Emotion gestalten
Anna Moldenhauer: Lonneke, du und Ralph Nauta seid die Gründer von Studio Drift. Eure aktuelle Einzelausstellung im MK&G in Hamburg ist bislang eure umfangreichste Schau in Deutschland. Drei Werke werden gezeigt, "Shylight", "In 20 Steps" und "Fragile Future II". Was möchtet ihr mit euren Arbeiten vermitteln?
Lonneke Gordijn: Was wir mit unseren Arbeiten generell erreichen möchten ist, dass die BesucherInnen spüren, dass es eine Beziehung zwischen dem Raum, dem Werk und ihnen selbst gibt. Ich denke eine der wichtigsten Botschaften ist die wechselseitige Beziehung zwischen unserer Umwelt und dem, wie wir uns fühlen und wie wir leben. Ich glaube, diese wird oft missverstanden oder unterschätzt. Das könnten Gründe sein, warum wir so wenig auf unserer Umwelt reagieren. "Fragile Future II" haben wir ausgewählt, da das Exponat mit der komplexen Struktur aus Löwenzahnsamen, Phosphorbronze, LED-Lampen und Plexiglas ein guter Einstieg in unser Gesamtwerk ist. Man muss recht nah herantreten, um die Details sehen zu können und das ist es was wir wollen – eine Nähe zu den BetrachterInnen. Es soll keine Absperrungen geben, die Rezeption muss echt und unverstellt sein. Für "In 20 Steps" und "Shylight" arbeiten wir mit der Bewegung, die Exponate sind abstrakter. Während "In 20 Steps" die Aufmerksamkeit der BetrachterInnen über die wiederholte Bewegung der Glasflügel-Paare regelrecht in den Raum hineinzieht, ist "Shylight" mehr choreografisch, es bietet mit dem wechselnden Öffnen und Schließen der Leuchten aus Seide Momente der Ruhe und Helligkeit an. Die drei Werke zusammen sind ein Angebot die Verbindung zur Natur zu fühlen. Unser Wunsch wäre es, dass sie diese Erfahrung auch in alltägliche Kontexte übersetzen.
Warum spielen kinetische Elemente eine Rolle in euren Arbeiten?
Lonneke Gordijn: Man trifft als KünstlerIn intuitive Entscheidungen und später versteht man, warum das Werk diese Elemente braucht – so war es für uns auch beim Thema Kinetik. Zu Beginn haben wir viel mit Licht gearbeitet und sind dann zur Bewegung übergegangen. Was beide verbindet: sie deuten auf Leben hin und stimulieren das Leben, verhelfen zur Transformation und Entwicklung. Als Menschen können wir diesen Ablauf nicht vollständig imitieren. Bewegungen sind zudem extrem starke Kommunikatoren. Ideal finde ich es, wenn die BesucherInnen das Werk erstmal auf sich wirken lassen und erspüren welche Emotion es bei ihnen weckt, bevor sie den Wandplot lesen.
Ich denke das erreicht ihr in vielen Fällen. Wenn das Werk sich bewegt, bleibt man als BesucherIn unwillkürlich stehen – es ist wie ein Reflex.
Lonneke Gordijn: Ja, als Menschen können wir uns sehr gut mit dieser Ausdrucksform verknüpfen, sie geht direkt in den Körper und ins Herz. Bewegung lässt uns fühlen und das ist es, was wir mit unserer Arbeit erreichen möchten: Dass man in einen Rhythmus kommt, der eigentlich sehr natürlich ist – und raus aus der diktierten Hektik dieses verrückten Lebens, in dem wir uns befinden. Dieser Kommunikator und Aktivator von Emotionen ist superwichtig in unserer Arbeit und nun auch Teil jeder Konstruktion. Immer wenn wir an neuen Ideen oder an der Weiterentwicklung von Bestehendem arbeiten, ist ausschlaggebend, ob uns das Werk emotional anspricht. Aus den Bewegungen in der Natur können wir lernen – da gibt es sehr viel ungenutztes Potenzial.
Mit euren Arbeiten stellt ihr grundsätzliche Fragen über die Zusammenhänge von Natur, Mensch und Technik und zeigt die Fragilität und Faszination unserer konstruierten Welt auf. Warum habt ihr euch dafür entschieden diese Themen in eurem Werk auf sehr ästhetische Weise abzubilden?
Lonneke Gordijn: Ich mag es, von einem Ort des Staunens und der Faszination heraus zu arbeiten. In der Natur gibt es so viel Schönheit und diese inspiriert uns. Wir legen nicht vorab fest, wie die Werke aussehen sollen, aber die Bewegung war immer ein Ausgangspunkt. Von dort aus haben wir versucht einen Weg zu finden, der die Abläufe unverdeckt zeigt, sich logisch anfühlt und keinen Konflikt zwischen Natur und Technik darstellt. Die Technologie, die in den Werken steckt, soll nicht ablenken, sie soll klar und logisch sein. Ein System, ein Zusammenspiel, das funktioniert. Wir wollen keine negative Botschaft vermitteln, sondern Faszination und Begeisterung auslösen. Ich denke, das sind produktivere Energien als Angst oder Wut.
Ihr schenkt den BetrachterInnen mit euren Arbeiten einen Moment des Einklangs, eine Art geschützten Raum. Die Emotionen, die ihr in diesem erzeugt, sind so stark, dass Personen teilweise zu Tränen gerührt sind. Wann ist für euch ein Werk vollendet?
