In Jacques Tatis 1958 entstandenem Filmklassiker Mon Oncle gibt es eine legendäre Sitzmöbel-Szene. Die Dame des Hauses führt die Nachbarin durch ihr modernes Heim und bleibt vor einer kargen Komposition aus Drahtstühlen stehen. „Das ist unsere Sitzecke", sagt sie stolz, und der Zuschauer amüsiert sich. Denn mal ehrlich: Drahtmöbel sind anstrengende Zeitgenossen, haben sie doch unweigerlich den gefürchteten Rollbrateneffekt auf das Gesäß des Sitzenden. Aber auch das Sofa der Madame Hulot wirkt nicht eben einladend. „Öh!" entfährt es der Nachbarin erschreckt, als sie sich probeweise auf der quietschgrünen, dürftig gepolsterten Bank mit dem Charme eines Stufenbarrens niederlässt.
Nun feiert das leichte, moderne Sitzmobiliar à la Mon Oncle offenbar ein Comeback. Angesichts der magenta- bis lilafarbenen modularen Objekte, die in letzter Zeit auf den Markt kamen, dachte man zunächst noch, das Achtzigerjahre-Revival in Mode und Musik sei mit etwas Zeitverzögerung auch ins Produktdesign hinübergeschwappt. Inzwischen scheint es aber mindestens ebenso sehr um ein Fünfzigerjahre-Revival zu gehen. Der Geist der Moderne ist zurück. „So schlank wie möglich und nie in der Mitte", hat Arne Jacobsen ihn einmal prägnant zusammengefasst. Während der zweite Teil dieser Charakterisierung wohl eher auf Architektur zutrifft, gilt der erste auch für Möbel.
Und so warten jetzt alle Hersteller, die Rang und Namen haben - von Vitra bis Moroso, von Porro bis Pastoe und von Molteni bis Viccarbe - mit leichtfüßigen Sesseln für Bar, Lobby und Wohnzimmer auf. Angefangen hat es eigentlich schon 2002, als Cappellini die „Outline"-Serie von Jean-Marie Massaud auf den Markt brachte. „Ich brauche eine biomorphe Form, die an ein Nest erinnert, denn das finde ich behaglich, und ich brauche Weichheit an den Stellen, auf denen mein Gewicht lastet, aber nicht überall", erklärte Massaud einmal seine Entwurfsstrategie, um dann hinzuzufügen: „Außerdem möchte ich, dass das Möbel ein Symbol für Leichtheit ist, denn sich leicht zu fühlen ist angenehm." Sitzmöbel auf der Suche nach Schwerelosigkeit - klingt fast wie der Titel eines Science-Fiction-Films.
Was jetzt allerdings nicht mehr so angesagt scheint, ist die spacige Form der Sitzschale von „Outline". Der Trend geht zu einer zurückhaltenderen Formensprache und vor allem zum niedrigen Sitzen, wie Eames' „Lounge Chair Wood" und „Lounge Chair Metal" es vormachten. Da wäre zum Beispiel Eric Degenhardts neuer „Velas"-Sessel für Wilkhahn, der als informelles Möbel für Lobbies und Foyers gedacht ist. Oder auch der „Slow Chair" der Bouroullecs für Vitra, der durch seine Netzbespannung, aber auch durch seine robuste Form viel weniger businessmäßig aussieht. Patricia Urquiolas „Tropicalia"-Kollektion für Moroso erinnert an die geflochtenen Flagleinenstühle von Hans J. Wegner sowie den Spaghettistuhl von Altorfer aus dem Jahr 1949. Ein weiteres prominentes Beispiel für den Trend ist Ben van Berkels „MyChair", produziert von Walter Knoll. Mit seiner Zweifarbigkeit und schmetterlingsförmigen Seitenansicht ist er formal vergleichsweise komplex und von vorne betrachtet auch recht breithüftig. Aber zum wuchtigen „Circle"-Sofa, das van Berkel vorher für Walter Knoll entwarf, verhält er sich fast wie ein Tati-Drahtsessel zur Gelsenkirchener-Barock-Schrankwand.
In jedem Fall sitzen er und der Großteil seiner niedrigen, unaufgeregten Kollegen sich überraschend angenehm. Und genau in dieser paradoxen Kombination aus größtmöglicher optischer Leichtigkeit mit größtmöglicher Bequemlichkeit liegt ihre Faszination. Eins steht jedoch fest: Herumgelümmelt, wie auf den ausladenden Loungesofas der neunziger Jahre, wird jetzt nicht mehr. Durch Bar und Wohnzimmer bläst ein merklich frischerer Zeitgeist. Fehlt nur noch das Wirtschaftswunder.