Manchmal kommen in Möbeln Sehnsüchte zum Ausdruck. Dann bekennen sich Sofa, Tisch oder Stuhl zu heimlichen Wünschen und versteckten Neigungen. Mal wirft das Mobiliar einen nostalgischen Blick in die Vergangenheit und kokettiert mit dem vagen Verlangen nach Tradition und Geschichte, mal gibt es sich optimistisch und verbreitet die Zuversicht, die Zukunft werde fortschrittlicher ausfallen als die Gegenwart. Die Branche nennt die konkreten Phänomene dieser diffusen Stimmungen gerne Trends und ist darauf aus, sie systematisch ausfindig zu machen und zu erfassen. Denn die sogenannten Trends müssen als Barometer für die Tendenzen und Strömungen der nächsten Jahre herhalten, obwohl sie in vielen Fällen innerhalb kürzester Zeit schon wieder verschwunden sind.
Schmeicheleien für Auge und Hand
Auf der Möbelmesse in Köln war wieder eines dieser konkreten Phänomene allgegenwärtig, in denen eine Stimmung greifbar wird: Schon lange nicht mehr gab es so viel Samt und samtige Polstermöbel wie dieses Jahr. Der weiche flauschige Stoff betont Haptik und Sinnlichkeit von gepolsterten Möbeln – spätestens wenn die Hand auf der Armlehne eines samtigen Sessels liegt, offenbaren sich die schmeichelnden Qualitäten des Materials. Zwar ist Samt fast immer nur einer unter vielen angebotenen Bezugstoffen, doch Entwürfe wie der Fauteuil „Mono“ von Marco Dessi für Wittmann zeigen, dass das Material wie geschaffen ist für ein spezifisches Sessel-Konzept, das an die Vergangenheit anknüpft. Denn der dunkle, petrolfarbene Samt betont den eigentlichen Charakter der Sessel und Sofas der Mono-Familie. Der weiche Stoff gibt ihren klassischen Formen eine nostalgische Qualität, die einerseits Komfort verspricht und einen andererseits an die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert denken lässt: Thomas Mann könnte während der Arbeit am „Zauberberg“ in einem ähnlichen Fauteuil gesessen haben. Doch Marco Dessi hat der Typologie seines Fauteuils einen Dreh in die Jetztzeit gegeben. Er teilt die Polsterung in symmetrische Felder ein und lässt sie auf dünnen Holzbeinen schweben. Nostalgisch bekennt sich „Mono“ also zu einer Tradition, die durch den Samtbezug betont und gleichzeitig weiterentwickelt wurde.
Wer nach historischen Vorbildern der samtenen und bequemen Einzelsessel sucht, konnte auf der Messe mehrfach fündig werden. Nicht nur Josef Hofmanns Sessel „Alleegasse“ aus dem Jahre 1912, den Wittmann in einer mit Samt bezogenen Version in knalligem Orange zeigte, gehört in die Reihe der weichen Komfortmöbel. Auch Gio Pontis extravaganter Sessel „D.154.2“, den Molteni&C kürzlich in die Ponti-Kollektion aufgenommen hat, ist einer dieser sanften Schmeichler. Ponti entwarf den Sessel Mitte der 1950er-Jahre für die Villa des Sammlerpaares Planchart in Caracas. Die beiden Polyurethan-Schalen des Möbels, das außen steif und innen weich ist, waren auf dem Messestand mit roséfarbenem Samt bezogen. Der Pastellton betont nicht nur den Fünfzigerjahre-Charakter des geschwungenen Sessels, sondern verheißt gleichzeitig noch mehr Intimität. Auch bei Gubi war eine neue Kollektion aus Lounge Chair und Sofa zu sehen. „Stay“ nennt das Designerduo von Space Copenhagen seinen Entwurf, der in organischen und skulpturalen Formen daherkommt und in Samt gehüllt umso sinnlicher wirkt.
