Kooperation statt Kompetition
Lorenz Brugger: Ihr kommt aus sehr unterschiedlichen Regionen in Deutschland und Chile. Wie habt ihr zueinander gefunden und wie kam es zustande, dass ihr miteinander arbeitet und das Büro gründen konntet?
Gonzalo Lizama: Es war ein sehr glücklicher Zufall. Wir haben uns im ersten Master-Semester in Berlin kennengelernt und waren sozusagen die "leftovers". Im Semester gab es nur Zweiergruppen. Ich kam als Letzter dazu und wir haben eine Ausnahmegenehmigung bekommen, zu Dritt zu arbeiten. Wir haben unseren ersten Entwurf bei Professor Dr. Matthias Ballestrem machen können und das hat sehr gut funktioniert. Unsere Arbeit wurde daraufhin sogar im französischen Architekturmagazin "L'Architecture d'Aujourd'hui" publiziert. Das Besondere war jedoch, dass wir uns sehr gut verstanden haben und es kein Konkurrenzdenken gibt. Wir haben immer den Dialog gesucht und uns viel ausgetauscht. Wir haben uns zusammengesetzt, viel debattiert, viel über Architektur gesprochen, manchmal tagelang, ohne einen konkreten Entwurf zu formulieren. Gelegentlich sehen wir das bei anderen ArchitektInnen, die oft verschwenderisch mit ihren Ressourcen umgehen und dann frustriert sind, dass das Ergebnis nicht stimmt. Prinzipiell denke ich kann man des Öfteren auf seine Intuition hören und wissen, wann es reicht.
Daraufhin haben wir uns versprochen, dass wir diesen glücklichen Zufall ernst nehmen sollten und die Idee eines eigenen Büros verfolgen sollten. Es ist dann tatsächlich so geschehen: wir haben alle nach dem Abschluss zwei Jahre in verschiedenen Büros gearbeitet. Lukas Specks hat sich als erstes bei der Architektenkammer als Architekt eintragen lassen und wir haben dann zunächst unter seiner Flagge mitgearbeitet. Als wir dann selbst in der Architektenkammer eingetragen waren, durften wir als Gesellschaft firmieren. Studio Loes war geboren. Im weiteren Verlauf bin ich nach Südamerika, für ein Dual Degree Programm. Die anderen beiden sind dann an die Hochschule gegangen, zuerst als Tutoren und dann als wissenschaftliche Mitarbeiter. Wir haben aber immer mit unserem Büro weitergemacht und Wettbewerben für Studierende teilgenommen, wie der "Concrete Design Competition". Darüber sind wir nach Dublin zu einem Beton-Workshop eingeladen worden. Das hat dazu geführt, dass wir gemeinsam weiter an Exkursionen teilnehmen konnten und dadurch unsere Freundschaft vertieft haben. Jetzt arbeiten wir schon bald zwölf Jahre zusammen. Wir wissen genau die Vorzüge und die Herausforderungen der Anderen zu verstehen und wie wir aufeinander reagieren müssen. Und das ist, glaube ich, etwas sehr Wertvolles. Bei uns läuft es sehr demokratisch ab. Wir sprechen sehr lange, wie man konzeptionell und strategisch mit Sachverhalten umgeht und dabei merkt man schnell, wenn einer überstimmt wird. Ich habe das Gefühl, dass man so besser vorankommt, als wenn man zwei gegensätzliche Meinungen hat und dann aber über kein Zünglein an der Waage verfügt.
Bearbeitet ihr Projekte immer miteinander oder hat jeder seinen Bereich und am Ende werden alle Teile zusammengesetzt? Wer macht was im Büro?
