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Orangefarbene Streifen am unteren Ende der Karosserie und ein grasgrün lackiertes Dach sorgen für gute Laune: Der „üstra“ Bus in Hannover wurde von James Irvine gestaltet. Foto © Santi Caleca
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vor Thomas Wagner
09.10.2015

Erstens: Eine eigene Stimme – James Irvine

Nicht jeder, der in Hannover Bus fährt, kennt seinen Namen, sollte es aber: James Irvine. Schließlich hat der britische Designer 1999 für die „üstra“, Hannovers Verkehrsbetriebe, einen ganz besonderen Bus gestaltet. Das heißt, er hat die wuchtigen, silberfarbenen Gefährte von Mercedes-Benz, die seit der Expo 2000 in der Stadt ihre Runden drehen, gehörig umgekrempelt. Orangefarbene Streifen am unteren Ende der Karosserie und ein im Grasgrün der üstra lackiertes Dach sorgen schon von außen für gute Laune, langgestreckte Fenster- und Türausschnitte, die in Kreissegmenten ausklingen, lassen die Kastenform der Busse fließender, organischer und eleganter erscheinen.

Überhaupt hat dieser freundliche Englishman in Milan die internationale Designszene in vielerlei Hinsicht bereichert. Gleich nach dem Studium arbeitete er zusammen mit Ettore Sottsass und Michele De Lucchi für Olivetti, und ging dann nach Tokio, wo er am Toshiba Design Center im Bereich Industriedesign forschte. Nach seiner Rückkehr gründete er 1988 in Mailand sein eigenes Studio. Parallel war er zudem von 1993 bis 1997 bei Sottsass Associati Milan für die industrial design group verantwortlich.

James Irvine ist, viel zu früh, im Jahr 2013 verstorben. Jetzt hat Phaidon ihm und seinem Schaffen – herausgegeben von Francesca Picchi und Irvines Witwe Marialaura Rossiello Irvine – eine umfassende Monografie gewidmet. Darin finden sich nicht nur wunderbar erhellende und oft im Zeichen der Freundschaft verfasste Texte von Deyan Sudjic, Jasper Morrison, Francesca Picchi und Alberto Meda, sondern auch Interviews mit Michele De Lucchi, George Sowden, Giulio Cappellini, Stefano Giovannoni, Konstantin Grcic, Marc Newson, Naoto Fukasawa und Thomas Sandell.

Neben seinen seltsamen Maschinenobjekten im Geiste von Memphis, neben Telefonen, Füllhaltern, Vasen, einer Geflügelschere, Teppichen, Stühlen, Sofas, Tischen, Kleiderständern und Messeständen sowie vielen anderen Projekten für namhafte Hersteller – stößt man auch auf verblüffende Zeichnungen. Manchmal handelt es sich einfach um Entwürfe, gelegentlich hat Irvine aber auch kolorierte Diagramme und Schaubilder entworfen, die bisweilen an Öyvind Fahlströms Versuche erinnern, der Komplexität der Welt mittels künstlerischer Kartografie auf die Schliche zu kommen.

Vom März 2008 stammt beispielsweise die Darstellung eines „Utopian Design Antibody“ – eines utopischen Design-Antikörpers, also einer eher aggressiv agierenden Zelle, die entsprechend ernst dreinblickt. Empfänglich ist sie offenbar für Eigenschaften wie „Geiz“ und „Materialismus“, „Egoismus“ sowie „Fanatismus“, und greift „Gesundheit“, „Freiheit“, „Qualität“ und „Humor“ an. Auch Irvines „Citizen Office Diagram“ von 1993 gehört in diese Reihe, ein Blatt, das sowohl einen Organismus als auch ein Terrain beschreibt. Ein Blatt von 2007 macht uns auch mit dem „Design Dance“ bekannt, einer wahrlich nicht einfach zu beherrschenden Kunst. James Irvine wusste genau, wie man Design zum Tanzen bringt.

James Irvine
Ed. Francesca Picchi u. Marialaura Rossiello Irvine
240 S., 600 Farbabb., geb., Texte engl.,
Phaidon, Berlin 2015
69,95 Euro
www.phaidon.com

Zweitens: Ein Buch voller Dinge – Jasper Morrison

Wer es nicht geschafft hat, die Retrospektive zu besuchen, die Jasper Morrison im Grand-Hornu unweit der europäischen Kulturhauptstadt Mons ausgerichtet hat, der kann sich mit dem Band „A Book of Things“ etwas Trost verschaffen und so auch seine bewusste Auffassung von Design kennenlernen.

Aufsätze, die sein Schaffen skizzieren, gibt es keine. Stattdessen beschreibt Morrison selbst präzise und erhellend seine einzelnen Projekte, erklärt, wie sie begonnen haben, wer daran beteiligt war und was ihn dabei umgetrieben hat. Er geht auf seine Motivation ein, denkt über Materialien nach und spart auch die Schwierigkeiten nicht aus, mit denen er sich konfrontiert sah. Morrison versteht es nicht nur, Dinge einfach zu machen, sie auf den Punkt zu bringen. Stets erweist er sich auch als kluger Analytiker und geschichtsbewusster Beobachter, der nach Lösungen sucht, die sich im alltäglichen Umgang mit den Dingen erst bewähren müssen.

Hinzu kommen programmatische Einlassungen wie „The Unimportance of Form“ von 1991 und Projekte wie „Super Normal“ von 2006, jene erhellende, zusammen mit Naoto Fukasawa realisierte Hommage an das anonyme Design. Fast überflüssig zu erwähnen, dass Jasper Morrisons Entwürfe natürlich auch in den Bildern des Bandes überzeugend schlicht präsentiert werden – mal freigestellt, mal im Kontext, hier und da ergänzt von Skizzen und technischen Zeichnungen. Wer Jasper Morrison und seine Art des Gestaltens nicht nur oberflächlich kennenlernen, sondern darüber hinaus verstehen will, der sollte sich „A Book of Things“ nicht entgehen lassen.

Jasper Morrison
A Book of Things
312 S., geb., Text englisch,
Lars Müller Publishers, Zürich 2015
59,00 Euro
www.lars-mueller-publishers.com

Der siebenjährige James Irvine mit einem selbstgefertigten Roboter-Kostüm. Foto © Alan Irvine
James Irvines „Utopian Design Antibody“. Foto © Studio Irvine
James Irvine hat „Juno“ im Jahr 2012 gestaltet. Foto © Santi Caleca Santi Caleca
Organismus oder Terrain? „Citizen Office Diagram“ von Irvine, 1993. Foto © Studio Irvine
Was für eine Affenküche: „Utensil Family“ von Jasper Morrison aus dem Jahr 2001 für Alessi. Foto © Lars Müller Publishers
Erst „The Drinking Man’s Chair“, dann „The Thinking Man’s Smoke“, schließlich „The Thinking Man’s Chair“ von Jasper Morrison aus dem Jahr 1986. Foto © Lars Müller Publishers
Der Mond ist aufgegangen: „Glo-ball“ von Jasper Morrison, 1998, für Flos. Foto © Lars Müller Publishers