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Kurvenstar im Grünen: Das Designstudio Front hat aus Produktionsabfällen des "Lamino"-Stuhls von Swedese dieses attraktive Objekt zusammengesetzt.

Stockholm Furniture & Light Fair 2018
Auf der Sonnenseite

Skandinavisches Design boomt weltweit. Und die Stockholm Furniture & Light Fair ist das große Schaulaufen der prosperierenden Branche. Dieses Jahr hat die Messe einiges getan, um noch attraktiver zu werden. Unser Rückblick.
von Fabian Peters | 20.02.2018

Die Stockholm Furniture & Light Fair ist ein Phänomen. Mit gerade mal drei Hallen und einer Ausstellungsfläche von 70.000 Quadratmeter Fläche liegt sie weit hinter Konkurrenzveranstaltungen wie dem Salone del Mobile und der imm cologne. 80 Prozent der Aussteller kamen zudem in diesem Jahr aus dem skandinavischen Raum. All das sind Fakten, die eigentlich eine ziemlich provinzielle Veranstaltung ohne größere Strahlkraft vermuten lassen. Allein – es war ganz und gar nicht so.
Zum einen trugen dazu natürlich die Messeveranstalter und skandinavischen Hersteller bei. So hat sich längst herumgesprochen, dass es wohl keinen besseren Ort gibt, um sich über die Entwicklungen im gleichermaßen dynamischen wie einflussreichen nordischen Design zu informieren. Die Attraktivität der schwedischen Hauptstadt mit ihrer renommierten Designszene und die Verknüpfung der Messe mit der gleichzeitig stattfindenden Stockholm Design Fair, deren Standorte in der ganzen Stadt verstreut liegen, tun ihr Übriges.
Zum anderen fanden sich unter den 20 Prozent nicht-skandinavischen Ausstellern ein Gutteil Schwergewichte aus der italienischen Möbelindustrie. Insbesondere die bedeutenden Leuchtenhersteller waren zahlreich vertreten - darunter mehrere, die etwa die Kölner Messe ausgelassen hatten. Natürlich gehört es auch zur Wahrheit, dass viele Aussteller im Januar ihren Messestand samt Neuheiten auf der imm cologne einpacken und in Stockholm mehr oder minder 1:1 wieder aufstellen. Wer also bereits die Veranstaltung in Köln besucht hatte, brauchte nicht zwingend auch nach Stockholm zu reisen.

Eine Arena als Visitenkarte Skandinaviens

Dieses Jahr wartete die Stockholm Furniture & Light Fair gleich mit einer ganzen Reihe von Neuerungen aus, von denen insbesondere die neue "Ratatouille-Arena" das Zeug hat, Schule zu machen. Weil nämlich das "Greenhouse", der Nachwuchsbereich der Messe, in die Halle C umgezogen ist, konnte der große Konferenzsaal Viktoriahallen einer neuen Verwendung zugeführt werden. Das neue Konzept bringt zwei aktuelle skandinavische Exportschlager zusammen: Design und Kulinarik. Entwickelt haben es zwei der führenden kreativen Köpfe in Schwedens Hauptstadt: der Designer und Wahl-Stockholmer Luca Nichetto und Lina Ahlin, die im Restaurant "Agrikultur" eine hochambitionierte Regionalküche pflegt. Die Arena fungierte als Restaurant, Vortragssaal und Eventfläche in einem. Dafür hatte Nichetto eine Vielzahl unterschiedlicher Sitzgruppen zusammengestellt, die er teils mit Sideboards voneinander abschirmte. Mit Tisch- und Stehleuchten schuf er in dem großen Konferenzsaal zusätzliche Intimität. Nichetto war dann im Übrigen auch einer der Teilnehmer der "Design & Architecture Talks" in der "Ratatouille-Arena", die dieses Jahr von vier auf fünf Tage verlängert wurden. Als weitere hochkarätige Gäste gaben sich etwa OMA-Partner Reinier de Graaf und India Mahdavi die Ehre. 

Farbe satt: Paola Navones Wohninstallation "Tham ma da" begrüßte die Besucher im Messefoyer.

Paola Navona, übernehmen Sie!

Noch ein großer Name: Paola Navone war der diesjährige Ehrengast der Stockholm Furniture & Light Fair. In Gestalt ihrer großen Rauminstallation in der Eingangshalle erlebte der Messebesucher einen überraschend farbenfrohen Auftakt seines Aufenthaltes – waren Farben doch ansonsten nicht eben das dominierende Element auf der Messe. Das Werben für einen stärkeren Gebrauch von Farbe war dann auch ein erklärtes Ziel der Designerin. Die Farbe bildete die verbindende Klammer der auf den ersten Blick gleichermaßen verspielten wie summarischen Ansammlung von Gegenständen. Der Titel der Installation war Programm: "Tham ma da" bedeutet im Thailändischen "alltäglich" oder "gewöhnlich". Navone wollte hier den Eindruck eines Interieurs erzielen, bei dem Gefundenes und Übernommenes ganz selbstverständlich seinen Platz neben Erworbenem und Selbstgewähltem findet – eine Form der Nachhaltigkeit, die sich gegen jeden Perfektionismus wendet.  

