top
Die Sitzschalen im Auditorium stammen von alten Schulmöbeln.

Ein Ort für die kulturelle Vielfalt

Das Spore Haus erhält den DAM-Preis 2025. Mit bodentiefen Fenstern öffnet sich das Kultur- und Bildungszentrum zum verkehrsreichen Straßenraum, rote Ziegel bestimmen das Fassadenbild des Neubaus von AFF Architekten. Hinter dem Gebäude breitet sich ein friedlicher Garten aus. Sven Fröhlich und Ulrike Dix von AFF Architekten erläutern das Konzept.
01.04.2025

Sandra Hofmeister: Herzlichen Glückwunsch zum DAM-Preis 2025 für das Spore Haus! Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?

Ulrike Dix: Im Nachhinein ist es natürlich sehr schön, dass das Gesamtpaket zu diesem Projekt prämiert wurde. Die Auszeichnung gilt nicht nur der Architektur, sondern auch all dem, was dieses Haus leistet. Nicht zuletzt ist sie auch für die Bauherren, die den Mut hatten, an diesem Ort in ein Kultur- und Bildungszentrum und in dieses Gebäude zu investieren. Wir fassen den DAM Preis als Anerkennung für alle auf, die im Team dazu beigetragen haben, gute Lösungen zu finden. Ich freue mich, dass das honoriert wird.

Das Spore Haus steht in einem dichten urbanen Kontext an der Hermannstraße in Berlin-Neukölln. Es bildet ein Ensemble mit dem benachbarten Publix-Haus, das ebenfalls nach Ihrem Entwurf etwas später fertiggestellt wurde. Welche Bedeutung hatte die markante städtebauliche Situation für den Entwurf?

Sven Fröhlich: Nach unserer Auffassung muss sich jedes Gebäude mit dem Stadtraum vernetzen und verweben. Insofern hat das Umfeld auch beim Spore Haus sowohl im Entwurfsprozess als bei der Realisierung eine entscheidende Rolle gespielt. Die Hermannstraße ist ein spannender Ort, nicht nur städtebaulich, sondern auch mit Blick auf die kulturelle Diversität. Wir haben versucht, all dem gerecht zu werden.

Die Versprünge des Spore Haus erweitern den Stadtraum an der Hermannstraße in Berlin-Neukölln. Im Zentrum ein denkmalgeschützter Lichtfeuermast des ehemaligen Flughafens Tempelhof.

Vor dem Haus liegt eine verkehrsreiche Straßenachse, hinter dem Haus ein Garten – die Vorsitzende der DAM-Jury Regula Lüscher nennt ihn "fast so etwas wie eine Idylle." Gehört der gegensätzliche Charakter zwischen Vorder- und Rückseite zum Konzept?

Ulrike Dix: Was wie ein üppiger Garten erscheint, ist eigentlich ein ehemaliger Friedhof, der sich mehr und mehr zu einer Art Parkarchitektur entwickelt. Die Architektur des Spore und des Publix Hauses nutzen den maximalen Kontrast zwischen der lauten und heterogenen Hermannstraße und der ruhigen Rückseite. Das Erdgeschoss ist niederschwellig zugänglich. Unsere Idee, seine Räume eng mit dem Stadtraum und mit dem Grünraum zu verweben, geht in der Umsetzung gut auf. Gegensätze ziehen sich an, sie unterstützen im Spore Haus den Bewegungsfluss von der Straßenseite auf die grüne Rückseite und sorgen für spannende Durchblicke.

Die Spore Initiative der Schöpflin Stiftung fördert biokulturelle Vielfalt durch Bildungs- und Kulturprogramme. Das neue Berliner Haus der Stiftung ist eine Anlaufstelle für die Kiez-Nachbarschaft aber auch für BesucherInnen aus ganz Berlin und weit darüber hinaus. Inwiefern trägt das Gebäude diesem öffentlichen Charakter Rechnung?

