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Im Zeichen des Maultiers: Im Showroom von Magis am Corso Garibaldi wurde Konstantin Grcic unter dem Titel "Animal Farm" in einer kleinen Ausstellung gefeiert.

SALONE DEL MOBILE 2017
Salone, kritisch betrachtet 01: Das Schwere und das Leichte

Wenn vieles virtuell wird, bekommt das Solide seine Chance, ganz gleich, ob es schwer oder leicht auftritt. Konstantin Grcic und Jasper Morrison beweisen es auf unterschiedliche Weise.
von Thomas Wagner | 10.04.2017

Der Salone del Mobile ist eine fiebrige Angelegenheit mit Ansteckungspotential. Kaum ist der Vorhang gelüftet, schon kursieren tausende von Bildern von tausenden von Möbeln. Wer es nicht sofort schafft, mit seinem Projekt Aufmerksamkeit zu erregen, der hat keine Chance, andere mit dem eigenen Fieber anzustecken. Das Nüchterne bleibt dabei nicht zwangsläufig außen vor, im Gegenteil: Im bunten Allerlei macht es nicht nur „bella figura“, es demonstriert auch den Unterschied. Freilich steht dabei niemand außerhalb der Geschichte, da machen Designer keine Ausnahme. Ihre Entwürfe, das wird leicht vergessen, sind eben nicht nur beeinflusst von Moden, aktuellen Tendenzen und eilig behaupteten Trends, sie sind auch Teil einer allgemeinen Geschichte des Gestaltens mitsamt ihren Brüchen, Wendungen und Revivals. Um das Neue entsprechend verorten zu können, muss es allerdings erst begriffen werden.

Rolf Fehlbaum, der kluge Kopf hinter Vitra, hat aus Anlass einer Ausstellung über Jean Prouvé einmal davon gesprochen, während den Entwürfen von Charles und Ray Eames eine „beschwingte Leichtigkeit“ eigne, zeichne die Arbeiten des französischen Blechspezialisten eine „beschwingte Schwere“ aus. Dass der Gegensatz in der unübersehbaren Fülle einer Messe mit mehr oder weniger ansprechenden Stühlen, Tischen und Sofas mit Gestellen aus Holz oder Kunststoff keineswegs verschwunden ist, sondern auch in Zeiten von allerlei nomadischen Phantasien seine Relevanz behauptet, offenbarten beim diesjährigen Salone auf exemplarische Weise zwei neue Produkte von Konstantin Grcic und Jasper Morrison.

Beschwingte Schwere: Sofa Brut, Magis, Design Konstantin Grcic

Konstantin Grcic hat seine „Brut“-Kollektion für Magis erweitert – das allein wäre kaum der Erwähnung wert, werden Möbel heutzutage von den Herstellern doch generell gern wie komplette Produktalphabete ausbuchstabiert. Faktisch enthält die Brut-Familie neben den im vergangenen Jahr vorgestellten Tischen und Bänken nun also auch ein Sofa mit einem Gestell aus Gusseisen; Sitz und Rückenlehne sind gepolstert und mit Stoff bezogen. Vor allem dieses neu vorgestellte „Brut“-Sofa offenbart einen gewissen Wandel im Möbeldesign, der es lohnt, genauer unter die Lupe genommen zu werden.

Wie bei den anderen Familienmitgliedern, erweist sich auch das tragende Gestell des Sofas als überaus schwer, robust und standfest. Schon auf den ersten Blick signalisiert es, was heutzutage kaum mehr vorgesehen zu sein scheint: Solidität und Langlebigkeit. Während Dinge einerseits zu ihren eigenen Bildern mutieren oder sich – neuerdings mittels klobiger Virtual-Reality-Brillen, die ihre Träger in artifizielle Welten versetzen wie Taucher auf den Meeresgrund – ganz in Datenströme auflösen, wird hier vor allem eines hervorgehoben: die materielle Realität. Schon mit seinem puren Gewicht scheint das Sofa der Tendenz zu widersprechen, alles und jeder müsse heute ständig mobil und wandelbar sein.

