Den Enthusiasmus vermitteln, dass in diesem Job noch etwas geht
In der sich über zwei Etagen ersteckenden Eingangshalle des MAKK, des Museums Angewandte Kunst Köln, stehen nur einige große Rahmenkonstruktionen. Element für Element wachsen sie – mal mehr, mal weniger – in die Höhe, bilden Kabinette, Podeste und Regalfächer, in und auf denen schon bald Modelle, Prototypen und fertige Produkte ausgestellt werden, die Stefan Diez und sein Team in den vergangenen rund 15 Jahren entworfen, gebaut und bis zur Serienreife entwickelt haben. Die in Schwarz gehaltenen Boxen und Regale geben dem offenen Raum Halt und eine abwechslungsreiche Struktur. Hier und da soll bis zur Eröffnung noch etwas Farbe ins Spiel kommen; und wenn alles fertig ist, wird eine eigens entwickelte Beleuchtung zusätzliche Akzente setzen.
Schon jetzt aber lässt sich erahnen: Hier werden nicht einfach nur Produkte abgestellt und um einige Modelle und Prototypen ergänzt. Hier versucht einer, für den das Nachdenken über das eigene Tun als Industriedesigner essentiell zum Gestaltungsprozess gehört, das Ausstellen des Design- und Entwicklungsprozesses überraschend, intensiv und konsequent weiterzudenken. Damit aber nicht genug: Selten hat sich eine Ausstellung im MAKK so passgenau auf den Kontext imm cologne bezogen, selten derart präzise an jenen Fragen und Schnittstellen angesetzt, die das Industriedesign in der heutigen Zeit umtreiben. Ich habe Stefan Diez beim Aufbau in Köln getroffen und mit ihm über sein Konzept, seine Perspektive auf Design-Ausstellungen und auf die jüngsten Entwicklungen im Industriedesign gesprochen.
Noch wird ausgepackt. Möbel, Leuchten, Modelle, Prototypen, alles das, was schon bald hier zu sehen sein wird, ist schon da. Doch allein das Gerüst, das Display – eine Struktur aus prägnanten schwarzen Rahmen, Podesten, Regalen – steht schon. Es gibt noch viel zu tun. Trotzdem ist Stefan Diez überraschend entspannt. Das mag daran liegen, dass er vorab nicht nur ein Konzept für seine Ausstellung im MAKK entwickelt, sondern gemeinsam mit seinem Team im Münchner Studio alles durchgespielt und ausprobiert hat, was hier gerade erst entsteht.
Ein neuer Job für „New Order“
Schaut man genauer hin, so entdeckt man, dass die gesamte Ausstellungsarchitektur aus Elementen des Möbelsystems „New Order“ besteht. So wie hier wurde „New Order“ aber noch nie eingesetzt. Nirgends, wo die Kombinationsmöglichkeiten bislang vorgeführt wurden, die in dem komplexen System stecken, ob bei der Orgatec oder beim Salone del Mobile, hat man so etwas gesehen. „Das sind“, erklärt mir Stefan Diez, „eigentlich nur große Tische, Elemente aus ‚New Order‘ von Hay, die nun einen neuen Job übernehmen, inklusive Kabelkanälen, also all dem, was man für eine Ausstellung ohnehin braucht. Da die Tischbeine aus extrudiertem Aluminium gefertigt werden, war es kein Problem, sie in der entsprechenden Länge abzuschneiden.“
Man merkt sofort: Hier wurde nichts dem Zufall überlassen, alles genau und penibel entwickelt, überlegt, weitergedacht. „Das sind“, stellt Diez klar, als wir eine der Boxen anschauen, an der noch Verkleidungen angebracht werden sollen, „natürlich Räume, aber das bedeutet nicht, dass wir hier Interiors ausstellen. Es sind Zellen, in denen Artefakte gezeigt werden. Man wird die Ausstellungsarchitektur als Metastruktur erkennen, aber nicht das Gefühl haben, in einem Schuhkarton zu sitzen. Der Besucher soll hier einfach genügend Ruhe haben, um sich auf das, was gezeigt wird, konzentrieren zu können.“
Das Problem einer Design-Ausstellung ist das Geld
Soweit also der Rahmen, das Setting. Und wie macht man darin nun eine Design-Ausstellung? Diez zögert keine Sekunde und erklärt überraschend offen: „Das Problem einer Design-Ausstellung, so wie ich das sehe, ist ja sehr oft das Geld. So ein Raum wie das MAKK lässt sich nicht ohne weiteres bespielen. Produkte einfach nur auf den Boden zu stellen, kann keine Lösung sein. Man sieht alles zusammen auf einen Blick, die Spannung würde schnell verloren gehen und bei neun Metern Raumhöhe sähen unsere Produkte, die ja für einen ganz anderen Maßtab entworfen wurden, unproportioniert und flach aus.“
Und wie macht man es, wenn das Budget geklärt ist? Wie präsentiert man die Dinge, damit sie nicht nur abgestellt wirken oder die Ausstellung an ein Möbelhaus erinnert, mit dem Unterschied, dass man sich dort auf die gezeigten Stühle oder Sofas setzen darf?