Gonzalo Lizama: Natürlich bearbeiten wir mehrere Projekte parallel und dann sagen wir ganz spielerisch, es gibt einen Hut für jedes Projekt, sozusagen Projektleitungshüte. Ich betreue mehrheitlich Innenausbauprojekte und diese dann von Anfang bis Ende. Daneben arbeite ich auch sehr viel in den Leistungsphasen eins bis vier, also Baugenehmigungen für den Hochbau, Geschoss- und Wohnungsbau oder Dachgeschossausbauten. Onur betreut überwiegend die hinteren Leistungsphasen, also fünf bis acht und neun. Er ist sehr stark technisch interessiert. Wegen der Arbeit an der Universität und seiner Ausbildung an der Fachhochschule ist er im Hochbau sehr fit und kann sich auf der Baustelle sehr gut durchsetzen. Und dann ist da natürlich noch Lukas, der Alleskönner. Er kann sich in alle Leistungsphasen miteinbringen und überall einspringen. So teilen wir uns auf. Wir betreuen jeweils drei bis vier Projekte gleichzeitig, zeitweise also bis zu zwölf Bauvorhaben. Nur so können wir wachsen und unser Oeuvre erweitern. Im Vergleich zu den vielen Ein-Mann-Büros, die natürlich nicht so viele Projekte bearbeiten können, schaffen wir durch das so genannte Sechs-Schultern-Prinzip deutlich mehr. Wenn Konflikte entstehen oder einer von uns nicht weiterkommt, dann kann man sich auch gegenseitig unterstützen. Architektur bedeutet schließlich, Probleme zu bewältigen und Herausforderungen zu meistern. Da ist es immer gut, sich absprechen zu können, sei es baurechtlicher, planungspolitischer, aber auch technischer oder planungsrechtlicher Natur.
Wir haben natürlich auch Liebhaberprojekte, in die wir uns dann alle gleich viel einbringen möchten. Und dann arbeiten wir auch tiefergehender und länger daran. Deswegen haben wir auch frühzeitig angefangen ein Controlling-Programm einzuführen, um einen Überblick zu haben, wo unsere Zeit hingeht. Unsere Erfahrung aus anderen Büros zeigt, dass aus Liebhaberei an einem Projekt oft so lange gearbeitet wird, bis das Honorar dreimal verbraucht ist und das können wir uns nicht leisten. Wir haben MitarbeiterInnen, die wir auch halten wollen und deswegen gibt es ein klares Zeitmanagement. Das hat auch dazu geführt, dass wir aufgrund der Pandemie niemanden entlassen mussten. Das ist uns sehr wichtig: dieses Kollektivgefühl und ein kollegiales Miteinander zu leben. Wir wissen aber auch, dass wir für die MitarbeiterInnen eine Station sind und dass wir gewählt wurden, weil wir wahrscheinlich etwas progressiver und moderner die zeitgenössischen, architektonischen Themen angehen.
Wie geht ihr an Projekte heran und wie gelingt es euch von der Aufgabenstellung zu einer Lösung zu kommen? Schaut man sich eure Projekte an, sind Materialien ein zentrales Thema. Spielt das Material von Beginn an eine Rolle für den Entwurf?
Gonzalo Lizama: Die Programmatik ist für uns das Allerwichtigste. Das unterscheidet die Architektur am Ende von der Kunst. Es gibt keinen luftleeren Raum, sondern immer Parameter, bestimmte Materialien, baurechtliche Rahmenbedingungen, zeitliche und wirtschaftliche Rahmen und vieles mehr. Wichtig für uns ist der baukonstruktive Rahmen. Uns hat sich schon sehr früh die Frage gestellt, wie gerade bei Dachgeschossaufbauten, Nachverdichtungen im Berliner Stadtumfeld, die Logistik betrachtet werden muss. Wie stellen wir den Kran oder was kann wie vorgefertigt werden? Wie können kleine Bauteile oder Module durch das Treppenhaus oder durch die Einfahrt transportiert werden? Solche Themen gab es im Studium noch nicht. Die kommen erst durch die Berufserfahrung. Wir wurden ja klassisch im Massivbau ausgebildet. Das ist bemerkenswert, dass wir noch 2012 diese Schule erfahren haben, und danach hat es aber niemanden mehr interessiert. Ökologisches Bauen und vor allem den Holzbau haben wir uns selbst angeeignet. Und es ist auch noch nicht Usus, dass sich Architekturbüros mit Holzbau auskennen oder mit den daraus resultierenden Problematiken zu Akustik, Spannweiten oder aber auch den Möglichkeiten in der Fertigung: Wie werden Bauteile gefügt und was sind die Maximalabmessungen? Wie groß können die Module werden vom Fassadenmodul über das Wandmodul bis hin zu ganzen Badezimmermodulen? Wir haben auf jeden Fall ein sehr großes Interesse daran, den Holzbau voranzutreiben und finden das auch sehr sinnvoll mit der modularen Holzbauweise zu arbeiten. Im städtischen Kontext ist das eine zeitgemäße Antwort auf das Platzproblem und auf die komplizierte Montage im Innenhof.
