Es sollte ein gewaltiger Konsumpalast in Berlins bester Lage werden: direkt Unter den Linden gelegen, mit mehr als 200 Geschäften und Wohnungen auf vier Etagen. Was wie Konkurrenz für die innerstädtischen Großeinkaufszentren der deutschen Hauptstadt, das „Alexa“ oder die „Mall of Berlin“ klingt, war eine architektonische Vision, für die Karl Friedrich Schinkel 1827 den preußischen Staat zu begeistern suchte. Berlin solle, so schrieb Schinkel seinen potenziellen Auftraggebern, durch das gewaltige Ladenzentrum „einen Mittelpunkt (...) für Einheimische wie für Fremde“ erhalten, einen „Vereinigungspunkt (...), den man bis jetzt vergeblich suchte.“ Das Projekt stieß bei der preußischen Regierung auf keine Gegenliebe und wanderte, wie so viele von Schinkels wegweisenden Entwürfen, in die Schublade. Schinkels Idee eines Warenhauses aus vielen verschiedenen Geschäften erlebte seinen Durchbruch erst mehr als ein Jahrhundert später. Die Revolution des Massenkonsums fand zunächst anderswo statt – in Paris, London und Mailand.
Legendär sind die Pariser Boulevards des 19. Jahrhunderts mit den Großkaufhäusern „Bon Marché“, „Grands Magasins du Louvre“ und „Galarie Lafayette“, sowie die prächtige „Galeria Vittorio Emanuele II“ in Mailand, bei der die Einkaufspassage zur lichtdurchfluteten Triumpfarchitektur für das sabaudische Herrscherhaus avancierte. Dort spazierte der Flaneur einst, stets auf der Suche nach Zerstreuung. Heute sind Shoppingmalls wie das „Alexa“ in Berlin oder „MyZeil“ in Frankfurt am Main wohltemperierte Orte, an denen man von Musik berieselt Stunde um Stunde verstreichen lassen kann. Flânerie und Konsum fallen in ein Ambiente zusammen, in dem es weder stürmt noch schneit und die Temperatur nie schwankt. Die Theatralik des Konsums und die Ästhetisierung der Warenwelt werden in heutigen Malls einem Schauspiel gleich zelebriert.
Mit diesen „Architekturen des Konsums“ befasst sich aktuell das Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne. Die Ausstellung „World of Malls“ präsentiert einen Abriss der Entwicklung dieses noch verhältnismäßig jungen Gebäudetyps anhand einer Auswahl von Malls aus Amerika, Asien, den Vereinigten Emiraten und Europa. Innerhalb der Gesamtdramaturgie erscheinen die einzelnen Kabinette wie Szenen in einem Schauspiel zur Wunderwelt des Konsums. Anhand von 23 ausgewählten Projekten tritt der Besucher einen Streifzug durch sechs Jahrzehnte an: Es beginnt mit der 1951 im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts entstandenen „Shoppers World“, die die beherrschenden Stilmerkmale ausbildet: abseits der Stadtzentren gelegen, von riesigen Parkplätzen umgeben, offerierten sie im Inneren ein hybrides Einkaufserlebnis aus Geschäften und Erholungsräumen, das den amerikanischen Innenstädten nachempfunden war. Die Architektur war vorbehaltlos den Idealen der Moderne verpflichtet: Lichte Hallen, Schaufensterwände und Laubengänge um begrünte Höfe sollten funktionale Einkaufsparadiese entstehen lassen.