„Die Frage“, so Diez, „was man in so einer Ausstellung überhaupt über Design erzählen möchte, ist elementar wichtig. Aber grundsätzlich geht es – besonders, wenn man zur imm cologne etwas machen möchte – darum, die beteiligten Firmen dazu zu bewegen, das Ganze zu unterstützen. Es deckt sich mit meinem gesamten Design-Denken, erst einmal abzuchecken, wo die Spielräume liegen – und die liegen hier in Köln und im Kontext der imm eben anders als beispielsweise in München in der Neuen Sammlung. Was wir vorhaben, hat beispielsweise Hay immerhin so begeistert, dass sie uns Möbel im Wert eines sechsstelligen Euro-Betrags zur Verfügung gestellt haben. Das würde anderswo niemand machen. Auch emu, e15 und Buschfeld, eigentlich alle beteiligten Firmen, haben mitgezogen. Buschfeld beispielsweise ist eine Firma, die in Köln ansässig ist und Lichtsysteme baut – und wir brauchten für die Ausstellung eine gute Beleuchtung. Also haben wir uns überlegt: Phantastisch, wir versuchen die Möglichkeiten von Buschfeld mit den Möglichkeiten von Hay zu verbinden, so dass am Ende ein neues Produkt dabei herauskommt. Und mit Produkt meine ich nicht, dass Buschfeld uns einige Lampen schickt und montiert, das wäre für alle Beteiligten uninteressant. Nein, wir haben gemeinsam mit Buschfeld ein Konzept entwickelt, wie man in Zukunft ,New Order’ elektrifizieren und beleuchten kann.“
Die Ausstellung generiert Projekte
Es geht, das wird deutlich, offenbar um mehr als um eine Ausstellung. Was sich aus der Konzeption der Schau heraus entwickelt, wird zu einem eigenständigen Projekt, das, während es Gestalt annimmt, nicht nur konkrete Fragen aufwirft, die beantwortet zu werden verlangen. Während der Arbeit an der Ausstellung wurden Ideen geboren, die ohne sie nicht entstanden wären. „Full House“ präsentiert also nicht nur, was in der Vergangenheit entstanden ist. Die Ausstellung wird vielmehr zum Initialmoment von Kooperationen, aus denen neue Produkte entstehen. Das aber bedeutet: Wir haben es mit einer völlig neuen Form von Ausstellung zu tun.
Stefan Diez präzisiert sein Vorgehen: „Exakt, die Ausstellung ist zum Projekt geworden. Und was das Licht angeht, so haben wir in einem ersten Schritt und in kurzer Zeit überlegt, wie man mit einigen Modifikationen und schlauen Adaptern das Hay- und das Buschfeld-Universum zusammenbringen kann. Ich freue mich schon zu sehen, wie das hier funktioniert.“
Ohne dass sich derartige Synergien ergeben und daraus neue Produktideen entwickelt werden, wäre, so unterstreicht Diez, eine solche Ausstellung kaum realisierbar: „Das könnten wir uns gar nicht leisten, ein Jahr nur für eine Ausstellung zu arbeiten, die am Ende kaum mehr ist, als eine Kiste voller Produkte“.
