An Grenzen gehen
Für die alte Frage, wie man Design und Architektur ausstellen kann, damit außer Experten und Insidern auch interessierte Besucher daraus Erkenntnisse ziehen können, gibt es gelegentlich neue Anläufe. Vorbei sind die Zeiten großer visionärer Bestandsaufnahmen, wie etwa der Schau „Design ist unsichtbar“ 1980 in Linz. Damals, am Vorabend neuer Avantgarde-Strömungen wie „Memphis“, unterzogen die Macher und Autoren gestalterische Tendenzen der Moderne, der 1950er Jahre und der zu dieser Zeit aktuellen Postmoderne einer kritischen Analyse und boten den Akteuren der Jetztzeit ein Forum zur Selbstdarstellung. Historie und Gegenwart verbanden sich mit der Perspektive auf etwas Neues. So bedeutsam sich die Inszenierung für die Entwicklung gestalterischer Grundhaltungen der nächsten 40 Jahre auch erweisen sollte, sie blieb Episode.
Wie soll man Design ausstellen?
Wenn die Welt der historischen Bewahr- und Erkläranstalten, kurz Museen genannt, auf die fluide dynamische Sphäre der Gestaltung trifft, können dabei reizvolle Inszenierungen entstehen, die Regel ist das eher nicht. Ob es Mut oder Verzagtheit war, wenn sich das Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK) in den letzten Jahren vielfach externen Kuratoren öffnete, sei dahingestellt. Die externe Sicht jedenfalls bot veränderte Blicke auf zeitgenössische Tendenzen. „Isn’t it romantic?“ fragte 2013 Tulga Beyerle mit Blick auf poetische wie provokative Positionen im gegenwärtigen Interiordesign; ihre Objektassemblagen wirkten inspirierend. Dem „System Design“, das antritt, „Chaos im Alltag“ zu bändigen und dies womöglich durch neue Dogmen letztlich nur vermehren hilft, huldigte 2015 René Spitz.
Der Designer übernimmt das Ruder
Und nun: „Full House: Design by Stefan Diez“. Konzept, Organisation, Szenografie und Aufbau übernahm das Diez Office. Man könnte dies als finale Bankrotterklärung jenes Typs von Museum begreifen, das historische Leistungen von Kreativität aus vergangenen Epochen archiviert und zur Gegenwart der Gestaltung nur schwer einen forschenden Zugang finden kann, die beide in adäquaten und selbst geschaffenen Präsentationsformen münden. So fehlt im musealen Betrieb in Deutschland weitgehend die kritisch forschende und publizierende Expertise. Übernehmen die Designer nun also auch dort das Ruder, wo es um die Präsentation ihres Werkes und ihrer Arbeitsweisen im musealen Kontext geht? Sie gestalten ihre monografischen Ausstellungen selbst und bringen – in Form ihrer Auftraggeber – auch gleich noch die Sponsoren mit.
Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis in Köln ist ein seltener Glücksfall. Weil er die Ausstellung kurzerhand zum eigenen Projekt erklärt und sein Team, seine Netzwerkstrukturen nebst Werkstatt aus dem Münchner Glockenbachviertel auf Zeit in die Kölner Museumsräume verlagert, gerät das Ergebnis überragend.
Der Titel der Schau „Full House“ meint beides, das spielerische Ausprobieren, was eigentlich alles möglich ist, und das Anfüllen der Kölner Museumsräume, die bereits 1957 bei ihrer Eröffnung von der Schweizer Architekturzeitschrift „Werk“ als „museumstechnisch so gut wie unbrauchbar allein schon wegen ihrer Höhe“ kritisiert wurden.
Alles hängt zusammen
Das damals als Wallraf-Richartz-Museum errichtete Gebäude hat – so galt es bislang als ausgemacht – keine vernünftigen Räume für Sonderausstellungen. Den weitläufig verteilten Orten fehlt der räumliche Zusammenhalt. Unmöglich schien es, hier den thematisch-szenaristischen Faden so zu spannen, dass er nirgendwo durchhängt. „Everything is connected“, sagt dagegen Stefan Diez. Das ist nicht nur buchstäblich zu verstehen. Denn aus einem seiner Lieblingsprojekte, dem Regal-, Möbel- und Raumsytem „New Order“, das er 2012 für Hay entwarf, wurde anlässlich der Kölner Schau ein verbindendes Präsentationssystem, das mal als offener Rahmen zum Durchschlüpfen neben den Exponaten einlädt, dann wieder zum 15 Meter hohen Regalturm empor wächst, einer endlosen Jakobsleiter gleich. In einer müden Retrospektive feststecken, sich selbst zu musealisieren, das kam für den Designer nicht in Frage. Diez und seinem Team gelingt es dann auch, anschauliche Bilder zu erzeugen. Er thematisiert Entwurfsarbeit mit einer ästhetischen Dimension, die in einer Designausstellung lange nicht zu sehen war. Mit Buschfeld, einem traditionsreichen Leuchtenhersteller aus Köln, entwickelte er vor Ort eine Möglichkeit, dessen Lichtsystem in das „New Order“-System einzupassen. Ein Beispiel für die „zeitweise Überlagerung von Interessen“, mit denen Diez seine Auftraggeber zu Entwicklungspartnern macht. (siehe hierzu unseren Artikel: Den Enthusiasmus vermitteln, dass in diesem Job noch etwas geht vom 05.01.2017)
Techniken werden entliehen, transferiert, umgenutzt
Stefan Diez, 1971 in Freising bei München geboren, wuchs in unmittelbarer Nähe zum elterlichen Schreinereibetrieb auf, ähnlich wie seine Kinder heute an der Entwurfs- und Erprobungspraxis des Diez Office in München zumindest beobachtend teilnehmen. Tischlerlehre, Industriedesign-Studium bei Richard Sapper in Stuttgart und Assistenz im Studio von Konstantin Grcic gehören zu den prägenden Stationen. Vor 15 Jahren gründete er sein eigenes Studio in München. Für seine Projekte sucht und findet er spezialisierte Hersteller, Zulieferer, Forscher und Materialexperten. Wer eben noch einen Kunststoffdeckel für eines der Projekte entwickelte, kann womöglich morgen schon auch einen Verschluss für eine Reisetasche herstellen. Techniken werden entliehen, transferiert, umgenutzt: Etwa für den spantenartigen Stuhl „Houdini“, der von e15 ohne Werkzeug gebaut wird. Die Ausstellung zeigt ihn ebenso wie den technisch noch anspruchsvolleren Stahlblech-Stuhl „Chassis“ für Wilkhahn als Schnittmuster wie als fertiges Produkt. Von einem frühen Projekt, dem Faltmöbel „Bent“ sagt Diez, man habe ihn entweder „nur mit einer sehr komplexen Maschine“ oder von Hand falten können.
