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Blick in den Großen Hirschgraben auf das Frankfurter Goethe-Haus und das Deutsche Romantik-Museum

Gebaute Sehnsucht

Am 14. September 2021 wird das Deutsche Romantik Museum in Frankfurt am Main eröffnet, das sich der Epoche der deutschsprachigen Romantik widmet. Die passende Architektur dazu stammt von Prof. Christoph Mäckler.
von Anna Moldenhauer | 14.09.2021

Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. (…) Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es. (…) Diese Zeilen stammen von Novalis aka Friedrich Freiherr von Hardenberg, der zu den wichtigsten Schriftstellern der deutschen Romantik zählt und sie in seinen Fragmenten und Studien um 1797 notierte. Prof. Christoph Mäckler verliest sie beim Start des Rundgangs durch das neue Romantikmuseum, das am 14. September 2021 in Frankfurt am Main eröffnet wird. Das Gemeine besser machen, dem Bekannten eine neue Faszination verleihen, mit ruhigem Blick für das besondere Detail und einem Gespür für die Wirkung von Räumen auf den Menschen, das versteht er. Seine Gebäude sind keine "Show offs", keine "Eventarchitektur" sondern Bauten, die sich harmonisch einfügen – ein werthaltiges Bauen, das ein sinnvolles, langlebiges Puzzleteil im Stadtbild sein will. Und so wirkt der Neubau im Großen Hirschgraben neben dem Goethe-Haus wie für seinen Platz gemacht. Seine besondere Lage bedeutete allerdings auch eine große Herausforderung, denn hier stand zuvor ein Bürogebäude aus den 1950er Jahren – Wand an Wand mit dem nach dem Krieg auf den Trümmern wieder aufgebauten Gebäude des Goethe-Hauses und statisch miteinander verbunden. Nur mit höchster Vorsicht und viel Geduld konnte der Abriss des uncharmanten Gebäuderiegels realisiert werden.

An seiner Stelle ist nun ein dreigeteilter Bau entstanden: "Wir wollten das Goethe-Haus nicht mit einem Neubau erschlagen. Daher haben wir aus einem Haus drei Häuser gemacht, drei Fassaden und drei Eingänge in die Eingangshalle des Romantik-Museums, in die Wechselausstellung sowie einen vertikalen Eingang für die Schulklassen zu den Räumen der Kunstvermittlung", erklärt Prof. Mäckler. Die Dreiteilung der Fassade mit jeweils eigener Putzstruktur, unterschiedlichen Fensterformen, Friesen und Traufhöhen im Übergang zum Schieferdach lockert den Bau auf und schafft eine neue Dynamik im Gesamtbild, die der vorher leblos wirkende Gasse einen neuen Glanz verleiht. Die Farbgebung in sanften Gelbtönen ist wie die Fassadentypologie selbst an das Goethe-Haus angelehnt, so dass sich ein fließender Übergang von Alt und Neu ergibt. Harmonisch wirkt auch das Zusammenspiel mit der Architektur von Michael Landes, der neben dem städtebaulichen Konzept die Gestaltung der Goethe-Höfe, des Cantate-Saals der Volksbühne und der angrenzenden Wohnungen übernommen hat. Ein Tunnelbauwerk an der Gartenmauer des Goethe-Hauses verbindet darüber hinaus die Räume der Wechselausstellung mit dem Magazin in den Kellerräumen des Freien Deutschen Hochstifts.

Fragmente verbinden

Dass Prof. Christoph Mäckler die Geschichte der Stadt und ihrer Bauten zu schätzen weiß und sich intensiv mit ihr auseinandersetzt, zeigt sich schon beim Betreten des Museums in einem besonderen Detail: Der Bodenbelag im zweigeschossigen Foyer besteht aus Steinen des abgerissenen Hauses, aufbereitet von der Trümmerverwertungsgesellschaft, einem gemeinnützigen Unternehmen, das bereits die Trümmer nach dem Krieg wiederverwertete, um Frankfurt wieder aufzubauen. Dank der unterschiedlichen Gesteinsarten wirkt der Boden nun wie ein Terrazzo. Auch auf die Wände des Foyers lohnt ein zweiter Blick, denn dem Beton wurde mit kleinen Natursteinen in unterschiedlichen Mischungen sowie Pigmenten eine natürliche Optik verliehen, die an den Ort referiert. An manchen Stellen ist der Beton mit dem Stockhammer so lange bearbeitet worden, bis der Naturstein zum Vorschein kam. Im Zusammenspiel mit der Brandmauer des Goethe-Hauses stehen die Oberflächen so miteinander im Einklang – alle sind verwoben mit dem Ort und einem Stück Stadtgeschichte. "Die Materialität und die Farbigkeit von Gebäuden hat einen großen Einfluss auf das Wohlbefinden im Raum", so Mäckler.