Unfertiges wird bewusst einbezogen
Ich hake nach: Für gewöhnlich läuft es in Designmuseen aber doch genau so ab. Produkte und Prototypen werden auf Podeste gestellt und in Vitrinen gelegt, oder? – „Deshalb“, so Diez, „habe ich ja gesagt: Überlegen wir uns lieber vorher, wo die Herausforderung und der Spaß bei dem Projekt liegen. Also haben wir versucht, möglichst viele Aspekte, Ideen und Projekte zu kombinieren – eben Buschfeld und Hay zusammenzubringen, aber auch eine noch nicht abgeschlossene Zusammenarbeit mit der Firma Wagner einzubeziehen, einer ausgesprochen sympathischen Truppe aus der Nähe von Augsburg. Wir haben mit Wagner jetzt fast zwei Jahre an einem Projekt gearbeitet, also zeigen wir exemplarisch für diese Zusammenarbeit über 30 Prototypen in einem bald neun Meter hohen Regal. Wir zeigen diese Masse an Arbeit, weil Wagner das Projekt ernsthaft unterstützt und verstanden hat, dass man einen Designer nicht zwei Jahre lang in ein Projekt investieren lassen und die Entwicklung nicht bezahlen kann. Weil ich diese Haltung richtig und wichtig finde, möchte ich in der Ausstellung auch etwas zurückgeben. Wenn einem der Rücken frei gehalten wird, macht es mehr Spaß und ist deutlich effizienter, zwei Jahre lang an einem Detail zu arbeiten. Mit dem Ergebnis bin ich bisher sehr zufrieden: Wenn die Entwicklung abgeschlossen ist, wird es eine komplette Familie an Sitzmöbeln geben, die allesamt über ein gemeinsames Detail zwischen Sitz und Gestell verfügen, das hohen Komfort und gesünderes Sitzen mit mechanisch sehr wenig Aufwand erlaubt und somit die Stühle aus der furchtbaren Ecke der Sitzmaschinen herausholen wird. “
Zeigen, wie gearbeitet wird
Abermals geht es Diez darum, einzelne Projekte nicht isoliert zu betrachten, sie nicht gegenüber anderen abzuschotten, sondern sie miteinander zu vernetzen. „Die Idee für die Wagner Stühle“, ergänzt er, „hab ich Rolf Hay bei einem Besuch bei uns im Atelier gezeigt. Ich hatte schon vor zwei Jahren versucht, die beiden Firmen miteinander in Kontakt zu bringen, denn es wäre doch eine gute Idee, auf der Ebene von Bürostühlen eine Zusammenarbeit von Hay und Wagner anzustreben. Über seine geschätzte Meinung hat Rolf seine Spuren in unserem Projekt bereits hinterlassen und die beiden Firmen haben eine Zusammenarbeit ins Auge gefasst.“
So entstehen in verschiedenen Bereichen neue und andere Verbindungen. „Sicher“, sagt Stefan Diez und lacht, „das ist die Idee eines Netzwerks, einer großen Familie“. Und er fügt hinzu: „Wenn wir Prototypen aus dem Projekt mit Wagner zeigen, dann ist das wie ein offenes Buch. Wir vergeben uns ja nichts, wenn wir das zeigen, wenn wir vorführen, wie wir arbeiten. Was wir zeigen, kann man ja nicht kaufen. Es ist wie ein Atelierbesuch.
Dabei fällt auf: Nichts von alledem ist aufgesetzt oder besitzt Relevanz nur für die Ausstellung. Wenn Stefan Diez von Vernetzung spricht, dann hat das nichts Abgehobenes, nichts Abstraktes. Sämtliche Ideen nehmen ihren Ausgang und haben ihre Basis in bereits realisierten oder aktuellen Projekten. Und, ebenfalls zentral: Es ist allein der Designer, der Produkte verknüpft und Hersteller zusammenbringt. Sämtliche Kooperationen entstehen aus der Arbeit an der Sache selbst; keine Idee wird von Außen herangetragen oder einem Produkt aufgepfropft.