Im Jahr 1964 importierte das Main-Taunus-Zentrum das Erfolgsmodell aus den Vereinigten Staaten eins zu eins in die Bundesrepublik. Die Münchner Ausstellung erinnert auch an das fantastische, vor kurzem endgültig abgerissene „Schwabylon“ von 1973, das mit seinen grellfarbigen Fassaden, einem riesigen Haifischbecken samt legendärem Unterwasser-Nachtclub „Yellow Submarine“, wie ein im Stadtteil Schwabing Realität gewordenes Pop-Art-Schloss wirkte. Keine architektonische Mode entsprach dem Wesen der Mall freilich mehr als die Postmoderne mit ihrem Bekenntnis zum Kulissenzauber und Talmiglanz. Angefangen mit der „Horten Mall“ in San Diego von 1985 – einer bunten Collage im Stil Charles Moores – bis zur „New South China Mall“ aus dem Jahr 2005 mit Pseudo-Belle-Époque-Türmchen, dokumentiert die Ausstellung den Siegeszug des Formenrecyclings in der Konsumarchitektur. Einen Höhepunkt in Sachen Kulissenarchitektur stellt die Blendfassade des 2007 wiedererrichteten Braunschweiger Residenzschlosses dar, dessen Portikus sich als Eingang zum Shoppingcenter der „Schloss-Arkaden“ entpuppt. Das es auch anders geht, zeigen Projekte wie die „Aïshti Foundation“ von David Adjaye, „Volt“ von J. Mayer H. und „Vandamme Nord“ von MVRDV aus der jüngsten Zeit, mit denen die Schau endet.
Vorgestellt werden die einzelnen Bauten mittels Fotografien von Innen- und Außenansichten, Lageplänen, Grundrissen, Schnitten und kurzen Begleittexten. Modelle sind selten. Im lesenswerten Katalog finden sich darüber hinaus zahlreiche Aufsätze, die die Entwicklung der Shoppingmall kritisch aufarbeiten und die architektonischen Elemente des neuen Gebäudetyps differenziert erörtern.
Kaum ein anderer Gebäudetypus polarisiert so sehr wie die Shoppingmall. Unter Architekten war die Bauaufgabe lange Zeit wenig beliebt. Erst langsam scheint das Interesse an solchen Großprojekten auch bei namenhaften Architekturbüros zu steigen, was die letzten Kabinette der Ausstellung bezeugen. Welches Potenzial in der Mall als abgeschirmter urbaner Konsum- und Erlebnisraum unter veränderten weltklimatischen Bedingungen steckt, wird erst nach und nach wahrgenommen. So räumt die Ausstellung der Shoppingmall erstmals einen Platz in der Architekturgeschichte ein: Sie ist in dieser Form tatsächlich die erste, die sich umfassend mit dem Gebäudetyp beschäftigt.
Als in den 1950er-Jahren in Amerika die ersten Malls sowohl in den Suburbs als auch im urbanen Gefüge der Stadtzentren errichtet wurden, war dies nichts weniger als die Geburtsstunde eines neuen Architekturtypus, aber auch einer hybriden Lebenswelt. Die ersten Konsumbauten dieser Art dienten als Gehäuse für Verkaufsflächen und als Kulisse für eine immer bunter werdende Warenwelt. In ihnen verkörperte sich eine neue Freizeitbeschäftigung: Das Shoppen. Notwendigkeit und architektonische Qualität solcher Einkaufszentren, die in der Regel viele verschiedene Geschäfte unter einem Dach vereinen, sind bis heute umstritten: Einerseits bieten sie Vielfalt, andererseits stehen sie im Verdacht, zur Verödung der Innenstädte beizutragen. Gleichwohl avancieren Shoppingmalls in den vergangenen Jahrzehnten weltweit zu Orten, an denen man nicht nur einkauft, sondern auch seine Freizeit verbringt. Auch deshalb haben die Immobilienentwickler, die solche Zentren planen, ihren Malls inzwischen Schwimmbäder, Kinos, Cafés und Restaurants hinzugefügt, in denen der Besucher neben dem Einkaufen seine Zeit verbringt. Mittels ausgeklügelter Raum-Konzepte und aufwendigen Wegeleitsystemen durch die verschiedenen Zonen des Centers, werden regelrechte Erlebnispfade kreiert. Auch die Gestaltung der Freiflächen zwischen den Läden gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die sogenannten „Aufenthaltsqualitäten“ der Zentren werden jedoch hauptsächlich zu ökonomischen Zwecken optimiert und als dramaturgisch aufgeladene Abfolge der Ladenzeilen konzipiert.
