Nicht nur Mailand hat seine Off-Spaces und Showrooms, auch in Stockholm zeigen Hersteller und Jungdesigner ihre Produkte und Entwürfe gern außerhalb der Messehallen. Wobei man auch in Schweden schnell bemerkt: Ob Galerie, Tiefgarage, Fabrikgebäude oder Dachkammer, Räume mit Geschichte und Charakter verbreiten eine ganz andere Atmosphäre als ein Messestand, sei er auch noch so gut gestaltet. Selbst die Stockholm Design Week hat für ihre zentrale Ausstellung, die den rätselhaft schönen Titel „Glass Elephant“ trägt, einen besonderen Ort ausgewählt – eine Art Stollen unter dem „Museum of Far Eastern Antiquities“ auf der Insel Skeppsholmen.
In diesen höhlenartigen Katakomben hantieren nun, wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen, orangerote Industrieroboter von ABB mit jeder Menge Fragilitäten, heben, drehen und wenden, was, fiele es danieder, in tausend Scherben zerspränge. Was es selbstverständlich nicht tut. Das maschinelle Treiben hat durchaus Charme, auch wenn man sich am Ende fragt, wer in diesem Ballett der Hauptdarsteller ist. Weniger Roboter wären vermutlich mehr gewesen und hätten den funkelnden Glasobjekten in der blauen Höhle hier und da zu einem eigenständigeren Auftritt verholfen.
Emma in der Tiefgarage
Während „Swedese“ seine Neuheiten in einem klassischen Showroom herzeigt, wagt sich Lammhults ins Erdgeschoss eines alten Hauses direkt gegenüber der Anlegestelle von Kreuzfahrtschiffen. Doch gleichviel welche Kulisse auch immer man sich ausgedacht hat, überall ist jene entspannte Freundlichkeit zu spüren, mit der allein Skandinavier aufzutreten wissen. Lauscht man etwa Gunilla Allard, wenn sie ihre Stuhlserie „Comet“ vorstellt, so glaubt man zu verstehen, weshalb Möbel aus dem Norden so entspannt, so simpel, so solide und so durchdacht daherkommen und weshalb sie sich länger und besser im Alltag der Menschen behaupten als die Aufgeregtheiten aus anderen Weltgegenden, die sich unablässig selbst zu beweisen scheinen, wie neu, wie anders, wie aufregend sie sind. All das braucht man hier nicht.
Schneller und anders, wenn auch nicht weniger ruhig, geht der Atem sodann im Studio von Fredrik Färg und Emma Marga Blanche in der Kvarngatan 4. Das Studio der beiden Designer, die seit 2010 zusammenarbeiten und unter anderem die Ausstellung „20 designers at Biologiska“ ersonnen haben, befindet sich nämlich in einer Tiefgarage, auch wenn man eine solche unter dem eher einfachen Wohnhaus kaum vermuten würde. Im Untergrund, den man nach wie vor über eine Einfahrtsrampe erreicht, ist es erstaunlich warm und, welch Wunder, recht geräumig. Hier, man sieht es sofort, wird für gewöhnlich gearbeitet. Überall Schneidetische, Nähmaschinen, Werkzeuge und Materialien.
Zwischen Tisch, Nähmaschine und Werkbank haben Färg und Blanche nun erstmals ihre eigenen Produkte ausgebreitet, darunter den „F-A-B-Chair“, der wie ein Körper, nackt sein – oder verschiedene „Kleider“ tragen kann. Soll er angekleidet werden, kann man seiner Lehne, je nach Anlass, mal dezent schmale, mal ausladend extravagante Rückenteile aus Stoff oder Leder überstreifen. Zudem zeigen die beiden den Sessel „Emma“, der vor allem durch seine abgesteppte und flexible Rückenlehne geprägt ist. „Emma“ kann zwar auch am Messestand von Gärsnäs bewundert werden, trotzdem, er bleibt im wahrsten Sinn des Wortes ein Produkt des Stockholmer Undergrounds.
Early Birds in der Dachkammer
Im Studio von Per Söderberg haben sich die Verhältnisse plötzlich umgekehrt. Es liegt nicht im Untergeschoss, sondern ganz oben, im Dachgeschoss eines Hauses der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Bedeutete in den herrschaftlichen Residenzen und selbst in den Mietskasernen der Nachkriegszeit der beschwerliche Gang nach ganz Oben noch ein sozialer Abstieg, so hat sich dies inzwischen umgekehrt. Aus den Orten grauer Existenz sind modische Kulissen einer schönen neuen Wohnwelt geworden. „No Early Birds“ nennt Söderberg seine zwischen Kerzen und Motorroller ausgestellte Kollektion, die er selbst produziert und bei der fast alles, ob Tisch, Hocker, Sekretär oder Regal, auf einem Dreibein aus eisernen Kastenprofilen ruht.
La lumière au chocolat
In der Galerie Kleerup in Jakobs Torg stellen gleich mehrere Designerinnen und Designer ihre Experimente und Entwürfe – etwa für Belid – vor. Die Versuchung, aus den gewohnten Bahnen auszubrechen und etwas Skurriles vorzustellen, ist selbst in Skandinavien gegenwärtig. Lautet das Motto der Gegenwart doch: Ist es Kunst oder ist es Design? – ganz gleich: Hauptsache, es gefällt!
Also stellt Alexander Lervik nicht nur drei holzverkleidete LED-Streifen in Gestalt einer Pendelleuchte vor, sondern auch „La Lumière au chocolat“, ein kleines Objekt, das gefährlich an die von Christian Morgensterns Lyrik ersonnene „Tagnachtlampe“ erinnert, auch wenn Lerviks Exemplar natürlich viel mehr Süße besitzt. Zumindest teilt dieses witzige „Schokoladenlicht“ mit der von Morgenstern beschriebenen Erfindung Korfs, dass auch sie „sobald sie angedreht, / selbst den hellsten Tag / in Nacht verwandelt.“ Hier allerdings wird’s, beginnt der Kegelstumpf aus Schokolade erst zu schmelzen, bald wieder hell. Ist dann alles zerschmolzen, bilden sich einige Schokoblöcke. Es geht also nichts verloren. Mehr als ein prozessualer Gag kommt dabei trotzdem nicht heraus. Wer professionelles Kochen dem Naschen vorzieht, dem kann bei Electrolux geholfen werden. Das Apfelkompott aus dem Induktionswok mundete köstlich.