Konstantin Grcic erweist sich also abermals als ein „homme d’usine“, als ein Mann der Fabrik – doch keineswegs in einem nostalgischen, rückwärts gewandten Sinn des Wortes. Auch diesmal entwickelt er neue Ideen, indem er Elemente der Technik-, Design- und Kulturgeschichte aufgreift, um sie im Kontext der Gegenwart und ihrer avancierten Produktionsmöglichkeiten neu zu denken. „Ausgangspunkt für dieses Projekt“, so beschreibt es Konstantin Grcic selbst, „war ein spezieller Fertigungsprozess, die Bearbeitung von Gusseisen, ein Material mit zwei wesentlichen Eigenschaften: es ist hart und schwer. Gusseisen verhält sich sehr gut gegen Kompression und ist daher ein bevorzugtes Material im Brückenbau und, was näher zu Möbeln liegt, als Unterbau für schwere Maschinen“. Dabei sei es seine besondere Natur als „schwerer, kompromissloser Rohstoff“, die er nun in den modernen Möbelbau einbringe.

Auf das Detail kommt es an: Der Übergang vom Seitenteil zur Rückenlehne des neuen Sofas aus der Brut-Kollektion.
Die elegant geformten Seitenteile verleihen dem Sofa Filigranität.

Die Mythologie des Eisens

Grcic beschäftigt nie die Fassade einer Sache – das unterscheidet ihn von vielen seiner Mitstreiter und wird auch hier wieder deutlich. Wie schon bei seinem legendären „Chair One“ (den es jetzt in neuen Farben gibt), geht er auch bei seinem gusseisernen Sofa von den Eigenschaften des Materials aus. Dessen Schwere wird in der gleichsam im Gestell schwebenden Sitzfläche und der schlanken gepolsterten Rolle der Rückenlehne freilich sogleich dialektisch aufgehoben. Wie Prouvé denkt auch Grcic bei Brut die Konstruktion von den tragenden Elementen, vom Rückgrat aus. Die robuste Plastizität mag zunächst technisch begründet sein, im Rücken einer sich in einem Pluralismus der Formen und Farben verlierenden Post-Moderne aber führt sie zurück zu einer handfesten Moderne, die in der Mythologie des Eisens innig mit einer Imagination der Arbeit verknüpft bleibt. Und weil Grcic nicht nur in den unterschiedlichen Farben der Polster, sondern auch in den präzise ausgeformten Details der Seitenteile, der Armlehnen und der Anbindung der Rückenlehne der Massivität schwungvoll begegnet, indem er plane Flächen vermeidet, steht der Name „Brut“ nicht nur für die Solidität einer erarbeiteten Materie. So kommt es, und Grcic selbst weiß das, dass das Ganze eben auch „gleichzeitig an die Anmut perlender Weine“ erinnert.

Während Ronan und Erwan Bouroullec in ihrer, bei Magis aktuell ebenfalls erweiterten, „Officina“-Kollektion aus geschmiedetem Eisen stärker das Moment des Handwerklichen hervorheben, setzt Grcic mal wieder konsequent auf eine industrielle Ästhetik, deren Wandel er ebenso mitvollzieht wie er ihn heiter und beschwingt erduldet.

Durchdacht und leicht: Der Rahmen des "1-inch" Chairs von Jasper Morrison am Messestand von Emeco.

Beschwingte Leichtigkeit: „1-inch“, Emeco, Design Jasper Morrison

Dass Design nie eine bloße Form-Sache war, ist nicht mehr als eine Trivialität. Während Konstantin Grcic sich an die Eisenkonstruktionen hält, verfolgt Jasper Morrison einen ganz anderen, wenn auch im Ergebnis nicht weniger konsequenten Ansatz. Dabei bedient er sich eines nicht weniger magischen Materials der Industriegeschichte: des Aluminiums. Gemeinsam mit dem amerikanischen Aluminiumspezialisten Emeco hat er eine „1-inch Kollektion“ vorgestellt, die recyceltes Aluminium nutzt, um daraus eine Familie von Sitzmöbeln zu fertigen, die einen Stuhl mit und ohne Armlehnen, Hocker in drei unterschiedlichen Höhen, sowie Café- und Bar-Tische umfasst.

