Tageslicht ist im hohen Norden nicht selbstverständlich, was die Finnen zu Meistern der Lichtinszenierung hat werden lassen: beleuchtete Pflanzkübel auf der Habitare in Helsinki.
Foto © Franziska Horn Ruhe findet man in der Salatschüssel
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von Franziska Horn
23.09.2014 Glücklich, wer im Sinkflug auf die Küstenstadt Helsinki am Fenster des Flugzeugs sitzt und zwischen den Gebäuden auf Meer, Inseln und Wald blicken kann. Es gibt viel Grün in der finnischen Metropole, denn die raue Natur ist Dreh- und Angelpunkt des hiesigen Lebens und Leitmotiv des finnischen Designs. Intensiv spürt das, wer durch Finnisch Lappland, vielleicht die letzte Wildnis Europas, streift oder nach einem Birkenblatt-Aufguss in der Rauchsauna in einen herbstlich-kühlen See springt. Die Natur prägt noch immer das Land, seine Menschen und was sie hervorbringen. Und so ist es auch der virtuose Umgang mit Holz, Glas und Keramik, der hier die Dinge auszeichnet. Die Farben der blauweißen Flagge symbolisieren übrigens den Schnee und die Seen des Landes am Polarkreis. Zugleich erscheint Helsinki als hybride Mischung aus Art déco und brutalem Sozialismus, russischer Üppigkeit und ländlichen Akzenten, aus monumentalen Bauten und idyllischen Kulissen. Das Design des Landes spiegelt Einflüsse der Kultur der Samen wider, deren traditionelle Entwürfe ganz ohne gerade Linien auskommen, gepaart mit einem Hang zur klaren Form. Es ist kein Zufall, dass die Finnen ein Faible für die Kultur Japans haben, das auf Gegenliebe stößt. Also strömten auch diesmal viele Besucher aus Fernost zur „Helsinki Design Week“ (HDW). Und noch eine weitere Spur zieht sich durch die Stadt: Die 1950er, 1960er Jahre und die Zeit des Wiederaufbaus nach 1945 gelten als große Blütezeit des finnischen Designs, als dessen prägende Figur bis heute Alvar Aalto gilt. Sein Name ist allgegenwärtig, zu seiner „Villa Mairea“ führen beinah täglich Besichtigungstouren und die Universität ist nach ihm benannt. Designer wie Tapio Wirkkala, Eero Saarinen und Eero Aarnio ergänzen die Riege der finnischen „Klassiker“. Auch auf Olavi Hänninen, Innenarchitekt und Designer, sind die Finnen stolz, vor allem, wenn sie auf den Hänninen-Sitzen der gelbgrünen Trambahnen aus den 1970er Jahren durch Helsinki fahren. An der Tram-Haltestelle „Messukeskus“ im Norden der Stadt liegen die Expo-Hallen, in denen die Möbelmesse „Habitare“ stattfindet, gegliedert in die Bereiche „Furniture“, „Design“, „Kitchen“ und „Sauna“. „Take the leap" – „Nimm Anlauf!" – lautet das Motto der HDW, die in diesem Jahr zum zehnten Mal stattfand. In den Hallen für Möbel und Design, die den größten Part der Messe ausmachen, zeigen sich die Besonderheiten des finnischen Designs: klare Strukturen, grafische Muster, leuchtende Farben und das typisch nordische, zarte Blau mit natürlichen Schattierungen – sowie Holz als unangefochtener Favorit der Finnen. „Unser Erbe und unsere Traditionen sind uns wichtig“, bemerkt Timo Niskanen, ein junger Designer, der vor kurzem sein eigenes Leuchtenlabel namens „Himmee“ gegründet hat. „Und gebogenes Sperrholz ist eine Spezialität der Finnen", erklärt Niskanen. Natürlich setzt auch er Holz für seine schlichten Leuchtenmodelle ein. Tageslicht ist im den langen Wintern im hohen Norden alles andere als eine Selbstverständlichkeit, was die Skandinavier zu Meistern im Inszenieren von Licht hat werden lassen: Es wird gebündelt, gespiegelt, vervielfacht oder wirft malerische Schatten durch Holzrippen – wie bei den bekannten Pendelleuchten von Secto. Dem Werkstoff Holz immer neue Spielarten abzugewinnen, seine Struktur ins Design zu integrieren, das macht die Kreativität der Finnen aus. Zu den schönsten Stücken des diesjährigen „EcoDesign“-Wettbwerbs der Messe gehört daher die bestechend schlichte Schalen-Serie „Kirnu" von Marianne Huotori, die Jahresringe im Holz als grafisches Element und Kontrast einsetzt. „Am finnischen Design ist alles logisch, simpel, einfach, formal reduziert – und schön“, meint Dörte Siemens, Studentin der Bauhaus-Universität Weimar, die gerade ein Praktikum bei „ALA Architekten“ in Helsinki absolviert. Und ihre Kollegin Stephanie Polochowitz fügt hinzu: „Finnisches Design hat das, worauf es ankommt!" Beiden gefallen besonders die Modelle der „EcoDesign“-Ausstellung. Auch Namen von Designern wie Sebastian Jansson oder Bros finden sich hier in den Hallen oder in der Stadt. Und überall gilt: Design ist in Finnland kein Luxus, sondern Teil des Alltags. Es prägt nicht nur Concept-Stores oder VIP-Cafés. Design ist dazu da, sich mit den Dingen wohlzufühlen. Das gilt nicht zuletzt für die Sauna, die für die Finnen fast schon einen heiligen Ort, wo gelebt, gegessen, getrunken, geredet – und natürlich auch geschwitzt wird. Es war dieser selbstverständliche Umgang mit Design, der dazu geführt hat, dass Helsinki