Zum Wohlbefinden im Raum gehört auch das Tageslicht, dass im Fall des Romantik-Museums allerdings zugleich auch ein Feind der empfindlichen Exponate ist, die unter UV-Strahlung und hohen Lux-Werten schnell Schaden nehmen würden. Wie baut man also ein Museum, das im Grunde kein Licht zulassen darf, ohne dass es zu einem fensterlosen Bunker wird? Die Lösung findet sich im Verlauf der Haupttreppe, die ihren Platz hinter der Straßenfassade des Hauses hat. Drei große Fenster liegen so alleine auf Höhe der Zugänge zu den Dauerausstellungen, darüber hinaus gibt es unter anderem ein Gaubenfenster, drei Erkerfenster und zwei blinde Fenster. Die Ausstellungsstücke befinden sich hingegen geschützt in den Räumen, die von der Treppe zum Hof abgehen und für die das atelier deLuxe ein Lichtkonzept erdacht hat, welches eine ruhige Atmosphäre schafft und Orientierung gibt. Schon die Treppe selbst ist eines der Highlights des Baus und trägt mit gutem Grund den Namen "Himmelstreppe": Ganz in dunkles Blau getaucht, täuscht sie die Illusion von Unendlichkeit vor. Ihre Form verjüngt sich nach Oben, die Leuchten und Eingänge zu den Ausstellungsräumen werden kleiner. Der Kratzputz an den Wänden des Aufgangs verstärkt die Tiefenwirkung zusätzlich. Die Illusion als wichtiger Bestandteil der Romantik erhält so eine Referenz in der Architektur. Überhaupt zieht Mäckler mit vielen architektonischen Elementen die Linie zum Thema des Museums: "Es ist ein sehr romantisches Gebäude, weil es mitspricht in unserer romantischen Erzählung. Wir haben uns diese Unterstützung durch die Architektur gewünscht und das ist wunderbar gelungen", so die Chefkuratorin und Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts, Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken. 35 interdisziplinäre Stationen bietet die Dauerausstellung, die alle aus einem Objekt der umfangreichen Sammlung des Deutschen Hochstifts entwickelt wurden. Diese sind mal narrativ, mal erklärend aufgebaut und chronologisch geordnet, viele spannen untereinander Bezüge. Die Form der Präsentation ist dabei multimedial angelegt.

Himmelstreppe
Blauer Erker

Eine Besonderheit des Museums sind auch seine Erker, die den BesucherInnen zum einen die Möglichkeit bieten sich für einen Moment aus der Schau geistig wie körperlich herauszunehmen, um dem Gesehenen nachzusinnen. Zum anderen sind sie das Tüpfelchen auf dem i für den Charakter des Hauses. Im ersten Obergeschoss befindet sich zum Beispiel ein Sitzerker gegenüber der Brandwand, der die Geschichte des Goethe-Hauses aufgreift. Ein sinnliches Erlebnis ist der "blaue Erker", der sich spitz aus der Fassade in den Straßenraum streckt. Er ist mit vielen kleinen Glasscheiben in unterschiedlichen Blautönen versehen, die ihn im einfallenden Sonnenlicht ganz herrlich leuchten lässt und an den Satz "Das Romantische ist also ein Perspectiv oder vielmehr die Farbe des Glases" aus dem zweiten Teil des Romans Godwi von Clemens Brentano referiert. "Der Erker ist ein fantastisches Element, das es mir ermöglicht in den Straßenraum hineinzutreten, ihn erleben zu können und trotzdem geschützt in meinem warmen Wohnraum zu sein. Er ist ein Baustein in der Architektur, der unglaublich wichtig ist", so Mäckler. Strahlendes Blau als Farbe für zahlreiche Decken wie Wände und nicht zuletzt für das Glas des Erkers verweisen auch auf die "blaue Blume", ein zentrales Sehnsuchtssymbol der Romantik nach Liebe und dem Unendlichen.

Was bedeutet aber nun Romantik, als Begriff, als Gefühl, früher und heute? Und welchen Fragen gingen die RomantikerInnen nach? Die Antwort darauf ist facettenreich, denn die Epoche umfasst eine große Bandbreite an Themen: Von weißer und schwarzer Romantik, von Goethe bis Kitsch. Dieses Spektrum in einer Ausstellung zu fassen ist kaum möglich. Schon der Kulturphilosoph Friedrich Schlegel schrieb 1797 an seinen Bruder August Wilhelm "Meine Erklärung des Worts Romantisch kann ich Dir nicht gut schicken, weil sie − 125 Bogen lang ist." Aufklärung und Traum, Illusion und Realität liegen in der Romantik stets nah beieinander. Trotzdem schafft es die Schau auf 1.200 Quadratmetern Ausstellungsfläche und 400 Quadratmetern für Wechselausstellungen einen vielfältigen Einblick zu geben. Gleichzeitig bietet sie den BesucherInnen zahlreiche Anknüpfungspunkte, aus denen sie wählen können. Die Exponate sind dabei thematisch unterteilt: Die erste Etage ist als Goethe-Galerie den zahlreichen Gemälden des Dichterfürsten gewidmet, die zweite Etage zeigt Handschriften von den Gebrüdern Schlegl bis Joseph von Eichendorff, während die dritte Etage sich der Frage widmet, inwieweit die Romantik bis heute nachwirkt. Chronologisch geordnet können so die einzelnen Kunstgattungen erlebt werden – von Gemälden und Graphiken über Porzellanmalerei, von Briefen über Kompositionen von Robert Schumann bis zu einer "Lorenzo-Dose", ein Symbol für die Freundschaft aus dem Jahr 1769. Dabei bindet die Ausstellung Goethes Lebenswerk ganz natürlich mit ein, inklusive verschiedener Stationen zu seinen naturwissenschaftlichen und psychologischen Forschungen wie zur Wirkung der Farben. Parallel zieht sich eine Faust-Gretchen Spur durch das Museum und findet im Garten als Skulptur seinen zentralen Punkt. "Die Ausstellung bietet den Besucherinnen die Möglichkeit, sich selbst auf den Weg zu machen und zu erkunden was Romantik für sie ist – wir geben das nicht vor", so Bohnenkamp-Renken.