Das Wohnhaus "Element" ist euer erstes, großes realisiertes Haus. Was zeichnet das Gebäude aus? Wie seid ihr auf die Idee des Modulbaus gekommen?
Gonzalo Lizama: Wie haben uns schon frühzeitig mit dem Modulbau und der Typologie des Laubenganges beschäftigt. Das hat auch was mit Holzbau zu tun: Einen Aufzugsschacht in Beton zu fertigen und dann den Holzbau drumherum zu stellen, hätte die Bauzeit wahrscheinlich verdreifacht. Das ganze Holzgebäude stand aber schon in vier Wochen und danach kamen die Stahlbetonfertigteile und dann die Module. Wir dachten uns, wenn man schon Laubengangerschließung hat, dann wäre es doch von Vorteil, wenn die BewohnerInnen und auch die BestandsbewohnerInnen im Vorder- und Hinterhaus einen neuen Raum als öffentliches Wohnzimmer hätten. Wir wollen die NutzerInnen auffordern, sich den Außenraum anzueignen, also den Freiraum vor der Wohnung und das geht natürlich umso besser, wenn man verschwenderische große Fernsehzimmer vermeidet. Und das Konzept sieht auch vor, dass die kleineren Wohnungen zusammengelegt werden und die Räume dort so gestaltet werden können, wie man das selbst für richtig hält. Die Wohnungen sind grundsätzlich für gewisse Nutzergruppen ausgelegt: StudentInnen oder für Leute, die im Kiez arbeiten.
Ihr habt mit kleineren Möbeleinheiten und Innenarchitektur in Holz angefangen. Inwieweit haben euch solche Projekte geholfen, das Projekt "Element" zu realisieren?
Gonzalo Lizama: Um ehrlich zu sein, war der Innenausbau am Anfang ein Mittel zum Zweck. Es ging oft darum, Kontakte zu knüpfen mit Schreinereien, ProduzentInnen und HerstellerInnen. Aber am Ende ist, glaube ich, die Architektur so viel wert wie die Kontakte und die Ausführungsunternehmen, die sie an der Hand hat. Wir werden immer konsultiert, ob wir jemanden kennen: SchreinerInnen, RobauerInnen, FensterbauerInnen, die entsprechend liefern können. Wir haben uns aber frühzeitig stets darum bemüht, dass die von uns entworfenen Räume einen menschlichen Maßstab besitzen. Deswegen ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wie die Proportionen von Küchen, Theken oder Möbeln sind. Wir haben bei "Element" und "Lingot" auch immer mit den Möbeln und Staffagen im Hinterkopf geplant. Die Räume sind recht kompakt und wir müssen das beim Gestalten berücksichtigen, sodass es am Ende auch funktioniert. Deswegen ist es wichtig, den Innenhausbau mitzubetrachten. Wenn ich zurückgehen könnte in der Zeit, hätte ich wahrscheinlich eine Schreinerausbildung gemacht. Ich glaube, das ist sehr sinnvoll, um die Zusammenhänge im Holzbau zu verstehen.
