PORTRAIT
Eins mit dem Moment
Wer frei sein möchte im Denken, der braucht eine Offenheit die Dinge anzunehmen, wie sie sind, ohne Erwartungen, ohne Regeln. 2011 gründete Brynjar Sigurðarson sein Studio, Veronika Sedlmair kam 2014 dazu. Als Studio Brynjar & Veronika stellen sie sich seitdem zusammen der Herausforderung, das temporäre Erleben in Objekte zu übersetzen. Folgen nicht der etablierten Verarbeitung eines Materials, sondern wahren die Freude am interdisziplinären Experiment, an der kindlichen Neugier. "Selbst wenn unsere Ideen manchmal so abwegig sind, dass die Handwerker, mit denen wir arbeiten, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen", lacht Sedlmair. Eine starke Prägung, die immer wieder Einfluss in ihre Arbeiten findet, ist die Heimat von Brynjar Sigurðarson: Island. Die raue und gleichzeitig facettenreiche Landschaft, in der bis heute die Natur die Oberhand behalten hat und die außergewöhnliche Kultur der Bewohner fasziniert das Duo. "Es gibt auf Island kaum Bäume, stattdessen ist die Geologie, sind Sand, Lava und Gesteinssorten sehr präsent", so Sigurðarson. Um der ursprünglichen Umgebung so nah wie möglich zu sein, zog er für vier Wochen von Reykjavik nach Vopnafjörður, ein kleines Dorf im Nordosten des Landes. In dieser Zeit erlernte er die traditionellen Techniken des Knüpfens von einem Fischer und Haijäger. Gemeinsam mit anderen Trouvaillen seiner Reise wie Pelzstücken und Federn übertrug er die Eindrücke in "The Silent Village Collection", eine abstrakte Möbelkollektion für die Galerie Kreo in Paris. "Wir lassen uns von dem Prozess leiten, anstatt von einer vorgefertigten Idee", so Sigurðarson.
Der Mensch, seine Kultur und die Interaktion mit der Natur sind starke Impulse. Mit "Prik" erkundeten sie für den Spark Design Space in Reykjavik die Verbindung des Menschen zu Stöcken – als Waffe, Gehhilfe und Werkzeug. Neben der Anthropologie und Geologie beschäftigen sich beide parallel mit der Raumwahrnehmung und Performancekunst: "Wir versuchen ein Kanal, eine Form der Vermittlung und Übersetzung zu sein für die Dinge, die uns umgeben. Innere und äußere Strömungen zu vereinfachen und sie in unsere eigenen Worte zu fassen", so Veronika Sedlmair. Und die können auch mal klingen: Für "The Circle Flute" entwickelten sie in Zusammenarbeit mit Lafayette Anticipations und dem Pariser Instrumentenbauer Jean-Yves Roosen ein neues, rundes Instrument mit einem Durchmesser von 2,50 Metern, das von vier Flötisten gleichzeitig gespielt wird, während eine Person in der Mitte steht. Dank der veränderten Konstellation und Mechanik der Flöten sind neue, atmosphärische Tondimensionen möglich, die den Zuhörer oder Sänger sanft umschließen. "Die Kreation der Flöte war unsere Reaktion auf die Atmosphäre in Paris, einer Stadt, in der die darstellende Kunst und Musik sehr stark präsent ist", so Sigurðarson. Seitdem wird das Instrument unter anderem regelmäßig auf Flötenkonventionen vorgestellt und reiste mit der isländischen Sängerin Björk auf Tournee, die auf ihren Konzerten im Zentrum der Flöte sang.
Verborgene Schönheiten
Den besonderen Moment einfangen, eins zu werden mit ihm – Ansätze, die gleichermaßen in ihrer Zusammenarbeit mit Swarovski nach der Auszeichnung mit dem Swarovski Designers of the Future Award im Jahr 2016 ausschlaggebend waren. Für die Ausstellung fertigten sie zahlreiche, gut zwei Meter lange Kristallstäbe sowie eine Fensterjalousie an, deren Lamellen aus Kristall bestehen. Fällt das Sonnenlicht auf die Jalousie, werden die Farben des Lichtspektrums auf wunderbare Weise sichtbar. 2017 stellten sie im Anschluss als Teil der Atelier Swarovski Home Collection auf dem Salone del Mobile in Mailand "Currents" vor, ein Trio von polygonalen Briefbeschwerern aus facettiertem Kristall, die ein Zusammenspiel von Funktion, Skulptur, Energie und Licht schaffen.
So flexibel wie ihre Objekte sind Veronika Sedlmair und Brynjar Sigurðarson selbst, immer in Bewegung, bereit für den nächsten Schritt, die nächste Herausforderung. Zur Zeit haben sie ihr Leben und ihr Studio nach Immenstadt verlegt, ins Allgäu, der Heimat von Veronika Sedlmair. Der richtige Ort, um dem globalen Zwangsstopp mit Geduld entgegen zu treten, denn der Weg in die Natur ist nicht weit. "Während unseres Aufenthalts in Großstädten wie Berlin oder Paris haben wir viel digital gearbeitet, nun bauen wir wieder größere Objekte", so Sigurðarson. In der gemeinsamen Arbeit ergänzen sie sich optimal: Sedlmair ist gelernte Innenarchitektin, Sigurðarson studierte Produktdesign. Das Wissen aus den klassischen Ausbildungen kombinieren sie mit einem künstlerischen Geist: "Veronika hat ein Gespür für Energien, der Wechselwirkung zwischen Mensch, Kultur und Raum. Ich schaffe die Dinge am liebsten mit meinen Händen", erklärt er. Aktuell feilen sie an einem abstrakten Vokabular, das sie im 3D-Druck realisieren möchten. In CIRVA, einem Glasforschungszentrum in Marseille, erforschen sie zudem wann immer es geht die Technik des Pâte de verre weiter, deren Basis eine Paste aus Glaspulver und Farbstoffen ist. Der Auftakt zu dem langjährigen Projekt war die mehrfarbige Vasenserie "Spectrum" im Jahr 2012. Darüber hinaus ist eine Installation mit Steinen der Atlantikküste geplant, die im Rahmen der diesjährigen Kunstbiennale "Momentum" im norwegischen Moss gezeigt werden soll. "Es geht darum, die vielen Stimmen, die dich in deiner Arbeit begleiten zusammenzuführen und das pure Dasein in einem Objekt zu manifestieren", sagt Sigurðarson.