Auch Morrison lotet bewusst Grenzen aus. Er wählte ein 1 Zoll messendes, quadratisch extrudiertes Aluminiumrohr, das bei der geringsten Menge an Material eine maximale Festigkeit erzielt – was, so wird berichtet, die Handwerker bei Emeco bei der Rahmenkonstruktion vor einige Herausforderungen stellte. Herausgekommen ist ein in jeder Hinsicht konsequent durchdachter und ansprechend schlank gestalteter Stuhl, dessen Materialität ebenfalls Nachhaltigkeit und Solidität, im Unterschied zu Brut aber nicht Schwere, sondern Leichtigkeit signalisiert.

Familienbande: Zur "1-inch" Kollektion von Jasper Morrison gehören auch drei Hocker in unterschiedlichen Höhen.

Die Magie des Aluminiums

Wer die rohen „1-inch”-Rahmen am Stand von Emeco in die Höhe gehoben hat, begreift unmittelbar deren Qualität. Nicht nur beim Gestell kommen recycelte und umweltfreundliche Materialien zum Einsatz: Sitze und Rückenlehnen bestehen entweder aus einem recycelten Polypropylen-Holz-Gemisch (angeboten in 7 Farben), oder, in den Sperrholz-Versionen, aus Esche- und Walnuss-Holz, das aus nachhaltigen Wäldern in Nordamerika stammt. Zusätzlich sind gepolsterte Versionen in Stoff und Leder erhältlich.

Jasper Morrison weiß freilich nicht nur Materialien und Prozesse zu beherrschen. Er versteht es auch wie kaum ein zweiter, die Komplexität einer Konstruktion gestalterisch in eine fast spektakulär zu nennende Einfachheit zu überführen, die sich ästhetisch nicht rasch verbraucht. Was in seinen eigenen Worten so klingt: „Die Gestaltung eines Stuhls schien grundlegend genug und wir hatten nicht viel Mühe, ihn zu entwickeln, aber wir unterschätzten die Komplikation des Biegens von quadratischem Aluminiumrohr in mehr als einer Ebene gleichzeitig. Es kostete Emeco mehrere Monate des Experimentierens und unzählige Revisionen der Zeichnungen, bevor wir den richtigen Weg gefunden hatten. Es ist wahrscheinlich einer der kompliziertesten Stühle, die ich entworfen habe, obwohl er nicht so aussieht.“

Ob schwer oder leicht – die Entwürfe von Grcic und Morrison signalisieren nicht nur Solidität und Langlebigkeit, sie aktualisieren auch das Ethos des materialgerechten Gestaltens, das fast schon vergessen zu sein schien.

Was den Gegensatz zwischen einer „beschwingten Schwere“ und einer „beschwingten Leichtigkeit“ angeht, so tritt dieser bei anderen in Mailand vorgestellten Entwürfen zwar nicht annähernd so deutlich in Erscheinung, eine wenn auch zögerliche Rückkehr zu optisch leichter wirkenden Möbeln ist gleichwohl hier und da zu bemerken. Etwa beim ebenfalls neuen Programm „Arcos“, das Lievore Altherr für Arper entwickelt haben und bei dem ebenfalls Anklänge an transformierte historische Vorbilder sichtbar werden (man schaue sich, bei allen konstruktiven Unterschieden, den aus den Beinen kommenden Schwung des Brno-Stuhls Mies van der Rohes von 1930/31 an). Weitere Spielarten kommen – was kaum überraschen kann – aus Japan, wo Naoto Fukasawa und abermals Jasper Morrison für Maruni eine ganz andere, etwas konventionellere Form beschwingter Leichtigkeit erproben.

Wirkt auf eine andere Art leicht: Das Programm "Arcos " von Lievore Altherr für Arper
Massive Handwerklichkeit: Das erweiterte "Officina"-Programm der Gebrüder Bouroullec am Messestand von Magis.

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