Tatsächlich haben wir parallel zu den räumlichen Entwürfen für die meisten Projekte auch eigene Tische, Leuchten und Sitzmöbel entwickelt und produziert. Das läuft so gut, dass wir diese nun über ein Schwesterunternehmen vertreiben, was Loes.Beta.GmbH heißt: Werkstücke, die wir in Bauvorhaben realisiert haben, wurden weiterentwickelt und sind nun für den Einzelhandel verkaufsreif geworden. Wir haben gesehen, wahrscheinlich auch durch die Pandemie, dass viele Leute vermehrt mit ihren eigenen vier Wänden auseinandersetzen als zuvor. Wir merken einen Trend, in dem sich überspitzt gesagt alle als Interior-Designer verstehen, Menschen möchten ihre Innenräume gerne mitgestalten. Früher war das Auto ein Statussymbol, jetzt ist es eine Profi-Küche von bulthaup. Ich glaube auch, dass mehr "Awareness" für das Wohnen entstanden ist, was hoffentlich eine neue Wertschätzung dahingehend mit sich bringt. Letzten Endes ist der Wohnraum die Verlängerung der Persönlichkeit. Auf der neuen Website von Loes.Beta.GmbH wird es dann zunächst einmal Sitzmöbel geben. Wir haben Bänke und Hocker und Tische. Dabei haben wir uns eine Fügung überlegt: wir nennen es "Interlock" und produzieren die Möbel so, dass sie als "Flatpack" versandt werden können. Damit gibt es wenig Verpackungsmaterial und es ist leichter zu versenden. Zudem ist es uns wichtig, dass wir die Produkte auch demokratischer anbieten können und sind deswegen ausschließlich im Internet zu finden. Wir versuchen dabei, die Möbel für "Design-Afficionados" anbieten zu können, die sich das aber auch als StudentInnen noch leisten können. Wir machen viele Kleinserien, um einerseits den Leuten das Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu kaufen. Andererseits ist es natürlich auch wichtig, dass die Sachen günstig produzierbar sind. Wir entwickeln Möbel ganz gezielt so, dass sie in der Produktion wirtschaftlich sind und einen Design-Anspruch mit einer smarten Fügung haben und dann für wenige Hundert Euros verkauft werden können.
Welche Aufgaben reizen euch noch für die Zukunft?
Gonzalo Lizama: Wir werden wieder mehr an Wettbewerben teilnehmen. Und gerne würden wir natürlich auch mal eine andere Programmatik als den klassischen Innenausbau & Wohnungsbau behandeln, sei es eine Werkstatt oder mal mit einem Universitätsgebäude. Beispielsweise ein Forum, wo Wissen vermittelt wird. Unsere Masterarbeit heißt auch Forum. Da ging es darum, Wissensaustausch als integralen Bestandteil des Gebäudes zu betrachten, wie Menschen mit vielfältigem kulturellem Background und Wissenshintergründen aufeinandertreffen und wie man diese zu verschiedenen Tageszeiten zusammenführt. Dies wurde dann auch mit einem Bürgeramt, Bibliothek, Café und Marktplatz verbunden.
Das Studierendenhaus in Braunschweig von Gustav Düsing und Max Hacke, das kürzlich mit dem Mies van der Rohe Award 2024 ausgezeichnet wurde, geht in diese Richtung Wissensforum. Was haltet ihr von dem Gebäude?
Gonzalo Lizama: Der EU Mies Award wurde für einen modularen Stahlbau vergeben. Da fand ich es sehr interessant, dass das Projekt dafür gesorgt hat, Horizonte in der Fachwelt zu erweitern und den Diskurs über verschiedene Materialien und ihre Verwendung in der Architektur voranzutreiben. Es geht nicht immer nur um Holz oder immer nur um Stahl, sondern um eine gute, möglichst nachhaltige Mischung. Wir freuen uns sehr für Gustav Düsing und Max Hacke, die ja auch beide in Berlin tätig sind. Ich finde es gut, dass die Leute ihre Köpfe zusammenstecken und Kooperationen eingehen. Wir sollten Architektur viel mehr als Gemeinschaft sehen und betrachten und Wissen austauschen. Das Studium der Architektur ist schon sehr kompetitiv und das Wettbewerbswesen erzieht uns dazu, dass es immer nur einen Gewinner geben kann und alle anderen sind dann Zweite und Dritte und weniger wert. Aber ich finde, man sollte sich viel mehr kollaborativ sehen und sich mehr unter die Arme greifen. Die Entwicklung geht jedenfalls in diese Richtung: mehr Kollaboration, weniger Kompetition.