Am letzten Montag ist in China das Jahr des Drachen angebrochen. Endlich. Nach zwölf Jahren, in denen erdverbundene Tiere wie Schweine, Ziegen, Ratten, Hasen, Büffel, Pferde, Schafe und Schlangen für das Schicksal verantwortlich waren, ist erfreulicherweise wieder einmal ein Luftgeist, ein funkensprühendes Wunderwesen an der Reihe. Damit stehen alle Zeichen auf Veränderung, vor allem aber auf Glück. Chinesische Wahrsager prophezeien ein harmonisches und gesundes Jahr. Die Kreativität wird wachsen, die Volkswirtschaft blühen, ein Babyboom ausbrechen. Na, also. Dann wird mir das Glück doch sicher in potenzierter Form zuteil werden, denn ich bin, wie alle, die in den Jahren 1916, 1928, 1940, 1952, 1964, 1976, 1988 oder 2000 das Licht der Welt erblickt haben, im chinesischen Tierkreiszeichen des Drachen geboren. Es wird Geld und Verstand regnen, die schwierigsten Projekte werden leicht von der Hand gehen, die Texte schreiben sich wie von selbst. Nein, nein, so einfach ist die Sache nicht, warnt meine Schulfreundin Eva, die in Schanghai als Anwältin arbeitet. Sie ist, wie sollte es anders sein, ihres Zeichens Drache und müsste es eigentlich wissen. Drachen könnten im Jahr des Drachen zu viel Glück haben, sagt sie. Zu viel Glück? Das gibt's doch gar nicht. Doch, doch, es kann zu viel des Guten werden, das Glück sich in sein Gegenteil verkehren. Nun ja, die Drachen drehen gern mal zu sehr auf. Geben mehr Geld aus als sie einnehmen. Sind zu ungeduldig und längst woanders, wenn der Erfolg winkt. Das kenne ich. Was also tun? Da gibt's nur eins: Jeden Tag etwas Rotes tragen. Das wirke ausgleichend, weshalb, weiß Eva zu berichten, die Drachenfrauen in China in diesem Jahr alle rote Dessous trügen. Sie verspricht, mir einen originalen roten Slip aus China zu schicken. Bis der ankommt, vertraue ich auf meinen knallroten Lippenstift und das Glas Rotwein am Abend. Und frage mich, ob das nicht eine gewichtige designerische Aufgabe wäre? Designer könnten ihren Teil dazu beitragen, dass in Zeiten der Globalisierung nicht wie üblich der Zynismus, sondern endlich einmal das Glück von einem Kontinent auf den anderen überschwappt. Was wir Drachenmenschen in Europa brauchen, und zwar dringend, ist klar: Ein farbmagisches Zeichen, das man dezent am Körper tragen kann. Fällt Designern hierzulande dazu denn nicht mehr ein als nur Slips und Socken? Wir Drachenmenschen, darunter immerhin geburtenstarke Jahrgänge, gieren danach. Also los, Freunde: Eine gute Idee im Jahr des Drachen genügt, und schon stellt sich das Glück ein, die Volkswirtschaft blüht ... Am meisten profitierten übrigens, so heißt es, die im Zeichen der Ratte geborenen vom Jahr des Drachen. Die Ratten? Schade, dann bleibt ja wohl alles beim Alten.
Rot, rot, rot sind alle meine Socken
von Annette Tietenberg | 26.01.2012
itrios Tsatsas, Stylepark
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