Dr. Paul Friedli
05.10.2014
In den letzten 100 Jahren haben Aufzüge die Entwicklung unserer Städte maßgeblich mitbestimmt. Anders gesagt: Ohne Aufzüge wären die Gebäude heute längst nicht so hoch und die Städte nicht so konzentriert, wie sie es heute sind. Intelligente Steuerungssysteme sorgen für einen äußerst effizienten Transport der Fahrgäste. Einer der führenden Köpfe hinter diesen intelligenten Systemen ist Dr. Paul Friedli, Innovationsbeauftragter der Schindler AG und Mitglied des Berliner Teams beim Audi Urban Future Award 2014. Im Interview erzählt Friedli, wie sich Mobilitätslösungen aus Wolkenkratzern auf den Straßenverkehr übertragen lassen.
Martin Lewicki: Wieso scheint es so schwer, Mobilitätsprobleme zu lösen?
Paul Friedli: In mittelalterlichen Städten konnte man mit dem Pferd und zu Fuß alles leicht erreichen. Heute sind die Distanzen zwischen Arbeitsplatz und Wohnung zu groß und im Moment sorgt die ungebremste Zunahme des Verkehrs für ein Kapazitätsproblem auf der Straße. Ähnlich ist es bei traditionellen Aufzügen, die nur mit Richtungsknöpfen funktionieren. Ab einer bestimmten Sättigung können Passagiere auf manchen Etagen gar nicht mehr einsteigen, weil der Aufzug immer voll ist, wenn er dort hält. Trotzdem bleibt er auf den einzelnen Stockwerken stehen, nur um festzustellen, dass niemand mehr einsteigen kann. Das ganze System wird ausgebremst, die Transportleistung wird auf zehn bis 20 Prozent reduziert.
Wie wollen Sie dafür sorgen, dass der Verkehr in unseren Städten wieder in Schwung kommt?
Friedli: Eine echte Verbesserung der Mobilität in Städten ist letztlich nur möglich, wenn wir die Ziele der Verkehrsteilnehmer kennen. Wir können unsere Aufzugsysteme sehr weit optimieren, weil wir frühzeitig wissen, wo die Insassen hin wollen und sie entsprechend in Gruppen einteilen können. Diese Technologie könnte man auch auf den horizontalen Verkehr übertragen, was deutlich einfacher wird, wenn es endlich selbstgesteuerte Autos gibt. Denn die reagieren viel schneller auf neue Informationen, als wir Menschen es können. Auf die Art könnten wir die bestehende Infrastruktur effizienter nutzen und viel Zeit sparen. Zeit, die wir im Verkehr verlieren, ist Lebenszeit – und die ist aus meiner Sicht extrem wertvoll.
Die Lösung vieler Mobilitätsprobleme wäre autonomes Fahren?
Friedli: Das selbstfahrende Auto ist wahrscheinlich eine Übergangslösung, aber die ist überfällig und muss schnell kommen. Die Technologie ist da, das Problem ist der urbane Aspekt: unsere Städte sind nicht nach den Bedürfnissen der Menschen gebaut. In großen Gebäuden muss man, um in ein anderes Gebäude zu gelangen, erst wieder nach ganz unten fahren. Daneben steht dann der nächste Wolkenkratzer. Das ist weder schön noch sinnvoll. Die anderen Häuser blockieren das Sonnenlicht und die Wege werden immer länger. Wieso sind die Gebäude nicht weiter oben miteinander verbunden? Weil jeder Bauherr auf seiner Fläche das Maximale rausholen will. Ähnlich ist es auf der Straße. Erst wenn die Städte und die Automobilindustrie näher zusammenrücken, lassen sich große Lösungen finden. Wieso sollten Autos in Zukunft nicht beispielsweise unterirdisch in einem geschützten Bereich fahren?
Was wären jetzt die nächsten Schritte?
Friedli: Innovation kann man nicht befehlen, man muss eine Umgebung schaffen, die Innovation ermöglicht. Wir brauchen endlich eine echte Teststrecke für pilotierte Fahrzeuge – das Projekt zur Anbindung der geplanten Urban Tech Republic könnte so ein innovatives Areal für selbstfahrende Autos werden. Sobald wir beweisen können, dass pilotiertes Fahren so sicher ist wie die Fahrt mit einem Fahrstuhl, werden die Menschen das auch unterstützen.
Sie erforschen seit Jahren das Verhalten von Menschen in Bewegung. Was hat Sie dabei am meisten überrascht?
Friedli: Wenn mir jemand oder etwas entgegen kommt, möchte ich ausweichen. Diese „Tension“-Regel ist eigentlich bei fast allen Menschenströmen anwendbar – außer bei Aufzügen. Eine Gruppe will in den Aufzug rein, die andere möchte raus. In der Realität haben wir beobachtet, dass besonders große Menschen, die einen Überblick über die Masse haben, Strategien entwickeln, um anderen auszuweichen und den Weg aus dem Aufzug zu finden. Kleinere Menschen suchen eher nach Löchern und bewegen sich darauf zu – das sind ganz unterschiedliche Handlungsweisen. Um einzuschätzen, wie sich Menschen bewegen, mussten wir also ein Modell entwickeln, das sich am Sichtbereich der involvierten Menschen orientiert.
Wäre ein solches Modell auch auf den Straßenverkehr anwendbar?
Friedli: Für den Verkehr müsste man eigentlich etwas Ähnliches machen, um empirischer an das Thema herangehen zu können. Die meisten Staus werden ja am Ende durch menschliches Verhalten ausgelöst. Viele Verkehrsprobleme würden dank selbstfahrender Autos nicht mehr existieren. Aber schon wenn Autos wirklich miteinander kommunizieren könnten, gäbe es einen großen Sprung nach vorne.