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Verbrechen im Schutz der Sicherheitsarchitektur

Nicht nur ästhetisch führen Grenzzäune und Mauern in die Katastrophe.
von Jochen Stöckmann | 08.05.2017

Zugbrücken, Wassergraben, Turmzinnen und Schilderhäuschen – diese Wehrbauten führten beim Spiel mit Ritterburgen archetypisch vor Augen, was „Sicherheitsarchitektur“ ist. Heute, in Zeiten von Cyberattacken und Firewalls, denkt kaum noch jemand an physische Schranken und Sperren. Aber ein Blick auf Spanische Reiter und Tschechenigel, Hamburger Gitter oder Lübecker Hütchen wäre lohnend. Nämlich für die Kulturgeschichte eines sehr speziellen Designs, das die jeweils aktuelle „Bedrohungslage“ anzeigt – und als Indikator dienen kann für Mentalität und sozialpsychologische Verfasstheit einer Gesellschaft.

Hut und Reiter

Da wäre zum einen die „zivile“ Nutzung ursprünglich militärischer Erfindungen. „Spanische Reiter“, mit spitzen Pfählen bestückte Querbalken, sollten Kavallerie  wie auch Fußvolk abhalten. Sehr viel massiver ausgeführt waren diese Sperren als „Tschechenigel“ auch Kampfpanzern gewachsen. Die Polizei der Weimarer Republik griff auf das Konstruktionsprinzip für Stacheldrahtverhaue zurück, als die politischen Demonstrationen in gewalttätige Straßenschlachten ausarteten. So signalisierte, was im Ersten Weltkrieg zwischen den Schützengräben errichtet wurde, Ende der zwanziger Jahre mitten in deutschen Städten bürgerkriegsähnliche Zustände.

Zum anderen taucht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein ganz und gar unmilitärisches Ordnungselement auf, das 1952 erfundene „Lübecker Hütchen“. Die rot-weißen Leitkegel aus Gummi können als Kennzeichen eines saturierten, Experimenten und politischen Extremen abholden Wirtschaftswunderlandes gelten. Ihre Wirkung beruht auf reiner Symbolik. Wer ernsthaft wollte, könnte die leichtgewichtigen Polizisten-Platzhalter ohne weiteres aus dem Weg räumen. Aber deutsche Autofahrer, Kavaliere der Landstraße, wagten sie nicht einmal zu touchieren. In Frankreich dagegen wurden zur gleichen Zeit in Melvilles Filmkrimis für Straßensperren Nagelgurte über den Asphalt gespannt, um dem Stoppzeichen der Polizisten Nachdruck zu verleihen.

Aber auch die Autorität des deutschen Schutzmannes muss irgendwann in Verfall geraten sein. Und so verrichten bis heute ganze Divisionen mausgrauer Betonsäulen ihren Ordnungsdienst, als „stumme Polizisten“ für alle Zeiten solide im Erdreich verankert: die Poller. Nur die Edelstahl-Version ist flexibel, lässt sich mit rot blinkender Oberkante bei Bedarf ausfahren. Mit Standardtypen wie dem verzierten Gusspoller, Rohrpfosten mit weißer Beschichtung oder Kugelkopfpollern wurde nach 1989 der riesige Nachholbedarf der ehemaligen DDR gedeckt. Den Kurfürstendamm dagegen hat der Westen mit einem Edelmodell abgepollert, nur zur Zierde: „Urbi-City“ hatte keine Bewährungsprobe zu bestehen, auf der Einkaufsmeile musste niemand ernsthaft „gegängelt“, vom eigensinnigen Weg abgebracht werden. 

Ein Gitter aus Hamburg

Das Abdrängen von Massen, wie sie einst die Tuilerien oder den Winterpalast gestürmt haben – dieser harte Praxistest blieb 1968 dem „Hamburger Gitter“ vorbehalten. Wie das Hütchen rot-weiß gestreift, besteht der wenig abschreckend wirkende Zaun aus locker ineinandergesteckten Segmenten. Die aber werden bei steigendem Andrang immer stabiler. Denn wie bei der rechtwinklig abgeknickten Buchstütze sorgt eine „Auftrittplatte“ dafür, dass jeder zusätzliche Demonstrant vor der Polizeisperre dem Gitter noch mehr Gewicht verleiht.

Wer dieses physikalische Gesetz, beziehungsweise das Hamburger Gitter aushebeln will, muss in der Kunst abrupter Richtungswechsel geübt sein. So, als subversive Gebrauchsanleitung, ließe sich Olaf Metzels „Randale-Denkmal“ lesen: der Künstler hat rot-weiße Gitter kreuz und quer übereinander getürmt, in alle Himmelsrichtungen.

Gen Osten war Metzels Skulptur im Entstehungsjahr, 1987, ein letzter Fingerzeig: Wäre es dem SED-Regime tatsächlich darum gegangen, dem Zug in die Freiheit, der Massenabwanderung gen Westen Einhalt zu gebieten – ein Zaun nach Art der Hamburger Gitter hätte vollauf gereicht. Aber für Ulbricht musste es etwas Massives sein: ein „antifaschistischer Schutzwall“, durch den am Ende Mauerspechte ihre Löcher pickten. Und zwar von der „falschen“, der DDR-Seite her.

Die gläserne Mauer

Über diese Dialektik von Sperranlagen, ob nun Mauer oder Zaun, hätte der Betonkopf Ulbricht vom Militär, dem israelischen nämlich, lernen können. In einem Dokumentarfilm von Avi Mograbi betont der Sicherheitsoffizier einer Siedlung im Palästinensergebiet: „Zäune signalisieren Angst – das spüren die Araber. Wenn sie unsere Angst spüren, werden sie angreifen.“ Seit langem schon setzen die Siedler auf visuelle Überwachung, bei der ein materieller Schutz von Zaun und Mauer nur ein Sichthindernis wäre: Ein breiter Streifen wird extrem hell ausgeleuchtet, während die zur Wagenburg gruppierten Häuser im Dunkeln bleiben. Potentielle Attentäter können sich weder unbemerkt nähern noch erkennen, wo genau sie ein lohnendes Ziel finden.

