Der revolutionäre Platz
Es wurde der erste moderne Platz, weil er kein Platz im ursprünglichen Sinne mehr sein durfte. Die von Jakob Ignaz Hittorff zwischen 1832 und 1853 gestaltete Place de la Concorde war nicht mehr als Handlungs- und Versammlungsraum der Stadtbevölkerung angelegt. Nichts sollte daran erinnern, dass sich hier vier Jahrzehnte zuvor eben diese Stadtbevölkerung zusammengescharrt hatte, um dem Ende ihres Königs unter der Guillotine beizuwohnen. In der Konsequenz schuf Hittorff den Platztypus, der für das 20. Jahrhundert prägend werden sollte: das in seiner Größe fast beliebig ausdehnbare, durch Verkehrsströme gegliederte Wegekreuz. Hittorffs Entwurf nahm eine völlige Neubewertung des Platzraumes vor. Nicht mehr der Aufenthalt, sondern das Passieren stand im Mittelpunkt seines stadtplanerischen Ansatzes. Verkehrsströme werden voneinander und von den Verweilflächen geschieden. Er wird damit zum Vorboten jener Zonierung öffentlicher Plätze, die bis heute unsere Städte prägt. Um es zugespitzt zu sagen: Die Anfänge der autogerechten Stadt liegen (auch) im Paris des 19. Jahrhunderts.
Die Guillotine auf dem Königsplatz
Der Architekt und der Platz, dessen Umgestaltung er ein Vierteljahrhundert planen und vorantreiben sollte, sie rangen lange miteinander. Am Beginn stand ein grandioses Scheitern: Jacob Ignaz Hittorff, 1792 in Köln geboren, hatte als Architekt in Paris bereits eine steile Karriere gemacht, als er 1828 zur Teilnahme am prestigeträchtigen Wettbewerb für die Neugestaltung des acht Hektar großen Areals zwischen Tuileriengarten, Seine und Champs-Élysées eingeladen wurde. Doch sein Entwurf fiel bei der Jury durch und wurde in den Zeitungen verspottet. Hittorff war gescheitert, weil sein Plan die widerstreitenden Kräfte von Erneuerung und Restauration nicht zu bändigen wusste. So hatte er die Fläche noch ganz im Geist barocker Gartengestaltung in Parterres und Wege aufgeteilt, die er dann mit Spalieren von Gaslaternen in unterschiedlichen Höhen umstellte. Alles wirkte summarisch; den Dimensionen des Platzes war das Konzept nicht gewachsen.
Noch im frühen 19. Jahrhundert lag der Platz am Rande von Paris. Ange-Jacques Gabriel, der Hofarchitekt Ludwigs XV., hatte ihn in der Mitte des 18. Jahrhunderts als repräsentativen Standort für ein Reiterdenkmal des Königs geschaffen und ihn mittels Balustraden, Gräben und kleinen Wachhäusern gegliedert. Doch im Vergleich zu den vier älteren Königsplätzen der Stadt – der Place des Vosges, der Place Dauphine, der Place Vendome und der Place des Victoires –, die allseitig von annähernd identischen Fassadenwänden eingefasst waren, wirkte die "Place Louis XV." konturlos. Sie war kein abgeschlossener Raum. Auch fand der Platz, anders als seine Vorgänger, sein Größenmaß nicht mehr im Stadtplatz des Mittelalters, bei dem noch die Reichweite der menschlichen Stimme die Abmessungen begrenzte. Doch eben diese große Fläche vermochte die Massen der Zuschauer aufzunehmen, als hier die Guillotine errichtet wurde, unter der nebst Tausender anderer auch Ludwig XVI. sein Ende fand.
Ein Gelenkstück im Wegenetz
Einschneidende städtebauliche Veränderungen führten im frühen 19. Jahrhundert dazu, dass der Platz aus seine Randlage rückte und zu einem Verkehrsknoten der Stadt wurde. Zum einen verband ihn seit 1791 eine Brücke mit dem anderen Seineufer. Zum anderen entstand seit 1806 mit der Rue de Rivoli eine zentrale Verkehrsachse durch die Stadt, die an seiner Nordostecke in den Platz einmündet und von der Avenue des Champs-Élysées fortgeführt wird, die auf seiner Südseite beginnt.
Als Hittorff 1832 erneut – und nun als Einziger – aufgefordert wurde, einen Entwurf für den Platz vorzulegen, galt deshalb der Wegeführung seine besondere Aufmerksamkeit. Die Julimonarchie hatte inzwischen festgelegt, dass ein Obelisk aus Luxor, den König Louis Philippe aus Ägypten zum Geschenk erhalten hatte, im Zentrum des Platzes aufgestellt werden sollte. Hittorff gelangte in seinem Entwurfsprozess schließlich zu einer Art doppeltem Kreisverkehr. Er legte im Zentrum des Platzes nach dem Vorbild der Piazza Navona ein langgezogenes Oval in Nord-Süd-Richtung an, auf dem er – wie in Rom – den Obelisken, flankiert von zwei Brunnenanlagen, platzierte. Den das Oval umlaufenden Fahrweg verbinden acht Zuwege mit den einmündenden Straßen. Durch Rasen und die anfangs noch vorhandenen Gräben des barocken Platzes vom inneren Fahrweg getrennt, plante er an den Platzkanten einen zweiten Fahrweg. So konnte (und kann) der diagonal kreuzende Verkehr die für ihn kürzere innere Route nehmen, während auf einer Platzseite verbleibender Verkehr außen geführt wird.
Fortschrittlich war auch Hittorffs Einsatz von Gusseisen für die gewaltigen Gaslaternen und sogar für die Fontänen, die er auf der Place de la Concorde aufstellen ließ und für die er – wie etwa gleichzeitig auch Schinkel in Berlin – bereits industrielle Produktionsweisen einsetzte.
Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum, dass Hittorffs Nachlass besitzt, zeigt jetzt seine Entwürfe zur Place de la Concorde in der sehenswerten Ausstellung "Paris erwacht!" – und die beginnt mit der schnellsten Passage der Place de la Concorde in der Filmgeschichte: Claude Lelouches rasende Fahrt durch Paris aus dem Kurzfilm "C’était un rendez-vous".
Paris erwacht!
Hittorffs Erfindung der Place de la Concorde
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud,
Köln
bis 9. Juli 2017