In den letzten Jahren werden immer häufiger auch Stararchitekten für die aufwendige Bauaufgabe herangezogen, wobei die Handschrift eines weithin bekannten Architekten medienwirksam eingesetzt wird, um das Projekt in der Öffentlichkeit möglichst populär zu machen. Beispiele lassen sich leicht finden: 2008 eröffnete in Bern-Brünnen das „Westside“ von Daniel Libeskind, das auf einem großen Planungsgebiet zwischen Autobahn und Agglomeration auf unterschiedliche städtebauliche Situationen reagiert und durchaus geschickt und anspruchsvoll versucht, die umliegenden Wohnviertel und öffentlichen Quartiersplätze im dekonstruktivistischen Libeskind-Stil miteinander zu verbinden. Beim „Hanjie Wanda Square“ von UN Studio am Stadtrand von Wuhan vereint Ben van Berkel seine amorphen Signature-Kurven mit glitzernden Oberflächen aus Stahl und Glas zu einem spektakulären Konsum-Raumschiff.
Der Trend zeigt sich auch in anderen Bereichen der architektonischen Typologie des Kommerzes: Um das zahlungskräftige Publikum in die Welt der Marken entführen zu können, beauftragen auch Luxuslabels wie Prada und Dior immer häufiger Stararchitekten, um ihre Flagship-Stores zu entwerfen. Jüngstes Beispiel ist die Chanel-Filiale auf der Amsterdamer Luxus-Shoppingmeile „P.C. Hooftstraat“ mit ihrer imposanten Glasziegel-Fassade, entworfen von den Architekten MVRDV. Ebenso wie der Issey Miyake-Shop in Manhattan im Bilbao-Design von Frank O. Gehry, David Chipperfields „Valentino Man Store“ in Paris oder das von O.M.A. entworfene zweistöckige Eckgebäude an der Einkaufsmeile „Omotesando“ in Tokio für die Firma Coach.
In Zeiten wachsenden Online-Shoppings scheinen die Herausforderungen für Brandmanager und Marketingabteilungen zu steigen, die Kunden wieder auf die Einkaufsstraßen und in die Geschäfte zu locken. Anders als die Signature-Stores der Modefirmen an den Luxus-Boulevards der internationalen Metropolen, die sich bewusst dem öffentlichen Raum zuwenden, stehen Shoppingmalls meist isoliert wie Festungen in den Zentren vieler Großstädte oder an den Verkehrsachsen der Peripherie. Wie auch immer man das finden mag, das Konzept der Shoppingmall – des Gemeinschaftswarenhauses als abgeschlossene, überdachte, klimatisierte Einkaufspassage – ist vielleicht die bedeutendste Neuerung in der Konsumarchitektur des 20. Jahrhunderts, trotz oder gerade wegen der weitreichenden Folgen, die sich aus ihm für die Stadtentwicklung ergeben.
Über die soziokulturellen Auswirkungen des neuen Gebäudetypus auf Stadt und Mensch wird in der Ausstellung allerdings nur beiläufig nachgedacht. Man bemüht sich, neutral zu bleiben und die verschiedenen, am Bau einer Mall beteiligten Akteure zu Wort kommen zu lassen: Stadtverwaltung, Bauherren, Investoren, Architekten und Stadtbewohner wurden interviewt und sind in Filmausschnitten in der Ausstellung präsent. Dass Shoppingmalls keineswegs unbewachte öffentliche Räume sind, wird einem schon am Eingang bewusst gemacht: Hier kommt man an Überwachungsvideos vorbei, die Menschen zeigen, die sich scheinbar unbeobachtet in den Passagen tummeln. Auch am Ende trifft man auf Überwachungsvideos. Nun aber sieht der Besucher im Getümmel der Ausstellungsräume sich selbst.
Ausstellung:
World of Malls. Architekturen des Konsums.
Architekturmuseum der TU München
Pinakothek der Moderne
bis 16. Oktober 2016.
Katalog:
World of Malls. Architekturen des Konsums.
hrsg. von Vera Simone Bader, Andres Lepik
256 Seiten, 200 Abb.
Hatje Cantz, Berlin 2016.