Videre sine videri – das militärische Prinzip vom Sehen, ohne selbst gesehen zu werden prägt den zivilen Alltag, das Leben in den Städten: Die Schilderhäuschen, auffällig gestreift in den Landesfarben, sind verschwunden. Behörden und Kasernen werden nicht mehr durch Posten geschützt, die sich – und die staatliche Autorität – mit militärischem Gruß „präsentieren“. Effektiver ist eine  von außen nicht einsehbare Wache, die mit der Waffe im Anschlag hinter dem Eingangstor steht oder den Sichtschutz einer Spiegelfassade zu ihrem Vorteil nutzt.

Auch das Glas hat mit der modernen Sicherheitsarchitektur seine Unschuld verloren, beziehungsweise den Mythos der „Transparenz“. Mit Wänden aus schusssicherem Glas wird der Pariser Eiffelturm gegen Terroranschläge gesichert. „Effektiv und ästhetisch ansprechend“, wie Jean-François Martins betont. Was der Baustadtrat dabei übersieht: Mit weit ausgreifenden Bögen zwischen den Stützen, mit Wendeltreppen und aufstrebenden Pfeilern hatte der Eiffelturm in zuvor nie gekanntem Maße Innen- und Außenraum verbunden – mit einer Stahlkonstruktion. Und ausgerechnet dieser transparente, öffentliche Raum wird  jetzt durch Glas geschützt, abgesperrt. Immerhin sind an den schmalen Stirnseiten gusseiserne Gitter im Original-Dekor vorgesehen, als historische Reminiszenz. Und weil dort ohnehin Kameras und Kontrolleure die andrängenden Besucher überwachen.

Betonsperren in „Donaldland“

Mit dem gläsernen Zaun scheint das Alte Europa immerhin die Lehre zu ziehen aus den Erfahrungen der USA nach den Terroranschlägen vom 11. September. Über Nacht wuchsen in den Metropolen klobige Betonbarrieren und scharfkantige Metallzäune aus dem Boden. Der Architekt Daniel Libeskind mahnte: „Wer derartig brutal auf brutale Anschläge reagiert, der verschärft nur das Gefühl der Angst.“ New Yorks City’s Art Commission sah sich genötigt, Richtlinien herauszugeben für das Design von Sicherheitseinrichtungen. Tenor: „Using Art and Design to Improve Security.“

Kunst und Design müssen also heilen, was die Jersey Barrier angerichtet hatte. Die massenhaft produzierte Betonbarriere mit Y-Profil diente ursprünglich als Verkehrsabweiser und -teiler an einer Mautstelle bei New Jersey, daher der Name. Jahre vor 9/11, als ein noch nicht in Amt und Würden aufgestiegener Spekulant seinen „Trump Circle“ vom Rest der Immobilien-Welt abgrenzen ließ, stachen der Architekturkritikerin Ada Louise Huxtable die Jersey Barriers  unangenehm ins Auge: Mit dem „abscheulichsten Instrument das menschliche Ingenieurskunst je ersonnen hat“ sei dieses „Donaldland“ gespickt.

Auch in Washington, wo Donald Trump mittlerweile die Geschäfte führt, sind die Betonbarrieren ubiquitär. Mal als Sitzbänke verkleidet wie vor dem Smithsonian Institute. Dann martialisch nackt vorm Weißen Haus, wo Jersey Barriers „den Präsidenten schützen – und die Stadt, den öffentlichen Raum morden“, wie Blair Kamin oder John Parkinson in ihren Studien „Terror and Wonder – Architecture in a Tumultuous Age“ oder „Democracy and Public Space: The Physical Sites of Democratic Performance“ konstatieren. Vor allem aber sind die ebenso plumpen wie auffälligen Sicherheits-Möblierungen Einladungen für Attentäter zum Angriff auf lohnende Ziele. Als Hinweise auf Orte der Macht stehen sie still und stumm – und wirken umso provozierender.

Ein humorloses Sperrwerk

Womöglich um der gängigen Sicherheitsarchitektur diese Schärfe, die unangenehmen Kanten zu nehmen, veranstaltete die New York Times 2006 eine Art Gesellschaftsspiel. Unter George W. Bush hatte der Kongress den Ausbau der Grenzanlagen zu Mexiko beschlossen, dieser „Mauer“ sollten Künstler und Architekten eine Alternative entgegensetzen. Von Eric Owen Moss Architects kam der Vorschlag, einen dichten Wald gläserner Säulen zu errichten: transparent, aber undurchdringlich. Ana Teresa Fernández hätte den Grenzzaun gerne angemalt, azurblau vom Himmel bis ans Ufer. Auch umweltgerechte Varianten mit einem Kakteengürtel oder dem von mexikanischen Leiharbeiter aufgeschütteten und festgestampften Erdwall waren im – nicht immer ernst gemeinten – Gespräch.

So begab sich 2006 erst einmal als Farce, was jetzt als Tragödie folgt: Auf die ersten Teilausschreibungen für Donald Trumps Mauer-Projekt legten Bauunternehmen konkrete Planungen vor: Der Grenzwall mit Solar-Paneele, tiergerecht mit Schlupflöchern für Hase und Igel oder als Fundament für die eingleisige Monorail-Eisenbahnstrecke. Das ökologische Ornament als moralisches Verbrechen. Und davor schützt uns keine Sicherheitsarchitektur.