Diez ist in industriellen Fertigungslogiken ebenso versiert wie im handwerklichen Schraubertum, das benötigt wird, sobald es gilt, Konstruktionen, Verbindungen oder 1:1-Modelle im Studio sofort umzusetzen. Elegante Formflutschereien sucht man bei Diez vergebens. Seine Arbeitsweise ist mühsam, aber fast immer ergiebig über das konkrete Projekt hinaus. Ein zentrales Motiv ist dabei die gemeinsame Grenzsuche, die das Team, die Auftraggeber und – weil der Arbeits- auch Lebensort ist – wohl auch die Familie mit einbezieht.
Gemeinsam Grenzen ausloten
In der Ausstellung möchte Diez nicht einfach Prozesse nacherzählen. Er fürchtet, dies würde sie entmystifizieren oder banalisieren. Er friert sie vielmehr ein, lässt sie zu eindrücklichen Bildern gerinnen. Etwa bei dem frühen Outdoormöbel „Couch“ für Flötotto (2005), das als leichte Außenhaut mit stabilem Innenleben in Asien produziert und in Deutschland wie ein Sitzsack befüllt wird. Gezeigt werden jene modellhaften Prototypen, die grundlegend für ein Projekt sind. Für die ästhetisch-macherische Dimension steht etwa der Belastungstest des Stuhlmodells „Kitt“ für Hay, dessen Lehne mit der Museumsarchitektur verspannt ist.
Die Suche nach Grenzen – für Studio, Auftraggeber, Familie führt sie zu einer permanenten kreativen Spannung, an der die Besucher der Ausstellung nun teilnehmen können. Um der Retrospektive zu entgehen und sie in eine perspektivische Schau zu verwandeln, brachte Diez einige Auftraggeber dazu, sich in die Entwicklungsküche schauen zu lassen und Produkte noch vor deren Marktlaunch öffentlich zu zeigen. Bürostühle für die Firma Wagner, ein Metall-Falttisch für e15 sowie eine LED-Leuchte für die spanische Firma Vibia geben faszinierende Ausblicke auf Kommendes.
Arbeit am Unsichtbaren
Dass Design unsichtbar sei, hatte Lucius Burckhardt vor Jahrzehnten behauptet und propagiert: Nicht die Form, sondern Kontexte der Nutzung stünden beim Entwurf im Vordergrund. Ausdrücklich wandte er sich gegen jene Produkte, die ihre Nutzer eher in Abhängigkeiten halten oder sie in neue verwickeln wollten. „Unsichtbare Projekte“ sind für Diez auch jene, deren Markteinführung aus unterschiedlichen Gründen scheiterte. Worüber normalerweise niemand gern spricht, das bildet eine eigene Sektion der Schau, auch dies eine Grenzverschiebung. Dazu gehören auch Projekte, die Diez über lange Jahre gemeinsam mit Stylepark für Merten und Vorwerk entwickelt hat. Umfangreiche Forschungsarbeiten an einem Schaltersystem, das für veränderte Technik eine neue Typologie begründen wollte, sind in der Ausstellung eher angedeutet. Ein Alternativentwurf eines Thermomix namens „Magic“, der das Kochen und Austauschen von Rezepten auf eine neue gestalterische Basis gestellt hätte, ist ausführlich dokumentiert. Ein gleichsam Beckett’scher Optimismus ist da zu erkennen: „Immer versucht./ Immer gescheitert./Einerlei./Wieder versuchen./Wieder scheitern./Besser scheitern.“
Die Utopie des Designs, Lebensumstände verbessern zu können, erscheint Stefan Diez heute realistischer als vor 30 Jahren. Dinge teurer anbieten zu können, weil sie unter dem Rubrum Design segeln, das funktioniere immer weniger. „Es ist“, sagt er, „nicht die Zeit für Formalismus“. Gestaltung auf Grenzsuche bietet andere, bessere Optionen. Es lohnt, sich das Diez’sche Selbstporträt genau anzusehen.
Ausstellung:
Full House: Design by Stefan Diez
MAKK – Museum für Angewandte Kunst Köln
An der Rechtschule
50667 Köln
bis 11. Juni 2017
Katalog:
Full House. Diez Office.
hrsg. v. Sandra Hofmeister und Petra Hesse
mit Texten von Sandra Hofmeister, Stefan Diez, Christian Gärtner, Konstantin Grcic, Sophie Lovell, Oli Stratford, Robert Thiemann, Thomas Wagner u.a.
336 S., ca. 850 Abb.,
Koenig Books London
ISBN 978-3-96098-071-1
39,80 Euro