Schlüsselmomente werden hervorgehoben
Wie aber, möchte ich wissen, verbindet die Ausstellung einzelne Projekte mit dem jeweiligen Design-Prozess? Die Antwort überrascht zunächst: „Der Design-Prozess interessiert mich bei der Ausstellung nicht so, wie man das in Design-Ausstellungen schon gesehen hat. Es geht nicht um den linearen, mehr oder weniger nachvollziehbaren Prozess, weniger um die Schritte zwischen einem Vormodell und dem fertigen Produkt. Wenn ich das machen würde, käme es mir so vor, als ob der Akrobat erklärt, wie er trainieren muss.“ Sofort denke ich: Stefan Diez hat nicht zufällig einen seiner Stühle nach einem berühmten Magier und Entfesselungskünstler – Houdini – benannt. Er aber fährt fort: „Ich wüsste nicht, was die Botschaft dahinter sein sollte: Dass das anstrengend ist, dass man als Designer in vielen kleinen Schritten zum Ziel kommt? Ich finde das Ausstellen einer Menge von Zwischenschritten zwar nachvollziehbar, halte es aber für eine Verlegenheitslösung. Was mich – und andere vom gleichen Schlag – am Design interessiert: Wir durchlaufen bei jedem Projekt einen gewissen Standardprozess. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass wir, wenn wir einen Stuhl gestalten, 30 Vormodelle bauen. Das geht nicht anders. Was aber den Unterschied ausmacht, sind ein oder zwei Ideen, die alles verändern. Das sind die entscheidenden Schlüsselmomente. In einer Ausstellung muss es darum gehen, diesen einen Schlüsselmoment herauszustellen und den dadurch erzielten Effekt kenntlich zu machen. Also habe ich mich sehr intensiv damit beschäftigt, wo in jedem Projekt dieser Schlüsselmoment liegt – und ihn herausgearbeitet.“
Diez erläutert seine Entscheidung: „Ich glaube, dass es etwas anderes ist, einen linearen oder in Schleifen verlaufenen Prozess einfach nur darzustellen und den Betrachter damit alleinzulassen, oder ob ich in der Lage bin, den Kern der Idee auf den Punkt zu bringen. Wenn man zu viele Modelle zeigt, dann schaut sich der Betrachter all das an – und bei der dritten Box ist er gelangweilt und sagt zu Recht: Schon wieder zehn Modelle gesehen von einem Stuhl. Stattdessen sollte man mutig etwas hinstellen und sagen: So ist es, so funktioniert’s. Deshalb lassen wir es weitgehend außen vor, etwas aus seiner Genese zu rechtfertigen. Es ist wichtig, etwas nicht zu zeigen, auch wenn man es könnte.“
Diez nennt ein konkretes Beispiel: „Bei „Chassis“ zeigen wir am Ende die beiden Holzformen, die wir gebaut haben, um einen Karosseriebauer davon zu überzeugen, die Prototypen für die Orgatec 2008 hinzubekommen, ohne die Wilkhahn nie und nimmer die enorme Investition für die Werkzeuge getätigt hätte. Deswegen sind diese Holzformen so elementar wichtig für den Prozess. Aber erst dadurch, dass sie auf einen Sockel gestellt werden, bekommen sie die Wichtigkeit, die sie bisher, auf Fotos, nicht haben konnten.“
Dann wechselt er die Perspektive und kommt auf den Aufbau der Ausstellung zurück: „Im obersten Stockwerk ist der Himmel – logischerweise. Dort sind all die Projekte versammelt, wir nennen sie „invisible projects“, die auf der Strecke geblieben sind und die wir nie zeigen konnten, zum Beispiel Studien, die wir mit Stylepark und Vorwerk oder Merten gemacht haben, oder mit Bree, mit Rosenthal. Wir haben ja schon ganz schön viel Pulver verschossen.“
Damit die Wand zu leuchten beginnt
