Hans Magnus Enzensberger kam nicht zur ISH. Und doch hat der Poet, Forscher, Herausgeber, Bellizist und Befürworter der Kernfusion, sich kürzlich in seinem viel gerühmten „Album", einem Sammelsurium von Texten und Fundstücken zu allen erdenklichen Themen und Gegenständen, auch mit dem Thema Gestaltung und Bad befasst. „Irgendwann, als sie sich noch nicht so nannten," schreibt Enzensberger in seiner bitterbösen Sentenz, „müssen Designer einem ehrenwerten Beruf nachgegangen sein, siehe Bauhaus oder, mit Einschränkungen, Ulm, Hochschule (nicht für Design, sondern) für Gestaltung. Heute handelt es sich um überbezahlte Personen, die den Ehrgeiz haben, den Wasserhahn neu zu erfinden, mit dem Resultat, ihn so teuer, unbrauchbar und hässlich wie möglich zu machen. Sie wollen uns auf keinen Fall zur Hand gehen, sie wollen sich selbst verwirklichen. Dabei sollten sie es belassen und uns mit ihren prätentiösen Machwerken verschonen."
Prätentiöse Machwerke? Sind es wirklich ausgerechnet Designer, die sich Dinge einfallen lassen, die man nicht braucht und die uns nicht zur Hand gehen? Enzensberger weiß, zumindest was die Historie angeht, wovon er spricht, denn er war 1956/57 Gastdozent an der Abteilung „Information" der Ulmer Hochschule für Gestaltung. Bei den Ulmern wäre mit Sicherheit die Broschüre „Bedarf wecken - Aufträge holen" des Verbandes der Sanitärwirtschaft für die Aktion „Fitnesstest fürs Bad" durchgefallen. „So finden Sie heraus," heißt es in einer Checkliste, die auf zehn Fragen basiert „ob Ihr Bad noch in Form ist". Appelliert wird ans schlechte Gewissen der Badbesitzer. Tatsächlich haben laut einer Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung über die Hälfte der Bundesbürger das Bad seit Bau beziehungsweise Bezug des Hauses noch nicht renoviert. Doch bevor wir alles Alte beseitigen, umbauen oder erneuern, kann die Devise nur lauten: „Studiert die Bäder!" Noch gibt es offenbar viele originale Exemplare vergangener Zeiten.
Was aber gibt es Neues? Die Armatur „Deque" fällt nicht nur wegen der asymmetrischen Form ihres Einhebelmischers auf und wegen des ungewöhnlichen Strahls aus vielen einzelnen, schmeichelnden Strahlen. Ihre minimalistische Erscheinung, gestaltet von Sieger Design, wurde in einer kontemplativen Badarchitektur von Mike Meiré in Szene gesetzt. Sie erinnert in ihrem Aufbau an Carlo Scarpas Aussenanlagen in der Fondazione Querini Stampalia in Venedig, einen kleinen, feinen Garten mit schmalen Wasserläufen und breiten Becken.
Das Dornbracht-Tochterunternehmen Alape zeigt dagegen mit „be yourself" eine künftige Anwendung eben dieser Armatur als Teil einer Waschplatzinsel. Wie ein lang gestreckter Küchenblock steht das Objekt mit integrierten Becken aus glasiertem Stahl und beweglichen Spiegeln frei im Raum und ist zugänglich von allen Seiten. Im Geist der Kooperation präsentieren einige Hersteller aufeinander abgestimmte Produkte von Designern, die ebenso für einen Beckenhersteller wie für einen Produzenten von Armaturen arbeiten. Immer mehr Hersteller versuchen allerdings alles, aus einer Hand oder zumindest unter einer Marke zu präsentieren. Was zählt, ist nicht mehr die Kompetenz des Herstellers, sondern die seiner Marke. Ein Gegenbeispiel: Die Keramikserie „Onto" von Duravit, die mit der Dornbracht-Armatur „Gentle" zusammen präsentiert wird, beide entworfen und füreinander konzipiert von Matteo Thun, spüren den Sensationen des Alltäglichen nach. Oder, wie es Andreas Dornbracht sagt: „Das Besondere bei ‚Gentle' ist gerade die Normalität ihrer Form." Wobei „Onto" konstruktiv ungewöhnlich ist, denn das Becken bildet die Basis für die nach vorn gewölbte hölzerne Konsole.