Lonneke Gordijn: Wir wissen intuitiv, wann dieser Moment erreicht ist. Es ist ein starkes Gefühl, wenn alles stimmig ist. Das lässt sich schlecht beschreiben, aber solange sich dieses nicht bei uns einstellt, sind wir nicht fertig. Die Technik, die wir für unsere Arbeit verwenden, ist sehr komplex und hat viele Aspekte, die wir ausbalancieren müssen – vom Geräusch der Motoren bis zum richtigen Material. Es hilft, dass wir als Duo arbeiten. Für mich gibt es keine bessere Rückversicherung, als wenn wir beide mit dem Resultat zufrieden sind. Wir wollen bei unseren Werken keine Kompromisse eingehen.
Das sieht man den Werken an. Sie sind so perfekt, dass man keine Details hinzufügen oder wegnehmen möchte. Diese Perfektion bedingt einen sehr zeitaufwändigen Herstellungsprozess – wie bei den "Dandlelights", wofür Löwenzahnsamen einzeln in stundenlanger Arbeit um ein LED-Licht geklebt werden. Warum ist diese Genauigkeit für euch wichtig?
Lonneke Gordijn: Ich ärgere mich schnell über Dinge, die der Essenz im Wege stehen. Es ist also eine Form des Perfektionismus, aber was perfekt ist und was nicht ist Auslegungssache. Ich denke das rührt auch daher, dass wir die Aufmerksamkeit der BetrachterInnen nicht auf Details lenken wollen, die nicht wichtig sind. Die Werke sollen pur sein. Gleichzeitig ist beispielsweise die Kinetik nie hundertprozentig mechanisch, sie gleicht eher natürlichen Abläufen. Das ist ausschlaggebend für uns, aber auch schwieriger zu erzeugen. Wir spielen mit der Balance zwischen Kontrolle und Nicht-Kontrolle und wählen dementsprechend die Materialien aus. Es sind Resultate, die im Prozess entstehen. Wir wissen zu Beginn nicht, wohin uns der Weg führen wird.
Die vom Menschen konstruierte Welt ist ein zentrales Thema in eurem Werk. Auf der Pressekonferenz zur Vernissage hast du erwähnt, dass wir die einzige Spezies auf der Erde sind, die versucht mit eigenen Regeln ihre Umgebung zu kontrollieren, anstatt den Regeln der Natur zu folgen. Was würdest du an unserem aktuellen Konstrukt ändern wollen, wenn du könntest?
Lonneke Gordijn: Alles. Vor allem die Art und Weise, wie wir Entscheidungen treffen. Es ist für mich schmerzhaft zu sehen, wie wir die Erde behandeln, auf der wir leben. Das natürliche System lässt alle Strukturen in faszinierender Weise zusammenarbeiten, es schafft aus sich heraus ein Gleichgewicht. Der Mensch stört diese Balance mit eigenen Systemen grundlegend und wir folgen diesen, ohne sie zu hinterfragen. Dass wir als einzige Wesen eine bestimmte Autonomie erreicht haben, ist faszinierend, aber auf dem Weg dahin haben wir essenzielle Erkenntnisse aus der Natur verloren. Über die Wissenschaft können wir die Funktionen der Natur verstehen und sollten diese nicht dazu nutzen, um sie zu manipulieren. Die Sicherheit, die wir uns somit verschaffen, ist trügerisch, denn die Natur lässt sich nicht kontrollieren. Ich denke der Mensch sollte viel klüger sein angesichts all des Wissens und der Technologie, die wir bislang entwickelt haben. Mit unseren Werken versuchen wir die BetrachterInnen zum Nachdenken zu bringen, auch wenn unsere Reichweite bei Ausstellungen in Kunstinstitutionen begrenzt ist.
Anlässlich des fünfjährigen Jubiläums der Fertigstellung der Elbphilharmonie wird es Ende April eine Inszenierung entlang des Baus von Herzog & de Meuron geben. Mit hunderten beleuchteten Drohnen realisiert ihr eine Choreografie zum zweiten Satz des Klavierkonzertes von Thomas Adès. Wie habt ihr diese entwickelt?
Lonneke Gordijn: Vor anderthalb Jahren haben wir mit dem Projekt begonnen und vorab den Bau und die Umgebung auf uns wirken lassen, um zu erspüren welche Art der Performance oder Installation an diesem Ort stimmig ist. Die Sinneswahrnehmungen sind dabei erstmal wichtiger als alles was technisch möglich wäre. Von dieser Basis gehen wir dann mit Ideen voran. Das Gebäude von Herzog & de Meuron ist einfach großartig und wir haben wir uns gefragt, was wir vermitteln wollen, um die Beziehung zwischen uns und dem Gebäude zu finden. Was wir wirklich interessant fanden waren die Bezüge zwischen dem Gebäude, das im Grunde schon in seiner Form Bewegung ausdrückt und dem Ort, der von natürlichen Wellenbewegungen umgeben ist. Zudem ist der Bau für die Vorführung von Musik erdacht und Schallwellen sind auch Bewegungen, die zu uns gelangen. In unserer Arbeit wollen wir all diese Schwingungen miteinander verbinden – das Gebäude quasi selbst in Bewegung bringen. Eine feste Installation hätte dazu nicht gepasst und wäre angesichts des starken Windes direkt am Hafen auch kaum umsetzbar gewesen. Die Drohnen hingegen reagieren auf das Gebäude, sie ergänzen es. Aktuell sind wir noch in der Entwicklung und testen für das Publikum unterschiedliche Szenarien aus. Es ist oft ein langer Prozess, bis sich ein Werk richtig anfühlt. Aber er lohnt sich.