Geschmacksbildende Maßnahmen
Dass bei Kindern vieles, nicht zuletzt auch die ästhetische Erziehung und Geschmacksbildung, zu nicht unwesentlichen Teilen durch ihr Spielzeug mitbestimmt wird, ist keine neue Erkenntnis. Es lastet also auch in dieser Hinsicht einige Verantwortung auf den Eltern. Was aber ist heutzutage das „richtige“ Spielzeug? Lernt das Kind am besten durch das gute Beispiel, das wohlgestaltete Objekt? Oder kann nur durch kreative Auseinandersetzung beim Selbstbauen und Selbstgestalten ein Verhältnis zu technischen Fähigkeiten und zu ästhetischen Gespür eingeübt und ausgebildet werden?
Miniaturwelt als Markenwelt
Traditionell stellt die Miniaturisierung quasi die Signature-Eigenschaft von Spielzeug dar. Eine im Maßstab verkleinerte Welt sollte und soll deren Gestalt und deren Eigenschaften für den kleinen Menschen im wahrsten Sinne begreifbar machen. Erstaunliche Kunstwerke sind auf diese Weise entstanden: Märklin in Göppingen fertigte einst komplette Ozeandampfer und andere mechanische Wunderdinge aus Blech. Und für die Tochter des Großherzogs von Hessen Darmstadt baute Joseph Maria Olbrich gleich eine ganze Miniatur-Jugendstilvilla im Park des Schlosses Wolfsgarten. Es war dies die perfekteste aller Möglichkeiten, das zu tun, was alle Miniaturisierung ermöglichen soll: Das Leben der Erwachsenen nachzuspielen und sich in due Welt der Großen hineinzuversetzen. Die Geschmacks- und Wertebildung des jungen Menschen findet selbstverständlich bei dieser Nachübung gleich mit statt.
Was ist also so beunruhigend daran, wenn der Ramberger Spielzeughersteller Klein heutzutage hochwertige Konsumartikel 1:1 verkleinert und vom Braun-Lockenstab bis zum Weber-Grill dem Nachwuchs alles zu Verfügung stellt, was Papa und Mama im Haushalt verwenden? Nicht nur den jeweiligen Gegenstand selbst ahmt Klein übrigens nach, sondern auch die originale Markenverpackung. Das verstörende daran ist der Fetischcharakter, den die Marke als Statussymbol hier bekommt. Für den Hersteller ist es offenbar lohnend, die Lizenzen von den jeweiligen Originalproduzenten zu erwerben, weil er den Pseudo-Bosch-Bohrer und den miniaturisierten Putzeimer von Vileda teurer verkaufen kann, als ein Spielzeug ohne, beziehungsweise mit seinem eigenen Logo. Nicht die Qualität der Miniatur ist wichtig, sondern Image und Status des Vorbildes. Ein Objektbezug jenseits einer Verbindung von Marke und Produkt ist für das Kind also gar nicht mehr ersichtlich.
Im Spielhaus gibt es aktuelles Design
Dass Kinder ihren Alltag im Spielzeug realistisch abgebildet haben wollen, ist wenig überraschend. Schließlich kennen sie nichts anderes, und Sentimentalität gegenüber Altem ist ihnen verständlicherweise fremd. Insofern ist es völlig folgerichtig, wenn Playmobil in seinem neuen Spielhaus versucht, dem Alltag seiner kleinen Benutzer so nahe wie möglich zu kommen. Die schmucklosen Archetypen von Stuhl, Tisch und Bett, die früher im Angebot waren, hat man inzwischen über Bord geworfen. Jedes Möbelstück des neuen Modell-Hauses scheint von Designerhand gestaltet. Man kann es nicht anders sagen: Das Spielhaus ist mit dem Willen zum Geschmack eingerichtet: Das Elternbett zeigt ein elegant gekurvtes Beinpaar, die Stühle am Esstisch wirken mit ihrem aus einem zylinderförmigen Volumen entwickelten Design wie ein Entwurf von der letzten internationalen Möbelmesse, und im Badezimmer sind natürlich ganz zeitgemäß Aufsatzwaschbecken eingebaut. Dieses Haus ist tatsächlich ein ziemlich perfektes Abbild der gestalteten Gegenwart. Wer sich in fünfzig Jahren fragen sollte, wie die begütertere Mittelschicht zur Mitte des zweiten Jahrzehnts gewohnt hat (oder zumindest wohnen wollte), dem gibt es erschöpfend Antwort. Damit ist dieses Spielhaus sehr kindgerecht, weil Kinder eben nur die Gegenwart kennen. Aber setzt es auch die richtigen didaktischen Akzente? Oder lenkt es den Geschmack nur in eine ganz bestimmte Richtung?
Aufwachsen in einer vorgestalteten Welt
Friedrich Fröbel, der Vater des Kindergartens, schuf Mitte des 19. Jahrhunderts mit seinem berühmten Spielgaben, Bauklötze aus schlichten geometrischen Grundformen, den Prototypen für pädagogisches Spielzeug. Fröbels Grundüberzeugung, dass das Kind in der Auseinandersetzung mit solch simplen Bausteinen die Welt zu begreifen lernt, wird vielfach bis heute vertreten. Doch die reine Lehre wird immer schwieriger umzusetzen, denn auch Holzspielzeug, das ja als das pädagogische Spielzeug per se gilt, entfernt sich immer weiter vom einfachen Bauklotz. Auch hier ist an vielen Stellen bereits die vorgestaltende Hand des Designers zu erkennen. So ist etwa der neue Hauptbahnhof der Brio Holzspieleisenbahn, die seit Generationen in Kinderzimmern steht, ein eleganter, tonnengewölbter Bau mit eingestellten Säulchen. Ist das einfach gute Gestaltung oder bereits geschmackliche Bevormundung?
