für bestimmte Anwendungen wie den Tunnelbau interessant. Diese Eigenschaften haben unsere Entwürfe als Designer und Hersteller beeinflusst. Einer der Stühle, die wir geschaffen haben, besteht zum Beispiel aus einzelnen Platten, die dann mit geschmolzenem Kupfer zusammengefügt werden.
Sprich, es ist euch wichtig ein neues Bewusstsein für den Wert der Reststoffe aus der Metallindustrie zu schaffen, die wir "Abfall" nennen?
Studio ThusThat: Das trifft es, ja.
Gibt es einen Reststoff, den ihr gerne noch untersuchen möchtet?
Studio ThusThat: Neben der recht gängigen Hochofenschlacke gibt es in der Stahlindustrie noch viele weitere Nebenprodukte, die wenig erforscht sind. Für uns bietet sich da ein weites Feld an möglichen Ansatzpunkten für die nächste Zeit. Doch die metallurgische Industrie ist nicht der einzige Sektor, der faszinierende Nebenprodukte produziert. Wir haben vor kurzem ein neues Projekt gestartet, das die Beziehung der Menschheit zum Feuer durch das untersucht, was zurückbleibt: Asche. Es gibt unzählige verschiedene Arten von Asche. Die meisten von ihnen können in etwas Nützliches verwandelt werden, aber noch wichtiger ist, dass sie alle eine Geschichte erzählen.