Sven Fröhlich: Die Architektur setzt auf die Vielschichtigkeit und Offenheit, das zeigt sich auch an den sehr unterschiedlichen Nutzungsebenen und Funktionen des Spore Haus. Die biokulturelle Vielfalt wird in verschiedenen räumlichen Situationen und mit unterschiedlichen Angeboten vermittelt. Es gibt ein Auditorium, Seminarräume, ein offenes Foyer, das in den Stadtraum und in den Naturraum kommuniziert. Dann gibt es den Garten, in dem auch Lehrangebote vermittelt werden, außerdem die Ausstellungsflächen, eine Bibliothek und Aufenthaltsräume für Kunstschaffende. All diese Angebote haben wir in einem räumlichen Organismus organisiert, der sich in der Stadt verankert und frei zugänglich ist.

Ulrike Dix: Uns war wichtig, dass das Gebäude in seinem Grundcharakter zwanglos bleibt. Das Spore Haus ist ganztags geöffnet und bietet einen geschützten Innenraum. Die BesucherInnen können kommen und sich dort aufhalten, egal ob jung oder alt, ob mit oder ohne Kinder. Sie müssen nichts konsumieren und auch nicht die Ausstellung ansehen oder an einem Workshop teilnehmen. Viele kommen einfach nur, um sich auszuruhen und weil man da "rein" kann.

Sven Fröhlich, Ulrike Dix

Das Foyer ist ein großzügiger Raum mit vier Meter hohen Decken. Was ist die Idee dahinter und wie sind die anderen Etagen organisiert?

Sven Fröhlich: Die Offenheit des Erdgeschosses ist an der Fassade ablesbar, durch die raumhohen Fenster zum Straßenraum wird das Erdgeschoss zu einer Art durchlässigen Landschaft. BesucherInnen können durch das Foyer nahtlos ins Grüne gehen. Das erste Obergeschoss mit den Ausstellungsflächen hat eine eher geschlossene Fassade mit wenigen situativen Ausblicken in die Stadt. In der zweiten Etage befinden sich die Kinderbibliothek und die Seminarräume. Jedes Stockwerk spricht anders zum Straßenraum und zeigt seine Nutzung auch nach außen.

Die Konstruktion ist aus Beton, die Ziegelfassaden sind je nach Stockwerk in unterschiedlichen Rottönen aufeinander abgestimmt. Wie kam es zur Materialwahl?

Ulrike Dix: Das Haus steht im Prinzip auf einer Art Betontisch, der über verschiedene Kerne auf den Boden kommt. Die Kerne werden von der Kassettendecke überspannt – wir nennen sie Spore-Decke. Das Bild des fließenden Raumes spiegelt sich in der Decke wider, die größere Raumbereiche stützenfrei überspannt. Dieses Konzept hatten wir schon im Wettbewerb, und in der Weiterentwicklung ist daraus der enge Zusammenhang zwischen der Architektur und dem Tragwerk entstanden. Die Ornamentierung der Decke ist ein Abbild der Spannungsverläufe, sie bildet den Kräfteverlauf ab. In der grafischen und räumlichen Wahrnehmung zeigt sich der Aspekt eines Netzwerkes – einer "Spore". Auf dieser Netzwerk-Idee gründet die Spore Initiative. Wir greifen diese Identität, und die Decke ist dabei ausschlaggebend, weil sie die fließenden Räume erst möglich macht.

Sven Fröhlich: Neben der gründerzeitlichen Blockrandbebauung der Hermannstraße ist das Friedhofsareal auf der Rückseite durch seine Backsteinarchitektur geprägt, die typisch für Berlin ist. Für Sondernutzung gibt es in der Stadt sehr prachtvolle und detaillierte Ziegelbauten aus der Gründerzeit. Das Spore Haus sucht den Schulterschluss zwischen beidem mit Blick auf die Maßstäblichkeit, die Kubatur und das Material. Wir setzen dabei auch auf die Verschmelzung zu bestehenden alten Relikten vor Ort – etwa zur alten Friedhofsmauer. Die Materialwahl haben wir auf diese Absicht abgestimmt, sowohl die Klinkerfassaden als auch die teilweise Verwendung von Recyclingziegeln. Mit ihr konnten wir auch die Schichtung der Nutzungen deutlich machen.

Es gibt im gesamten Gebäude auch verschiedene wiederverwendete Materialien und Elemente. Wie kam es dazu und welche sind es?