Erlauchter Kreis: Das Zentrum des "Greenhouse" bildete einen Ausstellung ehemaliger Teilnehmer. Im Vordergrund Arbeiten von Nendo.

Rückschau im Treibhaus

Das "Greenhouse" war auch an seinem neuen Standort die Bühne für die kommende Generation von Designern, für Hochschulen und junge Designstudios. Zum Umzug leistete man sich aber auch den Blick zurück. Denn das Zentrum des neuen Areals in Halle C bildete eine Ausstellung, die an die zahlreichen Erfolgsgeschichten erinnert, die das Nachwuchsformat der Stockholmer Messe in den letzten Jahren mitgeschrieben hat: Nendo, Front, GamFratesi –  für sie alle war das Greenhouse eine wichtige Station in ihrer Karriere. Das dokumentiert, welchen Stellenwert dieses Forum für den Designnachwuchs in Skandinavien und darüber hinaus hat. 

So schön wie einst: Den "Pot"-Chair entwarf Arne Jacobsen für das Gesamtkunstwerk des SAS-Hotels in Kopenhagen. Jetzt produziert ihn Fritz Hansen in Serie.

Goldene Zeiten für Skandinaviens Möbelindustrie

In den Hallen waren die Auswirkungen des Skandinavien-Booms der letzten Jahre klar erkennbar. Die Fülle der Neuheiten, mit denen Traditionshäuser wie Fredericia, Carl Hansen und Brdr. Krüger, vor allem aber die jungen Erfolgsbrands wie &Tradition, Muuto, Design House Stockholm oder Menu ihr Portfolio erweitern, war beeindruckend. Das gilt auch für hierzulande (noch) weniger bekannten Marken, wie Bent Hansen oder Massproductions. Das weltweite Schwergewicht Fritz Hansen zeigte sich da geradezu verhalten und beließ es in der Hauptsache bei einer Jubiläums-Sonderedition des Egg- und des Swan-Chairs von Arne Jacobsen sowie einer Re-Edition des "Pot"-Chairs, den Jacobsen wie die beiden anderen Sessel 1958 für sein epochales SAS Royal Hotel in Kopenhagen entwarf.
Der boomende Markt für skandinavisches Design lässt folgerichtig auch neue Marktteilnehmer ihre Chance wittern. Marken wie Møbel Copenhagen, Northern oder der Leuchtenhersteller Nuura feierten ihre Premiere in Stockholm und zeigten auf Ständen von teils beachtlicher Größe ihre Kollektionen. Die sind allesamt ebenso dem Neo-Skandinavismus verpflichtet wie die allermeisten Neuheiten der Konkurrenz. Hier zeigt sich leider auch ein wenig die Schattenseite des Booms: die Erfolgspfade werden immer weiter ausgetreten. Der Innovationsdruck fehlt momentan offenbar weitgehend. Solange sich die bewährten Formen wie geschnitten Brot verkaufen, bleibt Sicherheitsdenken das Gebot der Stunde. Es wird sich zeigen, wie lange diese Welle noch trägt.       
Die skandinavischen Büromöbelanbieter präsentierten in Stockholm viele Produkte, die den Trends hin zu immer flexibleren Bürolandschaften und zu wechselnden Arbeitspositionen sowie dem offenbar allerorten erwarteten Durchbruch des Wohnbüros gerecht zu werden versuchen. Gerade mit Blick auf flexible Lösungen für Besprechungsplätze finden sich teils originelle Lösungen, etwa rollbare Besprechungstische von Materia (eckig) und Form2 (rund), die gleich die gesamte notwendige Infrastruktur mitführen.   

Die Serie "Blossi" gehört zu den ersten Produkten des neuen dänischen Leuchtenherstellers Nuura.
Grünstreifen: Den Swedese-Stand auf Stockholm Furniture & Light Fair hat Monica Förster entworfen.

Grün, grün, grün...

Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit sind inzwischen Begriffe, die sich weltweit die Hersteller auf die Fahnen schreiben. Dennoch hatte man auf der Stockholm Furniture & Light Fair den Eindruck, dass "grüne" Produktionsweisen und ressourcenschonendes Wirtschaften hier vielen Unternehmen tatsächlich ein Herzensanliegen sind. Da ist etwa der Sitzmöbelhersteller Albin i Hyssna, dessen Möbel in zahlreichen schwedischen Kirchen und Gemeindehäusern stehen und der auf der Messe damit warb, 30 Jahre alte Stühle aus seiner Produktion in den eigenen Werkstätten zur Weiternutzung wiederaufzuarbeiten. Kinnarps, der skandinavische Marktführer für Büromobiliar, kündigte dagegen auf der Messe an, zukünftig jedem seiner Erzeugnisse eine Art Umweltausweis mitzugeben, auf dem der Kunde Angaben zum Resourcenverbrauch, Klimaschutz, zur Wiederverwertung und sozialen Verantwortung finden kann. Mit dieser Art Dokumentation hofft Kinnarps einen Wettbewerb im positiven Sinne anregen zu können. Wiederum einen anderen Ansatz hat Swedese gewählt. Dort hat man namhafte Designer – unter ihnen Swedeses Creative Director Monica Förster und das Designstudio Front –  gebeten, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die Holzabfälle, die bei der Produktion des Designklassikers "Lamino" entstehen, weiterverwenden könnte. Herausgekommen ist eine Reihe überraschender, mal mehr, mal minder alltagstauglicher Prototypen aus dem charakteristisch geschwungenen Verschnitt des Stuhles, von denen einige das Zeug haben könnten, tatsächlich in Serie gefertigt zu werden. Zu guter Letzt: Die vierköpfige Jury des Editor's Choice Award der Stockholm Furniture & Light Fair zeichnete mit dem Stuhl "Jin" von Jin Kuramoto für Offecct einen Entwurf aus, bei dessen Entwicklung auf nachhaltige Herstellbarkeit besonderes Augenmerk gelegt wurde.

Seit Jahren eine feste Größe auf der Stockholm Design Week: Svenskt Tenn zeigte im eigenen Showroom farbenfrohe Interieurs rund um Stoffentwürfe junger Designer.

Rohbauten und Residenzen

Abschließend noch ein kurzer Blick auf die Stockholm Design Week, die parallel zur Messe überall in der Stadt ihre Zelte aufschlug – mal sichtbarer, mal versteckter. So hatten trotz einiger Geheimniskrämerei zahlreiche Designer und Besucher der Design Week den Weg in die Pop-up Location des Leuchtenherstellers Wästberg gefunden. Der präsentierte seine Produkte in einer weitläufigen großbürgerlichen Wohnung, die sich allerdings in einem Zustand zwischen noch nicht erfolgter und begonnener Renovierung befand. Den Gästen gefiel's in dem Rohbauambiente, das die Wästberg-Leuchten in stimmungsvolles Licht tauchten. Weit gediegener ging es bei Foscarini zu. Der Designer Andrea Anastasio hatte an keinem geringeren Ort als der Residenz des italienischen Botschafters verschiedene Installationen rund um seine Leuchte "Filo" und weitere Foscarini-Produkte aufgebaut. Ganz ohne Einladung und Spürsinn war dagegen der zukünftige Showroom von Kvadrat zu finden. Hier stellten Erwan und Ronan Bouroullec nicht nur ihre neuen Vorhangstoffe "Rennes" und "Chainette" für das dänische Textillabel vor; sie hatten dort eigens auch eine Installation mit ihren neuen Entwürfen gestaltet. Kvadrat gehörte damit zu den Herstellern, die sowohl in der Stadt als auch auf der Messe vertreten waren. Dort nämlich standen die neuen akustische Vorhangsstoffe "Drops" von Patricia Urquiolas und "Melu" von Petra Haikonen im Mittelpunkt. Dieser Aufwand verdeutlich, welchen Stellenwert die Stockholm Furniture & Light Fair und die Stockholm Design Week im Kalender der skandinavischen Hersteller haben. Die Veranstaltungen sind das große Schaufenster eines zurzeit vor Kraft strotzenden Gewerbezweiges, für den der Regionalismus und das Festhalten an Traditionen und Standorten zum Erfolgsrezept wurde.

Gartenfreund: Die Bank "Gard" von Odin Brange Sollie für Nola offeriert ein bequemes Plätzchen im Freien für zwei.
Rückzugsposition: Der Büromöbelhersteller Kinnarps präsentierte mit "Fields" ein variables System zur Gestaltung von Arbeits- und Sitzplätzen.
Monumental: Zum 70. Firmenjubiläum präsentierte Bent Hansen das "Tension" Daybed.
"Motus" heißt dieser Rollhocker von Materia, eine von vielen Neuheiten auf der Messe zum Thema "Flexibles Arbeiten".
Rolling Stone: Jessika Källeskog hat mit dem Mörser "Tondo" für Design House Stockholm eine originelle Küchenskulptur geschaffen.
Ausziehtisch "Ana", entworfen von Arde, und Stuhl "Yksi" von Thau und Kallio sind neu bei Fredericia.
Mit "Menu Acustic" von Petra Haukonen und "Drops Acustic" von Patricia Urquiola präsentierte Kvadrat zwei Akustikvorhangstoffe zur Lärmreduzierung in Innenräumen.
"Arv" heißen ein neuer Stuhl und Tisch bei Brdr. Krüger. Entworfen haben sie Studio David Thulstrup für die Einrichtung des neuen "Noma" in Kopenhagen, das dieser Tage eröffnet.
Wurzeln schlagen: Dux hatte während der Stockholm Design Week im Schwedischen Museum für darstellende Künste Quartier bezogen und zeigte dort eine Installation von Lotta Agaton.
Feiern in Ruinen? Wästberg zeigte seine Leuchten in einer großzügigen Altbauwohnung, deren Renovierung jedoch noch in den Anfängen steckte.