Das viel Arbeit in der Museographie seitens Petra Eichler und Susanne Kessler alias "Sounds of Silence" sowie MESO Digital Interiors steckt, merkt man beim Rundgang durch die Räume schnell. Jedes Detail ist zugunsten der Exponate und ihrer idealen Rezeption gedacht – von der Beleuchtung bis zu den jeweils eigens entworfenen Schaukästen für die besonders empfindlichen Werke, die mit einem Klappdeckel geschützt sind. Das Romantik-Museum ist dabei nicht nur weltweit einzigartig, sondern fasst auch viele kunsthistorische Höhepunkte an einem Ort. Die Fülle der Angebote ist somit kaum in einem Tag rezipierbar. "Das ist auch so gedacht", sagt Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, "wir wollten den schillernden Facettenreichtum des Konzepts Romantik zeigen, das ja nicht nur eine Epoche, sondern auch eine Geisteshaltung und ein Gefühl ist". Dabei zeigt sich, dass die Romantiker mit ähnlichen Auseinandersetzungen zu ringen hatten, wie der Mensch heute. Sei es der Verlust und die Suche nach einem Sinn im Sein, die Abwendung von der Religion, die Sehnsucht nach einer anderen Realität oder das Schaffen von Illusionen und gemeinsamen Imaginationsräumen, um der Welt zu entfliehen. Die Ausstellung umfasst so auch die Irrwege und Abgründe der Suche nach dem neuen Sinn, die mitunter in Judenfeindlichkeit und alptraumhaften Szenerien mündeten, die das Böse, den menschlichen Wahnsinn und die erotisch aufgeladene Sehnsucht nach dem Tod in den Blick nehmen. Wie "der Nachtmahr" von Johann Heinrich Füssli, ein berühmtes Motiv der schwarzen Romantik. Die Vermittlung der Exponate ist dabei vorbildlich und multimedial angelegt. Sie zeichnet zum Beispiel den Lebensweg von Goethe in einer interaktiven Karte nach, bietet Transkriptionen der kleinformatigen Handschriften, die sonst kaum zu entziffern wären und viele multimediale Angebote, die unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Die Zusammenhänge der Etappen können dadurch gut erfasst werden, ganz dem Novalis-Zitat entsprechend: "Die Welt romantisieren heißt, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in dem alles mit allem zusammenhängt. Erst durch diesen poetischen Akt der Romantisierung wird die ursprüngliche Totalität der Welt als ihr eigentlicher Sinn im Kunstwerk ahnbar und mitteilbar."

Romantik-Ausstellung im 3. OG: "Gelebte Gleichheit. Erinnerungen an Rahel Varnhagen"

Zehn Jahre hat die Realisierung des Romantikmuseums gedauert, Hürden gab es nicht wenige – von archäologischen Funden bis zu einer komplizierten Finanzierung des Projekts, dessen Budget mit 12 Millionen Euro gerade einmal die Kosten für das Bauwerk trug und ohne private Spenden seitens der BürgerInnen kaum umzusetzen gewesen wäre. Der Aufwand hat sich mehr als gelohnt, denn aus der romantischen Vision eines Museums-Juwels ist schlussendlich keine Illusion, sondern sehenswerte Realität geworden.

Frankfurter Goethe-Haus & Deutsches Romantik-Museum

Dienstag, Mittwoch, Freitag, Samstag, Sonntag 10 bis 18 Uhr
Donnerstag 10 bis 21 Uhr
Montag geschlossen

Tipp: Der Fotograf Alexander Paul Englert hat die Baugeschichte des entstehenden Deutschen Romantik-Museums kontinuierlich begleitet. Die "Bilder einer Baustelle" sind noch bis zum 31. Dezember 2021 im Arkadensaal des Goethe-Hauses zu sehen.

Caspar David Friedrich: Der Abendstern (um 1830, Öl auf Leinwand)