Schwule Architekten – schwule Architektur?
Da sind zum Beispiel Fritz Schumacher und Gustav Oelsner, die prägenden Gestalter des Stadtbildes von Hamburg und Altona, wie wir es kennen. Die beiden verband nicht nur die Vorliebe für Backstein, sondern auch die für Männer. Schumacher half Oelsner, dem Naziregime zu entkommen, das ihn auch wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgte. Eine andere Ikone ist Helmut Hentrich, der Schöpfer des Düsseldorfer Dreischeibenhochhauses, eines der wichtigsten Bauwerke der Nachkriegsmoderne. Er entfloh der homofeindlichen Atmosphäre der Adenauerzeit auf sein von ihm selbst entworfenes Schloss im liberaleren Holland. Im internationalen Kontext ist der Umgang mit dem Thema selbstverständlicher: Philipp Johnson´s Homosexualität wird schon lange in fast jeder Biographie erwähnt und ist in diesem Band deshalb nur eine Notiz im Vorwort. In eigenen Kapiteln wird beispielsweiese das "Geheimnis des Architekten" Paul Rudolph und die Geschichten "Jagd auf schwule Hochschullehrer" und "Der Architekt im Playboy" über Charles Moore erzählt.
Aber ist die sexuelle Orientierung von Architekten für ihre architektonische Sprache eigentlich relevant, gibt es schwule Architektur? Auch dieser Frage versuchen sich die Autoren zu nähern: Es ist auffallend, dass viele der vorgestellten Gebäude durch die Dimension des Versteckens geprägt scheinen. Genauso wie ihre Schöpfer sich verbergen mussten und ihr Begehren nicht öffentlich zeigen konnten. Die Gebäude, die sie für sich selbst oder ihre Bauherren bauten, wurden an abgelegenen Orten unter großen Herausforderungen errichtet, was die Erschließung, Ausrichtung und Einblicke anbelangt. Es entstanden Grundrisse, die wie dafür gemacht waren, die intimen Beziehungen ihrer Bewohner zu maskieren. Raymond Mc Grath entwarf beispielsweise Räume, in denen die Betten in Nischen geschoben werden konnten, um das gemeinsame Schlafzimmer zu vertuschen. William Alexander schuf eine Enfilade von Schlafräumen für eine "ménage a trois". Raffiniert ist auch der Schnitt des New Yorker Penthouses von Paul Rudolph, welcher Durchblicke durch gläserne Waschbecken und Poolböden in die privateren Räume zulässt. Besuchende konnten zwar nicht den Raumplan durchschauen, aber ahnen, dass es eine andere, verborgene Seite gab – nicht nur des Apartments, sondern auch im Leben seines Besitzers. Das ausschweifende Leben von Arthur Erikson mit seinem Lebenspartner Franciso Kripacz, die Architektur und Interior Design der Häuser der nordamerikanischen High Society beeinflussten, wenn nicht gar prägten, lassen Referenzen erahnen zur Queer Gothik eines Horace Walpole im 18. Jahrhundert. Opulente Szenarien oder konsequenter Minimalismus, manchmal auch ein Faible für üppige Dekoration oder die Konzentration auf wertigste Materialien führen zu lebendigen und anregenden Innenräumen und Fassaden. Sie zeugen von der überbordenden Kreativität und dem starken Ausdruckswillen seiner Schöpfer wie als Sublimation dafür, dass sie so viel ihres privaten Lebens verstecken mussten.
So verdienstvoll die eindrucksvolle Spurensuche der beiden Autoren ist: Leider endet das Buch mit dem Ende des 20 Jahrhundert, ohne auch nur Ausblicke auf die zeitgenössischen Entwicklungen zu geben. Zu wünschen wäre ein Folgeband, der die spannende Geschichte queerer Architekten und Architektinnen und ihrer Werke weitererzählt. Auch wenn sich die Autoren bemühen, ist der Band so Männer-lastig wie die Architekturgeschichte. Immerhin wird die erste Architektin Deutschlands porträtiert. Emilie Winkelmann war eine lesbisch lebende Frau, die an der TH Hannover studierte, wo ihr das Diplom noch verwehrt wurde. Sie gründete dennoch ihr eigenes Büro in Berlin. Dort baute sie eine Vielzahl von bemerkenswerten Gebäuden im Reformstil der Zeit und wurde 1928 in den BDA aufgenommen. Eine andere großartige Protagonistin, die im Band gewürdigt wird, ist Hildegard Schirmacher. Erst nach dem Ende ihrer erfolgreichen Karriere als Architekt und einem privaten Leben als verheirateter Familienvater outete sie sich als transident und lebte dann öffentlich als Frau.
Die Architektur- und Baugeschichte in diesem Sinne zu "queeren" ist so überfällig wie bereichernd. Das Buch präsentiert Leben und Werk vieler bekannter Architekturikonen so fachlich fundiert wie vergnüglich zu lesen. Es leistet damit einen wichtigen Aufschlag für die Erforschung queerer Perspektiven in der Architektur und Baugeschichte im deutsch-sprachigen Raum. Dem folgen hoffentlich viele Weitere auch in Form von wissenschaftlichen Arbeiten. Applaus für die Autoren und auch für den Verleger Gerwin Zohlen, der sich traute, den Band in seinem Fachbuchverlag zu publizieren.
Schwule Architekten – Gay Architects
Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert – Silent Biographies from 18th to 20th Century
Autoren: Wolfgang Voigt, Uwe Bresan
Wasmuth & Zohlen Verlag
Sprache: Deutsch/ Englisch
ISBN: 978 3 8030 2378 0
39,80 Euro