Nachbauen statt selbst etwas zu erfinden
Lange Zeit stand bei vielen Eltern die Firma Lego, der dänische Hersteller eines Bauspiels aus Kunststoffsteinen, die sich mithilfe von Noppen beliebig miteinander verbinden lassen, in dem Ruf, besonders pädagogisches und in jeder Hinsicht unbedenkliches Spielzeug zu produzieren. Lego-Steine standen im Ruf, die kindliche Kreativität zu fördern und waren zudem ob ihrer skandinavischen Herkunft der amerikanischen Konsumkultur relativ unverdächtig. Bemerkenswerter Weise betreibt allerdings mittlerweile kaum ein Unternehmen professioneller integrierte Multi-Channel-Vermarktungskonzepte, mit denen Kindern (und Erwachsenen) weltweit die gleichen Erzählungen in Form von Filmen, Büchern und Spielfiguren verkauft werden, als der dänische Spielzeugkonzern. Längst verlässt man sich nicht mehr auf die Kreativität seiner minderjährigen Benutzer. Die ursprünglichen Steinsammlungen, mit denen das Kind zum Erfinden eigener Bauten und Szenerien aufgefordert werden sollte, sind längst zu exakt nach Plan zusammenzusetzenden, vielteiligen Bausätzen geworden. Und damit die kleinen Spieler auch gleich wissen, was sie spielen sollen, liefert Lego ihnen per Film, Fernsehserie oder Comic die Story gleich mit. Die jeweiligen Phantasieuniversen heißen dann Ninjago und Nexo Knights. Oder Lego kauft Lizenzen aus Hollywood, etwa zu Batman und Star Wars. Das Kinderspiel wird so zur Fan Fiction.
Steine für künftige Architekten
Für eine erwachsene Käuferschaft war der dänische Hersteller mit der Serie Lego Architecture vor einigen Jahren zu seinen Anfängen zurückgekehrt und bot neben den Modellen diverser Architekturikonen auch einen gewaltigen Baukasten, Architecture Studio genannt, mit ausschließlich weißen Steinen an, mit dem Hobbyarchitekten ihre eigenen Architekturvisionen umsetzen können. Inzwischen entwickelt sich die Reihe allerdings weg von der Nachbildung anspruchsvoller Architektur und hin zum Souvenirkitsch. Andere Hersteller springen jedoch in die Bresche. Der irische Hersteller Arckit etwa bietet ein System an, das sich an Architekten, aber auch an Jugendliche richtet, mit dem mittels unterschiedlich geformter Plättchen auch komplizierte Architekturen gebaut werden können. Das hat seinen Preis. Das Einsteigersortiment kostet etwa 100 Euro, der größte Teilesatz 320 Euro. Damit ist es dann aber auch möglich, das Modell eines Hauses mit einer Grundfläche von 360 Quadratmetern zu bauen und es, wenn gewünscht, mit gekurvten Glasfassaden und Dachterrassen auszustatten. Gerade für ältere Kinder, die sich gegebenenfalls bereits für Architektur interessieren, sind diese Baukästen sicherlich gut geeignet. Dadurch, dass sie weniger einen ästhetischen als technischen Schwerpunkt setzten, sprechen sie zudem eine ganz andere Zielgruppe an als technische Bausätze für dieselbe Altersgruppe.
Lamellen helfen beim Bauen
Den entgegengesetzten Weg geht die australische Firma „The Little Architect“, die ebenfalls ein Steckbausteinsystem anbietet, das sich aber an Kleinkinder wendet. Es besteht nur aus einer Handvoll unterschiedlicher Einzelformen. Die einzelnen Steine werden wie bei Lego mit einem Stecksystem verbunden, das hier jedoch nicht aus Noppen, sondern aus kurzen Lamellen besteht. Dadurch müssen sie nicht zwingend fugenlos aufeinandergesetzt werden, sondern es können auch Bogenformen gebaut werden. Die Steine werden auch in Großsortimenten angeboten, die von 600 bis 1200 Steinen reichen. Dabei bietet der Hersteller Sets an, die für dreidimensionales, und solche, die für zweidimensionales Bauen ausgelegt sind. Bei letzterem sollen die Spielenden Bilder aus den Steinen zusammenfügen, für die Vorlagen den Produkten beiliegen.
Aber ist im Prinzip so simples Spielzeug heutzutage noch in der Lage, Kinderherzen zu erobern? Denn das ist ja häufig der Fluch des sogenannten pädagogischen Spielzeuges: Es wird von den Adressaten kaum geliebt. Letztendlich sollte niemand erwarten, dass die Generation, die mit dem iPad groß wird, ihre Wirklichkeitsaneignung allein vermittels Fröbel-Würfeln oder einfachsten Bausteinsätzen bewerkstelligen möchte. Kinder wollen nachahmen und wollen in ihrem Spielzeug die Möglichkeit finden, ihre Lebenswirklichkeit, die Lebenswirklichkeit des Jahres 2017, nachzuspielen. Insofern sollten Eltern bei der geschmacklichen Erziehung hauptsächlich sich selbst im Blick haben. Denn ihre Kinder werden nur dann gut gestaltete Gegenstände zu schätzen wissen, wenn ihnen dies von den Eltern auch vorgelebt wird.