Sven Fröhlich: Bei all unseren Projekten liegt uns generell am Herzen, Bauteile und Materialien wiederzuverwenden – nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit, sondern auch der kulturellen Verantwortung. Der Bauherr hat sich dafür offen gezeigt, viele Entscheidungen zur Wiederverwendung haben sich erst im Bauprozess konkretisiert. Das Betrifft die Fassade aber auch die Formholz-Sitzschalen im Auditorium, sie sind aus Schul- und Verwaltungsbauten aus den 1970er-Jahren, und es gibt wiederverwendete Waschbecken. Wir verwenden grundsätzlich Material und Bauteile wieder, im Bauprozess des Spore-Hauses haben wir Restbeton gefunden, der für die Sitzelemente im Stadtraum genutzt wurde. Aus der Beobachtung im Prozess entstanden Ideen der Wiederverwendung. Man braucht dazu allerdings eine große Bereitschaft der Bauherren.

Der Dachpavillon ist aus dem wiederverwendeten Schalungsholz der “Sporedecke” gefertigt.

Welche Rolle hatte die CO2-Bilanz des Gebäudes für Ihren Entwurf?

Ulrike Dix: Ich glaube es geht um mehr als die CO2-Bilanz. Wir haben gemeinsam mit den Tragwerksplanern von Schnetzer Puskas eine Betonkonstruktion entwickelt, die "ausbalanciert" ist, wie die Ingenieure sagen würden. Uns war die Sinnhaftigkeit zwischen dem Material und dem, was es leisten muss, wichtig. Die Bedingungen an der Hermannstraße sind herausfordernd. Die U-Bahn hat maßgeblich zur Materialwahl beigetragen. Außerdem ließ sich das Bild der fließenden Landschaft mit dieser Konstruktion umsetzen. Auch die hohen Lastanforderungen der Ausstellungsräume haben unsere Entscheidung für diese Konstruktionsart beeinflusst. Der CO2-Abdruck der Betonkonstruktion ist eher schlecht, aber der Gradmesser war in diesem Fall entscheidend. Die Kassettendecke und das ausbalancierte Tragwerk ermöglichen eine extreme Materialeffizienz. Es war uns wichtig, so wenig Material wie möglich zu verwenden. Insofern hat der Zusammenhang zwischen Materialeinsatz und Effizienz eine große Rolle gespielt.

AFF Architekten haben viel Erfahrung mit öffentlichen Bauherren – besonders mit Schulbauten. Was war anders beim Spore-Haus?

Ulrike Dix: Der Entscheidungswille! Die Auftraggeberschaft des Spore Haus war sehr motiviert, etwas Besonderes zu bauen und eine Nische zu belegen. Für viele Gestaltungsfragen gab es sehr schnell Zustimmung. Gleichzeitig gab es von Beginn an den hohen Anspruch, etwas Besonderes zu schaffen. Öffentliche Bauherren agieren oft mit Stellvertretern, denen es an Mut und Entscheidungsverantwortung fehlt. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied.

In Zeiten knapper Staatskassen sind öffentliche Kulturgebäude mit Anspruch eher selten. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Sven Fröhlich: Berlin war schon immer eine Keimzelle für kleine Initiativen, die kulturelle Defizite ausgeglichen und aus wenig sehr viel gemacht haben. In der Stadt entwickelt sich immer wieder was neues, vieles verschwindet aber auch wieder. Ich glaube jede Stadt braucht grundsätzlich Initiativen, bestimmte Orte kulturell zu belegen. Die Schöpflin-Stiftung hat dazu einen guten Beitrag geleistet. Denn der entscheidende Punkt des Projekts ist aus meiner Sicht, dass das Gebäude eben nicht in Mitte steht, sondern in Neukölln. Das war für die Stiftung eine gute Entscheidung und ist für den Bezirk und die Hermannstraße eine Bereicherung. Hier werden Stadtfeste gefeiert – kürzlich auch der mexikanische "dias de los muertos". Ein Gebäude voller Leben, genau das war die Absicht.

Ausstellung DAM Preis 2025
Bis 27. April 2025

DAM Ostend
Henschelstr. 18
60314 Frankfurt am Main

DAMPreis2025 Film Spore Haus AFF Architekten Johannes Foerster