als „Design Capital of the World 2012“ ausgezeichnet wurde. „Als sich die Stadt für das Projekt beworben hat, ging es nicht nur darum, hiesiges Design zu verbessern, sondern den Lebensstandard der Leute zu heben“, sagt Liisa Arvola, die als Guide durch den Design District führt. „Designmetropole zu sein, ist ein andauernder Prozess. Unser Ziel sind neue Projekte und eine funktionierende, saubere Stadt“. Der Design District umfasst 25 Straßen mit 200 Läden, Galerien und Museen. Bei „Globe Hope“ gibt es beispielsweise Schlafsäcke aus der ehemaligen DDR, die jetzt als Winterjacken Karriere machen. Im Concept-Store „Okra“ in der Aleksanterinkatu steht Irena Pepin an der Theke und erklärt: „Wir lieben helle Farben, weil die Winter so dunkel sind.“ Auf den Regalen stapeln sich Designobjekte in Buntstiftfarben, Keramik, Shoppingtaschen, Geldbeutel aus Fischleder, Teller mit stilisierten Baumstämmen und die typischen Kuksa-Tassen der Sami aus Lappland, geschnitzt aus Wurzelknollen der Birke. „Viele Objekte stammen aus dem Wald oder sind von ihm inspiriert – wir haben ja unendlich viel davon“, sagt Irena. Ein paar Straßen weiter, am Esplanadi-Boulevard, liegt der von Kaj Franck entworfene Flagship-Store von Ittala, einem der Aushängeschilder finnischen Designs. 1881 als Glashütte gegründet, führt Iittala Designikonen wie Alvar Aaltos Glasvase „Savoy" im Portfolio, dazu Tapio Wirkkalas Glasserie „Ultima Thule“. Ebenso unvergessen: Die „Lantern“ von Harri Koskinen oder der archaisch wirkende Gusseisen-Topf von Timo Sarpaneeva. Das alles weiß der Designkenner, steht aber dennoch bewundernd vor den Modellen aus hauchdünnem Glas, das an das durchscheinende Eis auf finnischen Seen erinnert. Wenige Häuserblöcke weiter vertreibt Marimekko seit 1951 höchst erfolgreich Streifen, Punkte und plakative Blumen, die in poppigen Farbtönen über Kleider, Kissen und Geschirr wandern. Einen Steinwurf weiter gibt sich Möbelhersteller Artek die Ehre: In seinen Räumen versammelt sich ein „Who is who“ der finnischen und internationalen Designszene – sowie Möbel von Ilmari Tapiovaara, der nach Alvar Aalto zu den bekanntesten Designern des Landes zählt. Das örtliche Design Museum in der Korkeavuorenkatu widmet Tapiovaara aus Anlass von dessen 100. Geburtstag eine Ausstellung: Tapiovaara machte 1937 sein Diplom in Möbeldesign an der Central School of Applied Arts, arbeitete für Alvar Aalto und Le Corbusier und stand darüber hinaus mit Mies van der Rohe in kreativem Austausch. Sein erklärtes Ziel: Gutes Design für jedermann. Ganze Generationen von Schülern saßen auf Stühlen des Designers, der den demokratischen Gedanken lange vor Ikea zu seiner Maxime erkor. Bekannt sind bis heute der „Domus Chair“, millionenfach in die Vereinigten Staaten exportiert, oder der Tisch „Trienna“. Daneben gestaltete das Multitalent Leuchten, Besteck, Teppiche und unterrichtete junge Designer. Wer im Trubel der HDW sucht Stille sucht, der findet sich in der Kamppi-Kapelle, der „Chapel of Silence“ von „K2S Architects“ in der Nähe des Hauptbahnhofs. Im Jahr 2012 fertiggestellt, erweist sich das Innere des Baus, der einer überdimensionierten Salatschüssel gleicht, einem Hort der Ruhe. Und ist dabei ein „pars pro toto“ nordischer Gestaltung. Geborgen wie in einem Schiffsbauch lässt sich hier – beschienen von Licht aus schmalen Oberlichtern – angesichts der kunstvollen Holzverkleidung trefflich über die Seele finnischen Designs sinnieren. Am Ende beginnt man zu verstehen: Das Design dieses Landes tritt selbstbewusst, doch niemals als Selbstzweck auf. Es ist weder vordergründig noch will es sich selbst darstellen oder gar ein Denkmal setzen. Es will weder offensichtlich „cool“ noch „edgy“ sein – und ist es oft gerade deswegen. Es buhlt nicht um Aufmerksamkeit und verlässt sich nicht auf Effekte. Stattdessen versucht es, den Alltag zu erleichtern und das Leben zu verbessern. Damit das gelingen kann, das wissen die Finnen, braucht es eine innige Beziehung zum Einfachen und Natürlichen und einen Sinn für den Wert alltäglicher Momente. All das muss in langen Jahren gewachsen sein. www.helsinkidesignweek.com
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Vom Kompost geklaut: Dicke Holzspäne zieren diese Leuchte von Einari Saarinen. Foto © Franziska Horn
Zu den schönsten Stücken der Habitare gehört die Schalen-Serie von Timo Ripatti. Foto © Franziska Horn
Den Wald mit nach Hause nehmen: In der Galerie "Lokal“. Foto © Franziska Horn
Im Flagship-Store von Ittala am Esplanadi-Boulevard: „Lantern“ von Harri Koskinen.
Foto © Franziska Horn Marimekko lässt seit 1951 höchst erfolgreich Streifen und Punkte über Kleider, Kissen und Geschirr wandern. Foto © Franziska Horn
Das Design Museum in der Korkeavuorenkatu. Foto © Franziska Horn
Für jedermann gut zu gebrauchen: Ausstellung über Ilmari Tapiovaara im Design Museum.
Foto © Franziska Horn |