Um Wohn- und Baderäume miteinander zu verschmelzen, benötigt man möglichst bodengleiche Übergänge vom Fußboden zu den Teilbereichen, auf denen womöglich Wasser fließt, in Schaum geduscht wird - und auf denen bald wieder Trockenheit und Sauberkeit herrschen sollen. Viega bietet mit „Advantix Vario" eine stufenlos kürzbare Duschrinne, die millimetergenau an die Maße der Duschzone angepasst werden kann. Auch der Fliesenhöhe kann sie sich anpassen. Der Entwurf stammt vom Artefakt Design und wurde mit dem „Design Plus"-Preis der Messe ausgezeichnet. Bei den Maßen herrscht maßlose Vielfalt: Die schwellenlose Dusche „Conoflat" gestaltet von Sottsass Associati für Kaldewei gibt es in insgesamt 29 verschiedenen Abmessungen. Aktuellen Farbtrends entspricht der Hersteller mit neuen Grau- und Anthrazittönen sowie Ausführungen in Mattweiß, Braun und Mattschwarz.
Um die eigene Produktvielfalt übersichtlicher und klarer zu ordnen, hat sich Villeroy & Boch eine vierstufige vertikale Gliederung des Produktportfolios namens „360° Projects" ausgedacht, die vom Einstiegssegment „360° Orange" über „Blue" und „Silver" bis zu „Violet" reicht. Wie bei „O.novo Style", einer neuen Waschtischserie aus dem Segment „Orange" lassen sich die Produkte im Internet konfigurieren, wobei durch die Wahl zwischen unterschiedlichen Formen, Farben und Dekoren ein individuelles Produkt inklusive Badmöbel ausgewählt werden kann. Die Prilblume und das großflächige Ornament der siebziger Jahre kehren hier zurück.
Der Schweizer Hersteller Runtal gehört zur Zehnder-Gruppe und stellte den Heizkörper „Splash" mit einer Unterkonstruktion aus expandiertem Grafit und einer Front aus Corian vor, die Christian Ghion gestaltet hat. Der elektrische Heizköper, knapp acht Zentimeter dünn, kann aufrecht oder waagerecht an der Wand montiert werden und verbraucht 750 Watt.
Doch zurück zum Wasserhahn: Zu den etablierten Prinzipien „Knebel" - dem traditionellen Drehgriff - und „Hebel" - also dem sparsamen, weil leicht dosierbaren Einhandgriff -, dürfte künftig wohl auch das Prinzip „Taste" eine größere Rolle spielen. Wenn das Bad elektronisch wird - ob praktikabel oder nicht, scheint noch nicht ausgemacht - lässt es sich digital steuern. Wer das für sinnvoll hält, braucht zusätzlich zur Wasserleitung künftig auch den Stromanschluss an Waschbecken und Wanne. Viega bietet dazu einen digitalen Wannenzu- und -ablauf mit Temperaturwahl und Umschaltung auf Handbrause, „Multiplex Trio E" genannt. All das wird von einem Touchdisplay aus gesteuert, allerdings mit möglichst trockenen Fingern. Die Gestaltung stammt wie bei der passenden Duscharmatur „Evolution" für Jado von Artefakt Design.
Wem all die Technik zuwider ist, der findet womöglich bei der amerikanischen Kollektion Waterworks Trost, die ganz auf traditionellen Formen und Techniken basiert und neuerdings in Europa von THG Paris vertrieben wird. Oder er interessiert sich gar für die exklusiven Kollektionen des Pariser Unternehmens selbst, das regelmäßig Yachten und Luxushotels ausstattet, etwa für die Armatur „So" von Olivier Gossart mit würfelförmigen Griffen aus optischem Glas, in die die Worte „chaud" und „froid" eingelasert sind. Mit Design im Sinne einer großen Serienproduktion hat das nicht viel gemein, eher mit handwerklich perfekter Einzelfertigung. Ob Enzensberger damit glücklicher wäre?