Domotex 2019
Der Kreislauf der Teppichwelle
Ein fragiles Kunstwerk zieht die Aufmerksamkeit der Besucher der Domotex in Hannover auf sich: Der "Red Dirt Rug" inmitten der "Framing Trends"-Sonderfläche besteht aus dem roten Sand Oklahomas. Die junge Künstlerin Rena Detrixhe hat ihn eigens aus ihrer Heimat hierhergebracht und wie ein orientalisches Teppichmuster geformt. Der "Red Dirt Rug" symbolisiert für Detrixhe aber weit mehr als ein effekthascherisches Trompe-l'œil. In ihm sei die Geschichte des Landes, die Gewalt, aber auch die Schönheit enthalten, so Detrixhe. Nicht zuletzt aufgrund dieses spirituellen Aspektes zeigen sich die Betrachter berührt – so viel Bedeutungsgehalt wurde wohl selten einem Boden beigemessen.
Menschliche und digitale Vernetzung
Auch in diesem Jahr sind die "Framing Trends" in der Halle 9 das Herzstück der Domotex. Das Leitthema "Create’n’Connect" zieht sich dabei durch alle gezeigten Installationen von Künstlern, Wissenschaftlern und Unternehmen. Die digitale Permanentvernetzung wird mit den unterschiedlichsten Herangehensweisen anschaulich gemacht. Neben den vielen Virtual und Augmented Reality-Anwendungen – kaum ein großer Hersteller, bei dem man nicht via App seinen Wunschbelag virtuell ins eigene Heim legen kann – sind es auch spielerische Interaktionen: Zwei Menschen, die durch eine Wand voneinander getrennt sind, können dank einer App im gleichen Takt schaukeln.
Auch der Mediadesigner Konstantin Landuris aus München stellt bei den "Framings Trends" aus: Seine Installation "Waverider" besteht aus einer gewaltigen Welle aus Nadelvlies von Findeisen. Die Welle steht sinnbildlich für den Umgang mit Ressourcen und weist auf das drängende Thema des Ozeanplastiks hin. Passend dazu wurde der Nadelvlies auf einem zu 100 Prozent recyceltem Trägermaterial produziert. Findeisen trägt das Thema Recycling in seiner DNA: 1921 als Textil-Recyclingunternehmen in Ettlingen gegründet hat die Firma im Jahr 2017 über 943 Tonnen Recyclingfasern aus Abfällen zu Unterboden verarbeitet.
Der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen treibt die Bodenbelagshersteller um: Nachwachsende oder recycelte Rohstoffe stehen allerorten im Mittelpunkt. Ein Beispiel ist Econyl: Das Polyamid 6-Garn des italienischen Herstellers Aquafil wird zu 100 Prozent aus Fischernetzen, Teppichen oder Produktionsabfällen produziert und ist herkömmlichem Polyamid 6-Garn gleichwertig.
Natürlichkeit mit Appeal
Auch die neueste Innovation des schwedischen Parkettherstellers Bjelin, einem Tochterunternehmen von Välinge, dem Erfinder des Klicksystems für Bodenpaneele, zahlt auf das Ressourcenschonungskonto ein: Holzstaub aus der Produktion wird hier zu einem besonders harten Board gepresst, auf das ein dünnes Holzfurnier auftragen wird. Das "Cured Wood" sei noch härter als herkömmliche HDF-Platten, sagen die Erfinder. Zum Beweis schlägt der Geschäftsführer schwungvoll mit einem Hammer auf den Boden. Keine Delle. Mission accomplished.
Nachhaltige Produkte und Systeme bedeuten heute eben nicht mehr, auf Qualität, Komfort oder Design verzichten zu müssen, wie es bisher bei ökologischen Produkten häufig der Fall war. Oder wie es Paola Antonelli, Chefkuratorin Design und Architektur des Museum of Modern Art in New York, formuliert: "Umweltbewusstes Design sollte wie dunkle Schokolade sein: lecker und sinnlich. Und dennoch gut für die Gesundheit von Körper und Seele…" (Für Jeremy: Environmentally responsible design should be like dark chocolate: delicious and sensual. Yet still good for the health of the body and soul …”).
Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit kann man auf der Domotex entdecken, dass ein beinahe vergessenes Bodenbelagsmaterial wieder auftaucht: Kork. Von seinem Ökoimage entstaubt wird es bei Granorte, einem portugiesischen Hersteller, eingesetzt: Durch unterschiedlichste Maserungen, Pressverfahren und Einfärbungen entfaltet das wertvolle Material eine ganz eigene Schönheit. Wie Granorte kommt auch Amorim aus Portugal und ist auf Korkprodukte wie Weinkorken oder Bodenbeläge spezialisiert. Nach Jahren, in denen sie die schönen Korkböden mit einer Holzimitatschicht verkleidet haben, setzt Amorim mit einer neuen Marke wieder auf sein Kerngeschäft. "Wise" sind Kork-Bodenpaneele, die mit einem sechslagigen, objekttauglichen Aufbau aus 100 Prozent Kork bestehen. Wie bei Granorte wird auch bei Amorim die Energie für den Produktionsprozess durch Verbrennen des Korkstaubs gewonnen.
Produktive Korrektheit
Dass man heute mehr über das Unternehmen hinter den Produkten erfahren möchte, wissen auch die Hersteller und Anbieter von handgemachten Teppichen. In den vergangenen Jahren hat die Teppichbranche einiges getan, um Kinderarbeit zu verhindern. Wer sich für fair geknüpfte oder gewebte Teppiche interessiert, kann auf das Step-Label achten. Edelgrund, ein persischer Kilimweber, der auf natürliche Pflanzenfarben und gutes Design setzt, wurde beispielsweise damit ausgezeichnet. Die Inhaber und Designer Ali und Reza Lofti stehen ständig in Kontakt mit den verschiedenen Webern im Norden Irans. Typischerweise fahren die beiden Brüder, bepackt mit Anweisungen und den Garnen, zu den Webern und holen dann das fertige Stück wenige Wochen später ab.
Eine andere Auszeichnung, die nicht nur gute soziale Produktionsbedingungen, sondern auch kontrolliert biologisch gewonnene Rohstoffe honoriert, ist GOTS. Als erste Handwebteppich-Kollektion weltweit bekam es die Linie "Respect" des österreichischen Herstellers Tisca verliehen. Die Handwebteppiche aus dicken Wollgarnen lassen spontan an den Hygge-Hype der vergangenen Jahre denken – traditionelles Handwerk gepaart mit einem Wohlfühlmaterial par excellence. Sie werden in der Tisca-eigenen Produktion in Siebenbürgen handgewebt, unter anderem von Roma, die dadurch eine neue Perspektive erhalten.