Stylepark Architecture Matters
Stadtplanung und Macht in Moskau
Spionage, Fake News, aggressive Machtdemonstrationen – das gegenwärtige Bild von Russland ist fast durchweg dunkel, bedrohlich, zumindest undurchsichtig. Ist das auch die Wahrnehmung im Land? Zielt aus Sicht der Russen die westliche Kritik auf die entscheidenden Punkte? Reist man nach Moskau, ist man überrascht über die vielen differenzierten, politischen Diskussionen, denen man allerorten begegnet – auch oder vielleicht gerade in Architektenkreisen. In den letzten Jahren ist hier eine junge, vitale Szene entstanden, getragen von einer Generation, die viel gereist ist und die zum Teil im Ausland oder an neuen russischen Institutionen wie Strelka, einem privaten Institut für Architektur, Design und Medien, ausgebildet wurde. Der Architekt und Architekturtheoretiker Kiril Ass ist einer der scharfsinnigsten und vielseitigsten Köpfe dieser Szene. Er arbeitet im Büro von Alexander Brodsky, einem der bekanntesten Vertreter der sowjetischen „Paper Architects“, schreibt über Architektur und lehrt an der unabhängigen „Moscow School of Architecture“. Zusammen mit seiner Frau Nadya Korbut entwirft er eindringliche, poetische Ausstellungsinstallationen unter anderem für das Moskauer Jüdische Museum oder das Garage Museum für Zeitgenössische Kunst, dessen jetziger Standort im Gorki Park von OMA umgebaut wurde. Und er ist ein äußerst kritischer Beobachter des aktuellen (Bau-) Geschehens.
Von Svankmajer über Bulgakow bis zur russischen Avantgarde
An Ausstellungen reizt Ass das Flüchtige, die schnellen Entscheidungen. Oft entstehen die Installationen in weniger als drei Monaten. Mit feinem Sinn für die Werke anderer Künstler und für die Balance zwischen Zurückhaltung und gestalterischer Präsenz, erzeugen er und Korbut starke Bilder, welche die Ausstellungsbesucher intuitiv lesen und verstehen können. Den surrealen, albtraumhaften Arbeiten des legendären tschechischen Filmemachers Jan Svankmajer entwarfen sie im Garage Museum ein „Irrenhaus“ – ein temporäres Zuhause für das verstörende, bisweilen aggressive Abtauchen ins Dunkel der menschlichen Seele. Dazu kamen Ausstellungen über den Schriftsteller Bulgakow, die Rolle der Schreibmaschine in der russischen Literatur oder „Upon request. Russian Avant-Garde Collections from Regional Museums“, ihre aufgrund der Hängung bisher am kontroversesten diskutierte Ausstellung. Und jenseits dieser flüchtigen Poesie?
Simulation von Stadt
Als Ausländer in Moskau ist man zur Zeit irritiert über die vielen, in bunten Farben schreiend leuchtenden, aufwändig gestalteten Bögen, Arkaden und temporären Installationen. Sie sind Ergebnis eines neuen, von der Stadt beauftragten Verschönerungsprogramms. „Es scheint, als müsste man, wenn eine Stadt nicht mehr von selbst blüht, zumindest so tun als ob. Die Stadtverwaltung, die Regierung dieses Landes versuchen, sich selbst zu beweisen, dass alles in Ordnung ist, doch das ist es nicht,“ so Ass. Technisch gesehen ist Russland heute ein komplett anderes Land als die Sowjetunion. Aber inwieweit hat sich auch die Ideologie gewandelt?
„Interessant ist, dass die Botschaft der Sowjetunion sich ganz um die Zukunft gedreht hat, während es gegenwärtig ausschließlich um die Vergangenheit geht. Aber die eigentliche Krise ist keine wirtschaftliche, es ist eine der Visionen und der Leitbilder. Die wichtigste Aussage der politischen Entscheidungsträger lautet ‚Russland wieder groß machen’. Dabei liegt die Betonung auf ‚wieder’. (...) Es gibt bei uns keine wirkliche Idee von Zukunft. Die gegenwärtig vorherrschende Ideologie ist schizophren. Weil wir uns auf alles gleichzeitig berufen, auf Stalin, den Zar, die orthodoxe Kirche, die Sowjetunion. Wir wollen uns nicht daran erinnern, dass etwa Stalin hunderttausende orthodoxe Priester umbrachte. So lange wir uns darauf nicht besinnen, scheint das nicht zu existieren. Und diejenigen, die die Gesellschaft erinnern, werden als Staatsfeinde oder ‚ausländische Agenten’ gebrandmarkt. Dafür wurde sogar ein Gesetz erlassen. Wir haben den großen Führer Stalin, die große russisch-orthodoxe Tradition. Alles wird zusammengeworfen, obwohl das absoluter Unsinn ist. Der Staat hat immer recht, alles andere ist falsch.“
Architektur zum Ruhme der russischen Größe
Inwieweit spiegelt sich das in der Architektur wieder? Aus Ass’ Perspektive erstaunlich wenig. Das, was gegenwärtig als „gute Architektur“ gilt, reicht vom Neoklassizismus, wie in WDNCh (einem Ausstellungsgelände der Errungenschaften der Volkswirtschaften, eröffnet 1941, gerade renoviert und der russische Beitrag zur letzten Architekturbiennale in Venedig), der Postmoderne, bis zu super-zeitgenössischen Gebäuden. Das Polytechnische Museum wird nach einem Entwurf von Junya Ishigami umgestaltet. Auch ein Projekt wie Zaryadye Park, ein neuer Park in der Nähe von Kreml und Rotem Platz, der von dem New Yorker Büro Diller Scofidio + Renfro geplant wird, passt in diese Logik, sagt Ass, „solange ein solches Projekt die Größe Russlands erstrahlen lässt. Es geht um Repräsentation, nicht um Realität.“ Insgesamt betrachtet, gibt es wenige öffentliche Bauaufträge in der Stadt. Die aktuelle Regierung unter Sobjanin interessiert sich, anders als ihr Vorgänger, nicht sonderlich dafür, sich selbst mittels Architektur zu präsentieren. Sie konzentriert sich auf das Renovieren von Straßen und Parks, repräsentiert sich über die Leerräume zwischen den Gebäuden und Verschönerungsprogrammen, die Stadt nur simulieren. „Der Punkt ist“, konstatiert Kiril Ass, „dass man sich die Stadt nicht so frei aneignen kann, wie man möchte. Man kann im öffentlichen Raum nur das tun, was auch offiziell vorgesehen ist: spazieren gehen, einkaufen, mit dem Auto oder Fahrrad fahren. Anderenfalls riskiert man, umgehend verhaftet zu werden (...) Aus psychoanalytischer Perspektive betrachtet, scheint es fast so, als hätte [die Regierung] Angst vor der Öffentlichkeit.“
Kiril Ass ist einer der Referenten bei der hochkarätig besetzten internationalen Münchner Konferenz „Architecture Matters“, bei der unter anderem Christ & Gantenbein, Julian Nida-Rümelin, Patrik Schumacher und Roland Berger auftreten.
Architecture Matters
Annual Summit on Cities and the Future
10. März 2017, 14 bis 23 Uhr
Technikum
Grafinger Str. 6
81671 München
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