ISBN 978-3-7757-4138-5
49,80 Euro
3D-Computergrafik © J. Mayer .H
Es sollte ein gewaltiger Konsumpalast in Berlins bester Lage werden: direkt Unter den Linden gelegen, mit mehr als 200 Geschäften und Wohnungen auf vier Etagen. Was wie Konkurrenz für die innerstädtischen Großeinkaufszentren der deutschen Hauptstadt, das „Alexa“ oder die „Mall of Berlin“ klingt, war eine architektonische Vision, für die Karl Friedrich Schinkel 1827 den preußischen Staat zu begeistern suchte. Berlin solle, so schrieb Schinkel seinen potenziellen Auftraggebern, durch das gewaltige Ladenzentrum „einen Mittelpunkt (...) für Einheimische wie für Fremde“ erhalten, einen „Vereinigungspunkt (...), den man bis jetzt vergeblich suchte.“ Das Projekt stieß bei der preußischen Regierung auf keine Gegenliebe und wanderte, wie so viele von Schinkels wegweisenden Entwürfen, in die Schublade. Schinkels Idee eines Warenhauses aus vielen verschiedenen Geschäften erlebte seinen Durchbruch erst mehr als ein Jahrhundert später. Die Revolution des Massenkonsums fand zunächst anderswo statt – in Paris, London und Mailand.
Legendär sind die Pariser Boulevards des 19. Jahrhunderts mit den Großkaufhäusern „Bon Marché“, „Grands Magasins du Louvre“ und „Galarie Lafayette“, sowie die prächtige „Galeria Vittorio Emanuele II“ in Mailand, bei der die Einkaufspassage zur lichtdurchfluteten Triumpfarchitektur für das sabaudische Herrscherhaus avancierte. Dort spazierte der Flaneur einst, stets auf der Suche nach Zerstreuung. Heute sind Shoppingmalls wie das „Alexa“ in Berlin oder „MyZeil“ in Frankfurt am Main wohltemperierte Orte, an denen man von Musik berieselt Stunde um Stunde verstreichen lassen kann. Flânerie und Konsum fallen in ein Ambiente zusammen, in dem es weder stürmt noch schneit und die Temperatur nie schwankt. Die Theatralik des Konsums und die Ästhetisierung der Warenwelt werden in heutigen Malls einem Schauspiel gleich zelebriert.
03D-Computergrafik © J. Mayer .H
Es sollte ein gewaltiger Konsumpalast in Berlins bester Lage werden: direkt Unter den Linden gelegen, mit mehr als 200 Geschäften und Wohnungen auf vier Etagen. Was wie Konkurrenz für die innerstädtischen Großeinkaufszentren der deutschen Hauptstadt, das „Alexa“ oder die „Mall of Berlin“ klingt, war eine architektonische Vision, für die Karl Friedrich Schinkel 1827 den preußischen Staat zu begeistern suchte. Berlin solle, so schrieb Schinkel seinen potenziellen Auftraggebern, durch das gewaltige Ladenzentrum „einen Mittelpunkt (...) für Einheimische wie für Fremde“ erhalten, einen „Vereinigungspunkt (...), den man bis jetzt vergeblich suchte.“ Das Projekt stieß bei der preußischen Regierung auf keine Gegenliebe und wanderte, wie so viele von Schinkels wegweisenden Entwürfen, in die Schublade. Schinkels Idee eines Warenhauses aus vielen verschiedenen Geschäften erlebte seinen Durchbruch erst mehr als ein Jahrhundert später. Die Revolution des Massenkonsums fand zunächst anderswo statt – in Paris, London und Mailand.
Legendär sind die Pariser Boulevards des 19. Jahrhunderts mit den Großkaufhäusern „Bon Marché“, „Grands Magasins du Louvre“ und „Galarie Lafayette“, sowie die prächtige „Galeria Vittorio Emanuele II“ in Mailand, bei der die Einkaufspassage zur lichtdurchfluteten Triumpfarchitektur für das sabaudische Herrscherhaus avancierte. Dort spazierte der Flaneur einst, stets auf der Suche nach Zerstreuung. Heute sind Shoppingmalls wie das „Alexa“ in Berlin oder „MyZeil“ in Frankfurt am Main wohltemperierte Orte, an denen man von Musik berieselt Stunde um Stunde verstreichen lassen kann. Flânerie und Konsum fallen in ein Ambiente zusammen, in dem es weder stürmt noch schneit und die Temperatur nie schwankt. Die Theatralik des Konsums und die Ästhetisierung der Warenwelt werden in heutigen Malls einem Schauspiel gleich zelebriert.
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