Es gibt noch ganz andere Dinge zu entdecken, wie Diez anhand eines Projekts mit dem spanischen Leuchtenhersteller Vibia erläutert: „Bei der Leuchte, an der wir auch schon drei Jahre arbeiten, beschäftigen wir uns mit Glas als Lichtleiter und LEDs, deren punktförmiges Licht in relativ dünne Glasschichten von fünf Millimeter Dicke eingespeist wird. Es wird zum Beispiel eine 140 Zentimeter lange, von Schott gefertigte Glasröhre zu sehen sein, in die oben in einen Schlitz eine LED-Leiste eingesetzt wird – man sieht nicht, wo das Licht herkommt, die gesamte Röhre beginnt an jenen Stellen zu strahlen, an die man zuvor ein Muster gefräst hat. So entsteht ein butterweiches Licht. Das Prinzip funktioniert auch an der Wand, als flache Scheibe: Wenn man das Licht einschaltet, beginnt nur der Rand zu leuchten. Natürlich kennen wir Leuchten, auf die am Rand LEDs aufgeklebt sind. In diesem Fall ist es aber so, dass es nichts als eine Glasscheibe gibt und nur diese zu sehen ist, wenn man das Licht ausschaltet. Schaltet man das Licht ein, dann breitet es sich flach auf der Wand aus, so dass die ganze Wand zu leuchten beginnt.“
Ohne Enthusiasmus geht es nicht
Firmen sind aber immer auch träge Dampfer, und um einen solchen in eine bestimmte Richtung zu manövrieren, braucht es viel Geduld und Überzeugungskraft. Diez weiß, wovon er spricht: „Eines ist mir bei der Ausstellung ganz wichtig: Ich möchte etwas von dem Enthusiasmus vermitteln, dass in diesem Job noch etwas geht. Wir sind nicht an irgendeinem Ende angekommen. Oft, wenn man andere Leute über Design reden hört, bekommt man ja genau diesen Eindruck. Leute im Kaliber eines Eugenio Perazza, dem Chef von Magis, sind sehr selten geworden. Mag für manche das eine oder andere auch zufällig oder willkürlich wirken, so möchte ich – Beispiel Wilkhahn – doch auch zeigen, was eine Firma dazu veranlasst, den Mut aufzubringen, sich für einen Entwurf zu entscheiden und in ihn zu investieren. Es geht dabei ja nicht um die Form, nicht darum, dass jemand sagt: ,Dieser wahnsinnig schöne Stuhl muss unbedingt produziert werden’. Es geht um Leidenschaft, um Begeisterung, die auf andere überspringen muss... und das zu visualisieren, darin bestand die eigentliche Herausforderung als Designer, all die Jahre, die wir an diesem Stuhl gearbeitet haben. Und am Ende geht alles in die Form ein – und alles andere ist weg. Das ist auch einer Gründe, weshalb wir eine Ausstellung im Museum machen und nicht eine Produktpräsentation in einem Möbelhaus. Auch dort kann man das erzählen, hier im Museum aber soll es ja nicht um das fertige Produkt gehen, hier muss es um etwas anderes gehen: Worin besteht eigentlich die Leistung des Studios und all derer, die dort arbeiten? Was genau ist unsere Arbeit? So zu arbeiten wie wir arbeiten, ist immer eine Gratwanderung, manchmal ist es ‚blood sweat and tears‘, manchmal ist es einfach nur der reine Spaß – und all das muss rüberkommen.“
Aktuelle Probleme des Industriedesigns
Nicht nur, was die Konzeption einer Design-Ausstellung angeht, vertritt Stefan Diez eine klare Position. Er weiß die Probleme genau zu benennen, mit denen das Industriedesign derzeit zu kämpfen hat: „Wir haben für das Buch, das zur Ausstellung erscheint, viele Interviews geführt, und es ist erstaunlich, dass eigentlich alle, mit denen wir gesprochen haben, an demselben Punkt landen: Früher gab es eine klare Trennung zwischen Industrie und Handwerk. Das Potenzial des Handwerks hatte einen klar definierten Rahmen, man wusste, wo dessen Qualität herkommt. Und die Industrie hatte ebenfalls ihre ganz eigenen Spielräume. Mit dem Auftauchen digitaler Werkzeuge ist beides ineinandergelaufen. Und wenn du jetzt als Hersteller die Möglichkeit hast, wenig zu investieren und dabei in Kauf zu nehmen, dass das Produkt teuer wird, oder viel zu investieren, und dich unter Umständen zu ruinieren, dann fehlt es eben sehr oft an Mut, etwas in großer Stückzahl zu produzieren. Dann werden im Grunde Prototypen angeboten, die handwerklich-digital hergestellt werden, Produkte, die seit Jahren eine ganze Generation von Designern enttäuschen, weil die Royalties aus solchen Produkten einfach ,zero’ sind. Die Entwicklungszeit ist aber enorm, weil die Designer von Schnittformen über CAD-Modelle bis hin zu den Fotos alles selbst machen müssen. Der Aufwand für den Designers ist deutlich größer als früher bei der Zusammenarbeit mit Industrie-Partnern, die Stückzahlen, die am Ende herauskommen, aber werden immer kleiner.“