Wohnlichkeit überall
Sowohl Hofmanns als auch Pontis Sessel wurden für private Wohnräume entworfen. Heute stehen beide Möbel für wohnlichen Komfort par excellence – egal ob Zuhause oder im öffentlichen Bereich. Spätestens seit dem „Cocooning“ der 1990er-Jahre – der Sehnsucht nach innerer Wärme, auf den Begriff gebracht von der amerikanischen Trendforscherin Faith Popcorn – ist die Eloge auf private Rückzugsmomente in der Einrichtung allgegenwärtig. Büroflächen werden mit Cocooning-Zonen konzipiert, Freunde lieber in der eigenen Küche als im Restaurant empfangen, und überhaupt ist das private Zuhause und alles was dazugehört, heutzutage omnipräsent – auch am Arbeitsplatz und in öffentlichen Bereichen. Gleichzeitig bedingt die Aufwertung des privaten Wohngefühls, das durch Samt noch gesteigert werden kann, dass die nüchterne Funktionalität und Rationalität beispielsweise von modernen Stahlrohrkonstruktionen weniger im Fokus stehen.
Sie passen nicht zu soviel Sinnlichkeit und Nostalgie, zu bunten Farben und weichen Textilien. Alles muss kuschelig und weich sein – die samten schmeichelnden Polstermöbel auf der imm cologne zeigen, was die Idee des „Cosy Home“ so draufhat. Mit der Raf Simons-Kollektion für Kvadrat bekam die Branche vor zwei Jahren einen hochwertigen Bezugssamt, welcher der zeitgenössischen Vorstellung von Wohnen entspricht. Also strahlte Eileen Greys „Bibendum“-Sessel, entworfen1926, bei Classicon auf dem Messestand in samtigem Raf Simons-Blau.
Vom Raumkonzept zum Stil
In Zeiten einer allumfassenden Öffentlichkeit, die digitale Medien und soziale Netzwerke im Alltag zelebrieren, steigt das Bedürfnis nach Privatheit und Intimität. „Form follows function“ ist in weite Ferne gerückt, viel wichtiger scheint heute das wohnliche Gefühl, von Polstern aufgefangen und umschmeichelt zu werden. Hinter den sinnlich samtigen Möbelvarianten verbirgt sich auch die Sehnsucht nach analogem Komfort mit extravaganten Qualitäten. Manchmal erinnert diese Nostalgie an den Boudoir-Stil, seine schweren Stoffe in Rot-, Rosa- oder Violett. Zum Boudoir passen auch andere Möbel, die auf der Messe präsentiert wurden, wie zum Beispiel Schminktische oder der kleine Sekretär mit Extrafächern für heimliche Liebesbriefe.
Patrick Freys Entwurf „Romy“ für die Sitzmöbelmanufaktur FreiFrau greift gezielt auf die Typologie des Cocktailsessels der 1950er-Jahre zurück. In klar gesetzten Falten zieht sich der lilafarbene Samt über die geschwungene Rückenlehne und zitiert ein bisschen Sissy und ein bisschen Louis XVI, verpackt in wohligem Komfort natürlich. Ligne Roset wiederum besinnt sich auf eine andere samtene Tradition, die an die Hippie- und Bohème-Bewegung anknüpft: Der ikonische Entwurf von "Plumy" für Ligne Roset aus den 1980er-Jahren stammt von der französischen Designerin Annie Hieronimus und wurde dieses Jahr neu aufgelegt. Auch hier gilt, dass der Samtbezug nur eine Variante ist – doch zweifelsohne die beste für das Lümmelsofa, weil sie seine sinnlichen Qualitäten umso deutlicher hervorhebt und die Polster des Vollschaumsitzmöbels noch weicher und sanfter wirken lässt – egal, ob man darauf liegt, sitzt, hüpft oder tanzt.
Architektur oder Stil
In der Mode haben Designer wie Dries van Noten den Samt schon längst für sich entdeckt. In der Möbelbranche ist der sanfte Stoff mit Verspätung angekommen, was auch an seinen Qualitäten als Bezugsstoff liegt: Da Samt relativ pflegeintensiv und schmutzanfällig ist, blieb er lange außen vor. Er galt als traditionell und wenig funktional – lauter Eigenschaften, die mit einem Mal gefragt sind. Im Samt findet die Sehnsucht nach Intimität und Geschichte ihren schmeichelhaften Ausdruck. Darüber hinaus jedoch stehen die samtenen Fauteuils und kleinen Kanapees, die auf der Möbelmesse zu sehen waren, auch für ein neues Verständnis von Polstermöbeln. Galten Sofas früher als raumstrukturierende Elemente, so haben sich die Solitäre von heute von ihrem räumlichen Umfeld emanzipiert. Aus einer Frage der Architektur ist wieder eine Frage des Stils geworden.