top

NACHHALTIGKEIT
Baumhaus 2.0

Nachhaltigkeit ist Trumpf im neu eröffneten Kulturzentrum "Sara Kulturhus" im Norden von Schwedisch Lappland. Das integrierte "Wood Hotel" zählt zu den höchsten Holzbauten weltweit.
von Franziska Horn | 03.11.2021

"Das ist die Schönheit von Holz" – mit diesen Worten eröffnet Robert Schmitz von White Arkitekter stolz den Rundgang im Foyer des nagelneuen "Sara Kulturhus", das vor kurzem im schwedischen Skellefteå eröffnet wurde. Zur optischen Qualität des Bauholzes aus heimischen borealen Wäldern rechnet er auch die funktionellen und nachhaltigen Faktoren mit ein: zum Beispiel, dass die betreffenden Nadelhölzer in diesen Breiten schneller wachsen als Laubbäume und dass die Transportwege kurz sind.

Der Hauptdarsteller namens Holz ist omnipräsent im neuen subarktischen Hort der Kultur, das sich der 36.000 EinwohnerInnen zählende Ort leistet. Der fein ätherische Duft des Naturmaterials durchströmt so das gesamte "Sara Kulturhus", prägt sämtliche Räume und Etagen. Natürlich auch das "Wood Hotel", das zum Komplex gehört. Der Name ist Programm: Mit seinen knapp 80 Metern und 20 Etagen zählt es zu den höchsten Vollholzhäusern der Welt. Vollholz bedeutet in diesem Fall: Auch die gesamte Struktur besteht vorwiegend aus Holz, bis hin zum Aufzugsschacht. Nur das Fundament ist aus Beton. "Das Material stammt von hier, es schafft ein optimales Innenklima. Und das Knowhow im Holzbau hat eine lange Tradition in der Region," sagt Robert Schmitz, dessen Vorfahren einst aus Deutschland nach Schweden kamen. "2015 gingen 55 Architekturbüros im Wettbewerb um das neue Kulturzentrum ins Rennen. Doch Lorents Burman, Bürgermeister von Skellefteå, entschied sich für das einzige Projekt, das er 'unrealistisch' fand. Schon weil es weltweit kaum vergleichbare Holzbauten in diesen Dimensionen gab", fügt Schmitz hinzu.

Zeigen, was Holz kann

Skellefteå liegt in der Provinz Västerbotten am Bottnischen Meerbusen, genau genommen am Bottenwiek, so heißt der nördlichste Teil der Ostsee. Zum nördlich gelegenen Polarkreis sind es 200 Kilometer. Um den Ort Skellefteå finden sich fünf Flüsse voller Lachse – vor allem aber dichter Wald, mit Fichten, Tannen, Kiefern, Birken. Da ist es nur logisch, dass Holz das Leitmotiv und Baumaterial bilden sollte für das gesamte Kulturzentrum, vom Mini-Detail bis zur Konstruktion, sei es in Form von Brettschichtholz oder in Form von Brettsperrholz. Bei der Verarbeitung des Brettsperrholz wird dieses so quer zur Wuchsrichtung verklebt. Wie viele Bäume für den Gesamtkomplex verbaut wurden, will Robert Schmitz nicht sagen. Nur soviel: "Für jeden gefällten Baum wurde mindestens ein neuer nachgepflanzt!". Der 105 Millionen Euro teure Bau umfasst nun mehrere Bühnen diverser Größen, ein Museum, Ausstellungsräume, eine Bücherei, ein Konferenzzentrum. Und natürlich den Hotelturm, umhüllt von einer thermischen Außenhaut aus Glas.

Wohin man auch blickt beim Gang durch die weiten Hallen: Die gegenläufigen Ausrichtungen von Holz sind des Gebäudes schönster Schmuck. Charakter, Haptik und Struktur des Materials auszuspielen, das gelingt den Architekten von A bis Z: Sei es in der Lobby mit einem längs in Scheiben zerlegten und meterlangen Stamm oder im großen Theatersaal mit seinen steil angelegten Sitzreihen für 1200 ZuschauerInnen. Hier nimmt Schmitz auf einer der oberen Reihen für einen Moment Platz. Auch in dieser Megabühne ist jeder Zentimeter aus Holz gefertigt, bis hin zu den akustischen Elementen an den Wänden, die ein plastisches Relief ergeben. Soll aber dieses von großzügiger Hand geplante Gebäude vor allem der eigenen architektonischen Markenbildung dienen, im Sinne von "schneller, höher, weiter?" So will Schmitz seinen Entwurf nicht verstanden wissen. Er sagt: "Es geht hier nicht um Rekorde, auch nicht um Superlative. Es geht darum, das Material in einer Art 'case study' auszureizen, zu zeigen, was es alles kann". Die 205 Zimmer des "Wood Hotels" wurden vorgefertigt und in Modulbauweise aufeinandergestapelt, "um eine Mittelachse gruppiert wie die Äste eines Baums", erklärt er. Und fügt an: "Das ging rasend schnell". Einflüsse der Region werden auch in Details auf den Zimmern spürbar, in Form kleiner Äste als Garderobenhaken. Oder namentlich im eigenen "Restaurant Mandel", benannt nach der heimischen Kartoffelsorte. Das Interior spielt indes beispielsweise mit Tierfellen auf die heimische Sami-Kultur an, erzählt Hotelmanager David Âberg.

Wer beim Stichwort Holz auch an Feuer denkt, liegt nicht verkehrt: Schließlich brannten nicht nur die südlich gelegenen Küstenstädte Sundsvall und Umeå mehrmals in der Vergangenheit ab, zuletzt in ein und derselben Sturmnacht im Sommer 1888. Dazu sagt Robert Schmitz: "Wir haben die Holzelemente so massiv eingesetzt und verwendet, dass sie nicht wirklich brennbar sind, sondern eher verkohlen. Die Dicke des Holzes ist also der eigene Brandschutz, oder anders gesagt: Es bleiben 120 Minuten um alle zu retten, zudem gibt es Sprinkler-Anlagen im gesamten Haus." Beim Gang durch die lichten Hallen beeindrucken die Weite und der offene Raum. Manche Abschnitte sind ganz bewusst noch keinem bestimmten Zweck gewidmet, damit die BewohnerInnen der Stadt ihnen diesen selbst geben mögen. "Wenn man die einzelnen Räume genau benennt, legt man damit auch ihre endgültige Bedeutung fest. Das wollen wir nicht", so Maria Ekberg Brännström, Geschäftsführerin des Sara Kulturhus. Der freie Raum soll sich mit den Ansprüchen ändern. Doch wer war eigentlich die Namenspatronin des Hauses, Sara Lidman? Eine heimische Schriftstellerin, geboren 1923, die das harte Leben im ländlichen Nordschweden beschrieb. Und die mit ihren Werken das Denken öffnen wollte. So wie es auch das neue Kulturzentrum von Skellefteå anstrebt.


Tipp:
Die Ausstellung "Ein Herz aus Holz" im Aedes Architekturforum gibt bis zum 11. November 2021 Einblicke in den innovativen Bauprozess, stellt aber auch die vielfältigen sozialen und kulturellen Nutzungsmöglichkeiten dieses Holzbaugiganten vor. Anhand von Zeichnungen, Modellen, Fotos und Filmen werden die Themen auf großformatigen Holzwänden präsentiert.

Aedes Architekturforum
Christinenstr. 18–19
10119 Berlin