Aber, wende ich ein, merken viele Hersteller nicht längst, dass es auf Dauer so nicht funktioniert? „Wir benutzen die digitalen Möglichkeiten im Studio in vollem Umfang, aber wir sind knallhart daran interessiert, dass wir eine Firma mit an Bord haben, die an einer Umsetzung des Produkts in einem industriellen Prozess interessiert ist – oder zumindest die Investitionskosten mitträgt. Ich muss erfreulicher Weise sagen: Viele Firmen haben inzwischen das Dilemma verstanden und gehen den Weg mit.“
Es gibt also Produkte, bei denen dieses, und andere, bei denen jenes Verfahren gefragt ist, und es liegt in der Kompetenz des Designers, das klar zu machen? „Das bringt die Sache auf den Punkt. Wir sind heute ansatzweise bereit, so dass wir die Vorteile dieses Potpourris an neuen Verfahren für uns nutzen können, beim Bauen von Prototypen und bei der Entwicklung technisch gesehen nicht immer ganz einfacher Lösungen. Aber am Ende brauchen wir Firmen, die uns unterstützen, damit wir uns den gesamten Entwicklungsprozess leisten können.“
Es muss einem nicht bange sein
Ich möchte es noch mal genau wissen und frage: Dann geht es doch gerade wieder aufwärts und es muss einem nicht bange sein, was die Zukunft des Industriedesigns angeht? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Keinesfalls. Wir stehen ja nicht an irgendeinem Punkt und denken, wir hätten genug gelernt. Im Gegenteil: So wie heute gearbeitet wird, in Netzwerken, bringt kaum noch eine einzelne Firma all das Wissen mit, das nötig ist, ein Produkt marktreif zu entwickeln. Die Hersteller – eigentlich heute eher Verleger – sind darauf angewiesen, dass jeder der beteiligten Produzenten sein Wissen teilt. In den Firmen stehen keine Schatztruhen mehr, in denen ein besonderes Wissen aufbewahrt wird und die man nur zu öffnen braucht. Auch deshalb haben die Firmen sehr wohl Interesse daran, mit einem technisch kompetenten Design-Büro zusammenzuarbeiten, wenn es die Rolle des Vermittlers übernehmen muss.“
Um die Veränderungen zu beschreiben, erzählt Stefan Diez, wie ein Designer früher, und das heißt: bis vor wenigen Jahren, gearbeitet und was er selbst noch so gelernt hat: „Ich war ja mal Assistent von Richard Sapper, war öfter bei ihm in Mailand. In seinem Studio gab es nur einen großen Tisch, darauf stand ein Tesa-Abroller und einige Klammern – ein Riesentisch, das war sein ganzes Büro. Er hatte auch nicht wirklich Assistenten, eher einige seiner Studenten, die gelegentlich mitgearbeitet haben. Es war überschaubar. Wenn der Entwurf stand, ist er in die Brianza zu seinem Hersteller gefahren – und die haben mehr oder weniger den Rest übernommen. Das ganze Wissen, wie sich etwas realisieren lässt, lag bei den Firmen. Kurze Zeit später, durch Outsourcing und Globalisierung möglich gemacht, gab es dann einen plasmatischen Zustand – und jetzt muss vieles in neuer Konstellation zusammen finden. Wir leben in einer Zeit, in der viel passiert, sich vieles verändert, und in der sich auch im und für das Design vieles verändert – und das hat auch seine guten Seiten.“
In Köln geht der Aufbau weiter.
Ausstellung:
Full House: Design by Stefan Diez
MAKK – Museum für Angewandte Kunst Köln
An der Rechtschule
50667 Köln
17. Januar bis 11. Juni 2017
Sonderöffnungszeiten während der imm cologne und den Passagen
vom 17. Januar bis 22. Januar 2017:
Dienstag bis Sonntag 11-21 Uhr
In dieser Zeit ist der Eintritt frei.
Katalog:
Full House. Diez Office.
hrsg. v. Sandra Hofmeister und Petra Hesse
336 S., ca. 850 Abb.,
Verlag der Buchhandlung Walther König
ISBN 978-3-96098-071-1
39,80 Euro