SALONE DEL MOBILE 2019
Schatz im Schrott
Anna Moldenhauer: Was war der Gedanke hinter "Ore Streams"?
Studio Formafantasma: Das Projekt wurde für die von der National Gallery of Victoria in Melbourne initiierte neue NGV Triennial sowie für die von Paola Antonelli kuratierte Ausstellung "Broken Nature" anlässlich der XXII. Triennale di Milano entwickelt. Unsere menschliche Gier nach Metallen ist so stark gewachsen, dass Schätzungen zufolge bis 2080 die größten Metallreserven nicht mehr unter der Erde liegen werden. Stattdessen werden sie als Barren in privaten Gebäuden gelagert oder anderweitig in Produkten wie Baumaterialien, Geräten, Möbeln und einem ständig wachsenden Markt für Unterhaltungselektronikprodukte in Umlauf gebracht. Die Bemühungen, diese Hardware zu recyceln, bleiben unerforscht und umstritten. Viele dieser Produkte werden aufgrund der Komplexität des Recyclings illegal in Entwicklungsländer verschifft, in denen es oft keine entsprechenden Technologien und Vorschriften gibt. Das ist ein Problem, sowohl für die Umwelt als auch für Gesundheit der Arbeiter. Derzeit werden nur circa 30 Prozent der Elektronik korrekt recycelt – obwohl die Europäische Union klare Gesetze über die Verantwortung für das Recycling von Elektroschrott erlassen hat. Die Hersteller sollten demnach eigentlich selbst für die Sammlung defekter Elektronik verantwortlich sein. Wenn wir über Elektronikschrott sprechen, meinen wir auch all die Objekte, die einfach nur ein elektrisches Kabel oder eine Batterie haben. Im Rahmen von "Ore Streams" schlagen wir Strategien vor, die bei der Entwicklung von Produkten angewendet werden können, um sowohl die Reparatur als auch das Recycling zu erleichtern. Zusätzlich entwerfen wir auch eine Reihe von Objekten.
Können Sie ein Beispiel der Strategie für ein besseres Recycling nennen?
Studio Formafantasma: Die Ausstellung zeigt unter anderem eine Animation, in der wir mit Hilfe von 3D-Rendering mögliche Wege für die Reparatur und das Recycling von Elektronik visualisieren. Dabei werden die aktuellen Recycling-Technologien sowie die Grenzen von Anlagen in Industrie- und Entwicklungsländern berücksichtigt. Ein allgemeiner Trend in der Elektronik ist beispielsweise die Miniaturisierung von Produkten. Dies hat den bereits weit verbreiteten Einsatz von Klebstoff zur Befestigung von Bauteilen verstärkt. Die Konstruktion von Objekten mit platzsparenden Verbindungen garantiert eine präzise Trennung der Materialien. Auch der Einsatz von visuellen Erkennungstechnologien bei der Sortierung von Abfällen hat großes Potenzial, ist aber noch unerforscht. Elektrische Kabel sind sehr häufig mit schwarzem Gummi überzogen. Aufgrund der dunklen Farbe und Opazität der Oberfläche werden sie jedoch von visuellen Detektoren nicht erkannt. Eine einfache Designwahl, wie die Verwendung von farbigem Gummi oder sogar einer gemusterten Oberfläche, könnte das Recycling des in Elektrokabeln verwendeten Kupfers drastisch verbessern. Elektroschrottobjekte sind auch oft nicht mit Informationen über ihre Materialität gekennzeichnet. Die ständige Entwicklung neuer Polymere macht es schwierig, die Bestandteile zu identifizieren und präzise zu trennen. In Entwicklungsländern werden rudimentäre und oft toxische Methoden eingesetzt, um zu bestimmen, um welches Material es sich handelt, z.B. wird die Verbrennung verwendet, um die Zusammensetzung anhand der Schmelzweise und Farbe der Flammen zu verstehen. Als Lösungsansatz stellen wir uns ein Szenario vor, in dem Objekte an Recycler mit einem eingebetteten digitalen Materialpass in Form eines QR-Codes und einer universellen Farbkodierung geliefert werden.
Welche Rolle kann Design bei der Kommunikation nachhaltiger Recyclingprozesse spielen?
Studio Formafantasma: Design kann genutzt werden um komplexe Probleme effizient zu kommunizieren. Es kann helfen, Lösungen vorzuschlagen und im Nachgang kritischere und verantwortungsvollere Designer auszubilden.
Warum war es Ihnen wichtig, dass teils die frühere Funktion des Elektroschrotts in den Büroobjekten zu erkennen ist?
Studio Formafantasma: Recycelte Materialien wie Aluminium und Stahl sind in ihrer neuen Form nicht mehr als solche zu erkennen. Für uns ist die Einbeziehung von Komponenten der Elektronik in die Objekte eine Möglichkeit, ein narratives Element hinzuzufügen.
Inwiefern ist es für Sie interessant, eine Verbindung zum kosmischen Ursprung der Materialien im Elektronikschrott herzustellen?
Studio Formafantasma: Alle Informationen, die wir verarbeiten, wie die Bücher, die wir lesen, kommen in den Objekten auf unterschiedliche Weise zusammen. Die "late veneer" Hypothese besagt im Grunde, dass einige der Metalle auf dem Planeten Erde durch Meteoritenschauer importiert wurden. Uns war diese kosmologische Referenz wichtig, weil sie die Art und Weise relativiert, wie wir unseren eigenen Planeten als eine stabile Einheit betrachten, die wir für die Produktion nutzen können.
Was möchten Sie mit "Ore Streams" langfristig erreichen?
Studio Formafantasma: Wir hoffen, dass einige der von uns in der Animation vorgeschlagenen Strategien umgesetzt und von anderen Designern oder Gesetzgebern aufgegriffen werden, um eine effizientere Reparatur und Wiederverwertung von Elektronik zu gewährleisten.
XXII. Triennale di Milano, Broken Nature: Design Takes on Human Survival
La Triennale di Milano
Viale Alemagna, 6
20121 Mailand
Noch bis 1. September 2019
Öffnungszeiten: Di. bis So.: 10:30 – 20:30 Uhr